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# taz.de -- Kommentar Gedenken in Babi Jar: Raus aus der Schlucht!
> Die Ukraine tut sich schwer mit dem Gedenken an den Massenmord an Juden
> in der Schlucht von Babi Jar. Das gilt auch für Präsident Poroschenko.
Bild: Gedenken in Kiew an das Massaker von Babi Jar
Man stelle sich nur vor: Der israelische Präsident Reuven Rivlin hat sich
strafbar gemacht. Anfang der Woche prangerte er in seiner Gedenkrede zum
75. Jahrestag des [1][Massenmordes an ukrainischen Juden in der Schlucht
von Babi Jar] in Kiew ukrainische Nationalisten, insbesondere die Kämpfer
der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), als Helfershelfer der
Nazis an.
Das fällt in der Ukraine unter „öffentliche Schmähung der
Unabhängigkeitskämpfer“, zu denen seit April 2015 unter anderem Mitglieder
der OUN und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) zählen. Kein
Wunder, dass ukrainische Medien Rivlins Äußerung weitgehend verschwiegen.
Umso hitziger fiel die Debatte aber in den ukrainischen Online-Netzwerken
aus. Leider wiederhole der Präsident Israels den sowjetischen Mythos von
einer Beteilung der OUN, wetterte Wladymyr Wjatrowytsch, immerhin der Chef
des Instituts für Nationales Gedächtnis in Kiew, auf Facebook. Die völlig
enthemmten antisemitischen Kommentare auf der Facebookseite Wjatrowytschs
waren dermaßen unter der Gürtellinie, dass es einem die Sprache verschlug.
Zugegeben: Das Thema ist heikel. Im Zuge der postkommunistischen Politik
erhielten Lenin-Straßen und -plätze landesweit die Namen von ukrainischen
nationalistischen Politikern wie Bandera und Petljura. Und das auch im
Osten des Landes, wo sich die Begeisterung für neue unantastbare
Nationalhelden eher in Grenzen hält.
## Moral als Schlüsselposition
Der Umstand, dass die bedingungslose Heroisierung der OUN und UPA in der
Ukraine nicht Konsens ist, ist im öffentlichen Diskurs ein Tabu. Das ist
fatal, denn es bedarf einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem
schwierigen Erbe der Vergangenheit. Genau das, und nicht die Verbreitung
emotionalisierter Tweets, wäre die Aufgabe eines nationalen
Gedächtnisinstitutes.
Vor genau fünf Jahren bezeichnete der jetzige ukrainische Präsident Petro
Poroschenko – damals der Notenbank-Aufsichtsrat – in der mit Abstand
populärsten ukrainischen TV-Talkshow die Bereitschaft der Ukrainer, sich
bei den Juden zu entschuldigen, als „einen Test für die europäische Reife
seiner Landsleute“. 76 Prozent der Zuschauer stimmten ihm zu. Sprich: Der
Test war bestanden.
Am Donnerstagabend beging Präsident Poroschenko mit einem Staatsakt in
Anwesenheit internationaler Gäste den 75. Jahrestag von Babi Jar. In der
modernen Ukraine gebe es keinen Platz für Antisemitismus, zitierte ihn
seine Pressestelle. Nein: Einen Kniefall wie den von Willi Brandt von 1970
hätte er nicht tun müssen. Es hätte gereicht, zu wiederholen, was er
bereits vor fünf Jahren in die Kameras gesagt hatte: Die Schlüsselposition
der ukrainischen Gesellschaft sei die Moral. Wolle jemand ein moralischer
Mensch sein, dann entschuldige er sich im Namen der Ukrainer, die damals
bei der Polizei gewesen wären.
Doch jetzt, wo Petro Poroschenko das höchste Staatsamt innehat, mangelt es
ihm offensichtlich an Courage. Europatauglichkeit sieht anders aus.
30 Sep 2016
## LINKS
[1] /75-Jahre-Nazi-Massaker-von-Babi-Jar/!5340549/
## AUTOREN
Irina Serdyuk
## TAGS
Ukraine
Juden in der Ukraine
Shoa
NS-Straftäter
Juden
Ukraine
Holocaust
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