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# taz.de -- Kommentar Auschwitz-Prozess: NS-Verbrechen altern nicht
> Die Verurteilung der Täter ist trotz hohen Alters eine wichtige Geste
> gegenüber den Opfern. Ahndung muss sein, solange sie noch möglich ist.
Bild: Eine Geste gegenüber den Überlebenden und ihren Nachkommen: hier Willia…
Die bundesdeutsche Justiz zählt nicht unbedingt zu den Institutionen, die
durch einen besonders ausgeprägten Hang zur Selbstkritik auffallen. Umso
erfrischender waren die Aussagen des Detmolder Schwurgerichts [1][in der
Urteilsbegründung gegen den ehemaligen SS-Wachmann von Auschwitz, Reinhold
Hanning]. Denn Richterin Anke Grudda hat nicht nur die verhängte
fünfjährige Haftstrafe gegen den Angeklagten überzeugend begründet. Das
Gericht kritisierte auch die Verfehlungen der Bundesrepublik bei der
Verfolgung von NS-Straftätern in der Vergangenheit.
Was Grudda da ansprach, ist eines der niederschmetterndsten Kapitel in
diesem Land. Nach dem Ende der Besatzungszeit 1949 glaubten Staat, Justiz
und weite Teile der Gesellschaft, einen schnellen Schlussstrich ziehen zu
können. Eine Strafverfolgung von Verbrechen fand in aller Regel nicht
statt. Stattdessen bemühte sich Westdeutschland darum, die alten Eliten an
den neuen Staat heranzuführen, im vollen Bewusstsein, dass diese zu einem
guten Teil aus Verbrechern bestand. Es war gewiss kein Zufall, dass
namentlich die Justizbehörden dabei ganz besonders nachsichtig agierten,
waren doch die Richter und Staatsanwälte in der Regel dieselben, die schon
zu Nazi-Zeiten Recht gesprochen hatten.
Erst die Gründung der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen
Ende der 1950er Jahre vermochte wieder Prozesse gegen die Nazi-Täter in
Gang zu setzen. Doch noch immer waren es die alten Herrschaften, die im
Justizapparat bestimmten, und so erfolgten ganz erstaunliche
Verfahrenseinstellungen, etwa aufgrund zweifelhafter ärztlicher Gutachten,
die den Angeklagten Verhandlungsunfähigkeit attestierten.
Die jüngsten Verfahren gegen Demjanjuk oder Hanning können den moralischen
Schaden nicht wieder gutmachen. Aber andererseits wäre nichts falscher, als
die letzten Täter aufgrund ihres hohen Alters nun davonkommen zu lassen.
Das jahrzehnte lange Versagen der Justiz begründet es nicht, nun erst recht
weiter versagen zu dürfen. Und es existiert glücklicherweise auch kein
Paragraph, der Beihilfe zum Mord in Auschwitz mit Freispruch belohnt, nur
weil der Angeklagte besonders alt geworden ist. Es ist vielmehr ein Gebot
gegenüber den Opfern und ihren Nachkommen, die Verbrechen der Nazis zu
ahnden, solange dies noch möglich ist – und das wird nicht mehr lange der
Fall sein.
17 Jun 2016
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## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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