Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- NS-Kontinuitäten in der Berliner Justiz: Wühlen im Staub der Gesc…
> Wie viele alte Nazis waren in der Berliner Justiz nach 1945 tätig – und
> mit welchen Folgen? Ein Forschungsprojekt von FU und HU soll das jetzt
> klären.
Bild: Gute deutsche Juristen bei der Gründung des „Volksgerichtshofs“ 1934
„Der Creifelds“ ist ein Standard-Nachschlagewerk für JuristInnen, Motto:
„Das ganze Recht in einem Band“. Lange Zeit verborgen blieb den meisten,
die zum „Creifelds“ griffen, dass dessen ursprünglicher Herausgeber und
langjähriger Autor Carl Creifelds unter den Nazis Karriere im
Reichsjustizministerium gemacht hatte. Seine braune Vergangenheit führte
dazu, dass sich der jeglicher linker Umtriebe unverdächtige Bundespräsident
Heinrich Lübke Anfang der sechziger Jahre weigerte, ihn zum Bundesrichter
zu ernennen – woraufhin Creifelds sich aus dem aktiven Geschäft zurückzog,
um sein Wörterbuch zu schreiben.
Von 1954 bis 1963 war Creifelds als Beamter in Berlin tätig gewesen: Er
leitete die Strafrechtsabteilung in der Senatsverwaltung für Justiz.
Deshalb wird sein Name den WissenschaftlerInnen wohl mehr als einmal
begegnen, die in den kommenden Jahren die „NS-Kontinuitäten in der Berliner
Justiz“ aufarbeiten werden. Das gemeinsame Projekt von Freier und
Humboldt-Universität wird vom Senat finanziell gefördert, am Montagmorgen
überreichte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) den federführenden
Professoren Jan Thiessen (HU) und Ignacio Czeguhn (FU) einen Förderbescheid
über insgesamt 100.000 Euro.
„Die deutsche Geschichte lässt uns nicht ruhen“, sagte Behrendt bei der
Vorstellung des Projekts im repräsentativen Nordsternsaal der
Senatsverwaltung neben dem Schöneberger Rathaus. Das
Bundesjustizministerium habe mit der von 2012 bis 2016 aktiven
„Rosenburg“-Kommission ans Licht gebracht, dass es in seinen Reihen
NS-Netzwerke gab, die sich gegenseitig schützten und förderten und auch
Einfluss auf Inhalte nahmen. „Für uns war das jetzt der Anlass zu schauen,
wie das hier im Haus aussah – wie viele Parteigenossen waren nach 1945 in
der Justizverwaltung tätig, woher kamen sie und wohin gingen sie? Haben Sie
vielleicht Einfluss auf Verfahren zur Wiedergutmachung genommen?“
Vor Behrendt ruhte ein Stapel vergilbter Mappen auf einem
Beistelltischchen, ein kleiner Ausschnitt des Materials, dass Studierende
und wissenschaftliche MitarbeiterInnen in den kommenden Monaten, vielleicht
Jahren, sichten werden. Sehr von Vorteil, wie alle Beteiligten betonten,
ist die Tatsache, dass die Aktenlage lückenlos zu sein scheint. Auch wenn
die Recherche zumindest nach Juristenmaßstäben abenteuerlich gewesen sein
muss: „Wir waren in Archivräumen unterm Dach, die 30 Jahre niemand mehr
betreten hatte“, schilderte Martin Groß, Präsident des Justizprüfungsamts
und in der Senatsverwaltung für das Projekt zuständig, die Suche. „Wegen
des vielen Staubs musste der Mitarbeiter einen Schutzanzug tragen und sah
aus wie das kleines Schlossgespenst.“
## Auch Renate Künast war da
„Ob wir Sensationen finden, wissen wir nicht“, sagte Jan Thiessen, der an
der HU den Lehrstuhl für Juristische Zeitgeschichte innehat, auf die Frage
nach seinen Erwartungen an das Vorhaben. „Vielleicht entdecken wir ja sogar
Positivbeispiele, Remigranten, die Gutes getan haben.“ Die politische
Tragweite der von der „Rosenburg-Akte“ ermittelten NS-Kontinuitäten – et…
die in Deutschland erstaunlich langlebige Strafbarkeit der Homosexualität –
dürfte es auf Landesebene eher nicht geben. Für Thiessen ist das Projekt
aber in jedem Fall eine Chance, mit den Studierenden zu erforschen, wie
sich Staatsdiener auch mit weniger prominenten Namen als Carl Creifelds im
NS-System verhalten haben.
Dass auch Renate Künast in den Nordsternsaal geladen war, hatte historische
Gründe: Die grüne Bundestagsabgeordnete und Ex-Ministerin hatte mit ihren
MitstreiterInnen von der Alternativen Liste (AL) schon 1987 einen Antrag
zur Einrichtung eines Forschungs- und Dokumentationszentrums gestellt, das
auch personelle Kontinuitäten und ausgebliebene Sanktionen im Justizwesen
nach 1945 untersuchen sollte. „Kurz zuvor waren die letzten Verfahren gegen
Richter des Volksgerichtshofs eingestellt worden. Unser Impetus war es,
wenigstens das Material zu sichern, das oftmals in Kellern verschimmelte.“
Ein entsprechender fraktionsübergreifender Antrag kam damals noch unter dem
schwarz-gelben Diepgen-Senat durch, gehandelt wurde aber erst unter dem
rot-grünen Momper-Senat und Justizsenatorin Jutta Limbach. Dass sich
trotzdem bis heute nicht viel tat, lag an den Zeitläuften: Die ersten
Gespräche fanden damals am 10. November 1989 statt, dem Tag nach dem
Mauerfall – danach passierte nicht mehr viel.
10 Dec 2018
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
NS-Justiz
Justiz
Aufarbeitung
Dirk Behrendt
Renate Künast
Bundesanwaltschaft
Nazis
NS-Straftäter
## ARTIKEL ZUM THEMA
NS-Erbe der Bundesanwaltschaft: Braune Kontinuitäten
Reihenweise NSDAP-Mitglieder: Eine Studie attestiert der Bundesanwaltschaft
in den Nachkriegsjahren einen fehlenden Bruch mit der NS-Zeit.
„Nazis raus“ trendet auf Twitter: Ungenaue Solidarität
Der Angriff auf einen AfD-Politiker verunsichert viele, die zuvor „Nazis
raus“ twitterten. Das zeigt, wie schwammig die Twitter-Soli-Aktion ist.
Aufarbeitung der NS-Zeit: Die tiefbraune Akte Rosenburg
Ex-NSDAP-Mitglieder nahmen bis lange nach 1945 aktiv Einfluss auf die
bundesdeutsche Politik. Das bekamen unter anderem Homosexuelle zu spüren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.