# taz.de -- Massaker von Babi Jar: Ukraine gedenkt Mord an Juden | |
> Vor 75 Jahren wurde die jüdische Bevölkerung von Kiew ausgelöscht. Die | |
> Sowjetunion tat sich schwer mit der Erinnerung. Für die Ukraine ist sie | |
> Ehrensache. | |
Bild: Trauer, die lange keinen Ort hatte. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowje… | |
Kiew dpa | Der Judenmord war längst geplant, doch die deutschen Besatzer in | |
Kiew suchten noch einen Vorwand. Am 19. September 1941 war die Wehrmacht in | |
die Hauptstadt der damaligen Sowjetrepublik Ukraine einmarschiert. Wenige | |
Tage später erlitt sie hohe Verluste, weil verminte Gebäude in der | |
Innenstadt ferngelenkt explodierten. Am 29./30. August brachte die SS im | |
Tal Babi Jar (Weiberschlucht) 33.771 Juden um. 75 Jahre später gedenkt die | |
unabhängige Ukraine der grauenvollen Ereignisse. Zu einer Feier am 29. | |
September mit Staatschef Petro Poroschenko wird auch Bundespräsident | |
Joachim Gauck erwartet. | |
„Sämtliche Juden der Stadt Kiew und Umgebung haben sich am Montag, dem 29. | |
September 1941, bis acht Uhr einzufinden“, verkündeten Aushänge. | |
Mitzunehmen seien Dokumente, Geld und Kleidung. Wer der Anweisung nicht | |
folge, dem wurde mit Erschießung gedroht. Von einst 220.000 jüdischen | |
Einwohnern waren nur 50.000 geblieben, die Männer dienten in der Roten | |
Armee, andere waren geflohen. | |
Greise, Frauen und Kinder fanden sich am Sammelplatz bei der heutigen | |
Metrostation Lukjaniwka ein. Getrieben von lokalen Wachmannschaften, legten | |
sie die zweieinhalb Kilometer zum damaligen Stadtrand zu Fuß zurück. | |
In Babi Jar wurden die Menschen gezwungen, sich auszuziehen. In | |
Zehnergruppen wurden sie in die Schlucht geführt. Dort befanden sich drei | |
Gruppen mit MPi-Schützen, wie Kurt Werner, Angehöriger des | |
SS-Sonderkommandos 4A, nach dem Krieg in den Nürnberger Prozessen aussagte. | |
„Die nachfolgenden Juden mussten sich auf die Leichen der zuvor | |
erschossenen Juden legen. Die Schützen standen jeweils hinter den Juden und | |
haben diese mit Genickschüssen getötet“, berichtete der SS-Mann. | |
## Spuren verwischt | |
Bis Mitte Oktober wurden mehr als 50.000 Menschen getötet. Pioniere der | |
Wehrmacht sprengten anschließend die Ränder der bis zu 50 Meter tiefen | |
Schlucht, um Spuren des Massengrabes zu verwischen. | |
Bis zu 200.000 Menschen wurden in der Besatzungszeit in Babi Jar ermordet. | |
Erschossen wurden außer Juden auch Roma, Kriegsgefangene, psychisch Kranke, | |
Partisanen und ukrainische Nationalisten. Nach der Niederlage von | |
Stalingrad zeichnete sich jedoch eine Rückkehr der Roten Armee ab. | |
Der bereits an den Erschießungen 1941 beteiligte SS-Standartenführer Paul | |
Blobel kam nach Kiew zurück und begann mit der sogenannten | |
„Ent-Erdungsaktion“. 300 KZ-Häftlinge gruben die Leichen wieder aus und | |
verbrannten sie auf mit Benzin getränkten Eisenbahnschwellen. Das Grauen | |
endete erst am 6. November 1943, als die Rote Armee unter gewaltigen | |
Verlusten die Stadt befreite. | |
Die sowjetische Regierung tat sich jahrzehntelang schwer mit dem Gedenken | |
an die ermordeten Kiewer Juden. Die Schlucht wurde mit den Jahren Teil der | |
Stadt, sie wurde in einen Park umgewandelt. Erst nach Stalins Tod löste | |
unter anderem das 1961 erschienene weltbekannte Gedicht „Babi Jar“ von | |
Jewgeni Jewtuschenkos eine Debatte aus. Doch das 1976 errichtete Monument | |
für die ermordeten „sowjetischen Bürger“ verweigerte das Gedenken an die | |
Juden als Hauptopfergruppe. | |
## Erinnerung erwachte erst 50 Jahre später | |
Das änderte sich erst zum 50. Jahrestag 1991, fast zeitgleich mit dem Ende | |
der Sowjetunion. Ein Mahnmal in Form einer Menora, eines siebenarmigen | |
jüdischen Leuchters, wurde errichtet. Doch auch anderer Opfergruppen wie | |
der Roma wurde mit eigenen Denkmälern gedacht. Zugleich begann eine | |
Diskussion über die Errichtung einer Holocaust-Gedenkstätte – ein Novum für | |
die Ex-Sowjetrepublik Ukraine. | |
Inzwischen hat das Land mit Wladimir Groisman einen Regierungschef | |
jüdischer Herkunft. Schon als Parlamentschef ließ er in der Obersten Rada | |
erstmals eine Gedenkminute für die Holocaustopfer einlegen. | |
Auf den 75. Jahrestag hat sich Kiew lange vorbereitet. Für umgerechnet mehr | |
als eine Million Euro wurden Grünlagen und Wege neu gestaltet, die | |
Gedenkstätten saniert. „Wir müssen uns daran erinnern, was hier geschah, | |
damit die Fehler der Vergangenheit sich nicht noch einmal wiederholen“, | |
sagte der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko. | |
Und auch die zeitweilig eingeschlafenen Gespräche über ein Memorial für die | |
Shoa stieß er wieder an. „Ich halte es für meine Mission als Bürgermeister | |
der Hauptstadt, das Projekt der Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer | |
von Babi Jar zu realisieren“, versprach der Ex-Boxweltmeister im Dezember | |
2015 den Nachkommen der Opfer. | |
22 Sep 2016 | |
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