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# taz.de -- Homophobie in Tschetschenien: Moskau hält die Füße still
> Das LGBT-Netzwerk in Moskau versucht Homosexuelle aus Tschetschenien
> herauszuholen. Die werden dort in Geheimknästen gefoltert.
Bild: Proteste gegen die Diskriminierung Homosexueller in Russland, nahe der ru…
Moskau taz | „Erste Berichte über Entführungen und Morde an homosexuellen
Männern in Tschetschenien erhielten wir Ende März“, sagt Swetlana Sacharowa
vom LGBT-Network in Moskau. Russlands Politik ließ sich jedoch mehrere
Wochen Zeit bis sie reagierte.
Seit einem Monat versucht das Network, Homosexuelle aus der
Kaukasusrepublik herauszuholen. „Aus Sicherheitsgründen wird mit den
Hilfesuchenden jeder Fall vorab genau besprochen“, sagt Swetlana.
Patentlösungen gebe es nicht. Immer mehr Betroffene hätten sich in den
letzten Wochen gemeldet.
„Sobald die ersten in Sicherheit waren, kamen neue Anfragen über die
Hotline“. Das Vertrauen sei gewachsen. „Wer uns vorher schrieb, wusste
nicht, ob er nicht in eine Falle geht“, sagt Swetlana. Manche hätten die
LGBT-Aktivisten vor einem Treffen gebeten, ihnen hoch und heilig zu
versprechen, ihnen keine Gewalt anzutun.
„Russland ist ein homophobes Land“, meint Swetlana. Dennoch hätte es
niemals vorher eine vergleichbare Hatz auf Schwule gegeben. Auch die
Network-Mitarbeiter seien davon überrascht worden. Den grausamen
Erzählungen der Geretteten zuzuhören, sei selbst für erfahrene Aktivisten
psychisch sehr belastend.
## Höhere Opferzahlen
Folterungen und Festnahmen scheinen unterdessen weiter zu gehen. Zumindest
liegen dem Network bislang keine gegenteiligen Informationen vor. Zunächst
war in Berichten der Nowaja Gaseta von mindestens hundert Gefangenen und
drei Toten die Rede.
Inzwischen scheint das wahre Ausmaß noch bedrückender zu sein. Nicht nur
die Opferzahlen dürften höher liegen. Es verdichten sich auch Beweise, dass
Homosexuelle nicht wie vorher angenommen an zwei, sondern mindestens sechs
Orten der Nordkaukasusrepublik in Geheimgefängnissen systematisch
missbraucht werden.
Der Kreml bestellte in der vorvergangenen Woche Republikchef Ramsan Kadyrow
ein. Vor Putin und laufender Kamera klagte Moskaus Statthalter aus Grosny
über „provokante“ und unwahre Nachrichten über die Kaukasusrepublik.
Die Übergriffe auf Homosexuelle nannte er unterdessen nicht beim Namen. Die
vormodern-patriarchalische Gesellschaft wertet bereits die Verbalisierung
nicht-heterosexueller Orientierung als moralischen Verstoß.
## Keine Straftaten
Die Botschaft des Kreml war klar: Moskau hält zu Kadyrow und wird den
Anschuldigungen der Homopogrome auch nicht nachgehen. Putins Pressesprecher
Dmitri Peskow und die Kreml-Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa
verwiesen zur Klärung auf den juristischen Weg. Leidtragende sollten
zunächst in Grosny Anzeige erstatten.
Die Menschenrechtsbeauftragte teilte unterdessen mit, Anfragen bei den
tschetschenischen Behörden hätten ergeben, dass keine Straftaten vorlägen.
Somit ist alles in Ordnung. Daraus spricht blanker Zynismus. Eine Anzeige
käme einer Selbstauslieferung gleich.
Moskau will eine Auseinandersetzung mit dem Sultan von Grosny vermeiden.
Ein neuer Konflikt im Kaukasus birgt für Russland unwägbare Risiken.
Bislang beruhte die Männerfreundschaft zwischen Putin und Kadyrow auf der
Abmachung: der Tschetschene sorgt in Grosny für Ruhe und Stabilität, im
Gegenzug verzeiht ihm der Kremlchef auch noch die letzten Schweinereien.
Das funktionierte lange Zeit reibungslos.
Mittlerweile taucht der aus Tschetschenien verdrängte Terrorismus wieder in
der Republik auf. Seit Dezember verändert sich die Lage. Terror und
Angriffe von Aufständischen hätten in den ersten vier Monaten dieses Jahres
bereits die Zahl des Vorjahres übertroffen, meldet das Portal „kawkaskij
usel“ (Kaukasischer Knoten).
## Bedrohung in Tschetschenien
Erst im März wurden zwei Soldaten der russischen Nationalgarde in
Tschetschenien getötet. Putin sprach den Fall an, er schien beunruhigt zu
sein. Klar gäbe es eine Bedrohung in Tschetschenien, meinte der Kremlchef
mit Nachdruck. Kadyrow hatte das zuvor verneint und sich als
unangefochtener Herr der Dinge in Tschetschenien präsentiert.
Der Kaukasusexperte und Chefredakteur des kawkaskij usel, Grigorij
Schwedow, hält die Verfolgung Homosexueller denn auch für die Folge einer
größer angelegten Säuberungswelle in der Kaukasusrepublik. Auf der Jagd
nach Gegnern hätten Kadyrows Leute wie üblich die Handys der Festgenommenen
durchsucht und seien auf pornographische Fotos gestoßen.
Putin stört, dass der Fall vor allem international Proteste hervorruft,
während die Lage in der Republik mit jedem Tag instabiler wird. Angeblich
stünde schon die nachrückende Generation bereit, die sich für ihre Väter,
Kadyrows politische Opfer, rächen wolle.
Auch die Wirtschaftskrise erreicht jetzt die bislang hochsubventionierte
Region. Der Kreml kann sich des Statthalters jedoch nicht einfach
entledigen. Unabhängig davon, ob Kadyrow das Sicherheitsgelübde einlöst
oder nicht.
1 May 2017
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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Russland
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