# taz.de -- Aufarbeitung der NS-Zeit: Den Nazis die Freiheit geschenkt | |
> Ein Ministerialdirigent sorgte 1968 für die Ausweitung von | |
> Verjährungsfristen. Tausende Mordgehilfen konnten so nicht mehr belangt | |
> werden. | |
Bild: Forschte mit Strafrechtler Christoph Safferling zum Fall Dreher: Historik… | |
BERLIN taz | Vermutlich hat ein hoher Ministerialbeamter gezielt dafür | |
gesorgt, dass 1968 die Verjährung für viele NS-Täter ausgeweitet wurde. | |
Tausende von ihnen konnten deshalb nicht mehr vor Gericht gestellt werden. | |
Die Reform war so kompliziert, dass auch viele Juristen sie nicht | |
verstanden. Deshalb galt es lange als plausibel, dass es sich tatsächlich | |
um ein Versehen handelte. Der Historiker Manfred Görtemaker und der | |
Strafrechtler Christoph Safferling kommen nun aber zu dem Schluss, dass der | |
zuständige Ministerialdirigent Eduard Dreher genau wusste, was er tat. | |
Seit Oktober 1968 gilt, dass Beihilfe zum Mord milder zu bestrafen ist, | |
wenn ein Mordmerkmal wie „niedere Beweggründe“ beim Gehilfen fehlt. Das war | |
im Bundestag unumstritten. Was aber übersehen wurde: Die mildere Strafe hat | |
auch Auswirkungen auf die Verjährung, die bei Mord damals noch befristet | |
war. In einem Entwurf von 1962 war zwar ein Passus enthalten, der solche | |
Auswirkungen ausdrücklich ausschloss, doch in der endgültigen | |
Gesetzesfassung, die Dreher vorbereitet hatte, war dieser Passus | |
„vergessen“ worden. | |
„Wir haben kein Dokument gefunden, das beweist, dass Dreher planmäßig | |
vorgegangen ist“, sagte Safferling. Allerdings sei Dreher seit 1951 mit der | |
Formulierung strafrechtlicher Gesetze befasst gewesen, seit 1961 gab er den | |
führenden Strafrechts-Kommentar heraus. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass | |
gerade ihm ein derartiger Lapsus unterlief.“ | |
## Abgewiegelt | |
Kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes hätte es sogar noch die Möglichkeit zur | |
Reparatur gegeben. Ein Richter am Bundesgerichtshof (BGH) machte das | |
Ministerium auf das Problem aufmerksam. Die Warnung landete auf Drehers | |
Schreibtisch, doch dieser wiegelte ab. | |
Er hatte auch ein persönliches Motiv. Im NS-Staat war Dreher als | |
Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck an mehreren Todesurteilen | |
beteiligt. Im sich wandelnden Klima der 1960er Jahre musste er damit | |
rechnen, doch noch wegen Beihilfe zum Justizmord verurteilt zu werden. | |
Doch der BGH setzte die Vorgabe des Gesetzgebers im Mai 1969 um und | |
erklärte die Taten vieler NS-Mordgehilfen, insbesondere von | |
Schreibtischtätern im Reichssicherheitshauptamt, für verjährt. In der Folge | |
wurde jahrzehntelang gar nicht mehr ermittelt. | |
Erst in jüngster Zeit gibt es wieder Prozesse wegen Beihilfe zum | |
NS-Massenmord, nun gegen ehemalige Wächter von Vernichtungslagern. | |
Inzwischen wird statt auf niedere Beweggründe vor allem auf die Grausamkeit | |
der Tatbegehung abgestellt. So hätte allerdings auch der BGH 1969 | |
argumentieren können. So gesehen war Dreher nicht allein schuld am | |
langjährigen Verzicht auf Strafverfolgung von NS-Gehilfen. | |
11 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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