# taz.de -- Raed Saleh und die Berliner SPD: Der Linkspopulist | |
> Raed Saleh will die SPD wieder in den Kiezen verankern. Doch viele in der | |
> Partei sagen, es gehe ihm nur um die Karriere, also die Ablösung von | |
> Michael Müller. | |
Bild: Was hat er vor? Raed Saleh, Fraktionschef der Berliner SPD | |
Um Raed Saleh zu verstehen, muss man nach Spandau fahren. Wer sich mit ihm | |
im Café Charlotte in der Altstadt verabredet hat, braucht Geduld. Immer | |
wieder schauen Passanten vorbei und suchen das Gespräch mit dem Politiker. | |
Saleh ist das Gesicht der SPD in Spandau. Und gleichzeitig ist der | |
39-Jährige, der im Westjordanland geboren und in Spandau heimisch wurde, | |
einer von ihnen. Einer, der die Ärmel hochkrempelt. Bei den jüngsten Wahlen | |
am 18. September hat der Direktkandidat Saleh in seinem Wahlkreis Spandau 2 | |
37,1 Prozent der Erststimmen geholt. Solche Politikertypen sind selten | |
geworden. | |
Um Raed Saleh zu verstehen, muss man auch wissen, warum er das Gespräch mit | |
Medien gerade in Spandau sucht. „Der Raed“ ist nicht nur einer, der es | |
geschafft hat – er will auch, dass man darüber berichtet. Saleh hat ein | |
ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Manche in der Partei nennen ihn einen | |
Ego-Shooter. | |
Selbst macht er keinen Hehl daraus, dass der Fraktionsvorsitz der SPD nicht | |
die letzte Station seiner Politikerkarriere sein muss. Raed Saleh strebt | |
nach Höherem, und das bringt ihn immer wieder in Konflikt zu Michael | |
Müller, dem Regierenden Bürgermeister und seit April auch wieder | |
SPD-Landeschef. | |
## Müller die Leviten gelesen | |
Am Dienstag hat Saleh wieder einmal für Aufregung in seiner Partei gesorgt. | |
In einem Gastbeitrag im Tagesspiegel hat er dem Regierenden Bürgermeister, | |
ohne ihn beim Namen zu nennen, die Leviten gelesen. Und sich selbst und | |
seine Spandauer Erfolgsgeschichte zur Blaupause für eine Erneuerung der | |
Berliner SPD erhoben. | |
In seiner Analyse erzählt er die Geschichte seiner Partei als die einer | |
Entfremdung. Statt als kümmernde Vertreter einer Volkspartei würden die | |
Sozialdemokraten, vor allem am Stadtrand, mehr und mehr als Vertreter einer | |
„Staatspartei“ wahrgenommen. Salehs Gegenrezept: „Die SPD muss immer auf | |
der Seite der Bürger stehen – und einflussreichen Lobbys den Kampf | |
ansagen.“ | |
Die Wortwahl ist bemerkenswert, denn der Begriff „Staatspartei“ ähnelt sehr | |
dem des „Establishment“, das Donald Trump kritisiert. Indem Saleh darauf | |
zurückgreift, um eine wachsende Distanz zwischen Volk und Politik zu | |
beschreiben, macht er sich die Wortwahl der Populisten zu eigen. | |
Dass Saleh die SPD mit einer Hinwendung zum Linkspopulismus retten will, | |
zeigt auch sein Lieblingsthema Lobbyismus. Es ist kein Geheimnis, dass | |
Ex-SPDlern wie Peter Strieder oder Michael Donnermeyer, die bei einer | |
Beraterfirma oder der Kohlelobby angeheuert haben, die Tür zu Salehs Büro | |
im Abgeordnetenhaus verschlossen bleibt. | |
Dieses Engagement ist ehrenwert. Doch Saleh will mit dem Thema Lobbyismus | |
nicht nur eine innerparteiliche Debatte anstoßen. Sein Vorstoß ist auch | |
eine Attacke gegen SPD-Bausenator Andreas Geisel. Dessen Kreisverband | |
Lichtenberg hatte eine Parteispende des Baulöwen Groth angekommen. Zufällig | |
ist Geisel auch Intimus von Michael Müller und stellvertretender | |
Vorsitzender der Berliner SPD. | |
Wenn es ein Zeichen des Populismus ist, dass das Wortgetöse im Zweifel über | |
der Formulierung politischer Ziele steht, dann trifft das auch auf Raed | |
Saleh zu. Mal zeigt er sich an der Seite von Heinz Buschkowsky, dem | |
Ex-SPD-Bürgermeister von Neukölln mit Hang zur steilen Thesen, und fordert | |
klare Kante gegen Schulschwänzer und Intensivtäter nichtdeutscher Herkunft. | |
Mal lobt er die Zusammenarbeit mit seinem CDU-Fraktionschefkollegen. | |
Dann überrascht er wieder mit Vorschlägen, bei denen sich die Fachpolitiker | |
die Haare raufen. „Wir brauchen eine Höchstrendite für Wohnraum“, hatte er | |
im August gefordert und vorgerechnet, dass ein Hausbesitzer, dessen Haus | |
abbezahlt sei und der die Miete ohne Gegenleistung erhöhen will, gestoppt | |
werden müsse. „Es gibt aus meiner Sicht keine Berechtigung für eine solche | |
Gier“, so Saleh wörtlich. Klingt ziemlich antikapitalistisch, ist aber die | |
Sache des Bundes. Populismus also. Realistischer wäre es gewesen, | |
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei seinen Bemühungen zu | |
unterstützen, die Mietumlage bei Modernisierungen deutlich zu reduzieren. | |
Aber vielleicht geht es gar nicht um Inhalte. Vielleicht ist das | |
Vorankommen seiner Person dem Politiker Raed Saleh wichtiger als das | |
Vorankommen der Sache. Im Lager des Regierenden Bürgermeisters kursieren | |
inzwischen mehrere Szenarien über die nächsten Schritte des Genossen aus | |
Spandau. Eines reicht so weit, dass Saleh, der gerade von der Fraktion mit | |
fast 92 Prozent als Vorsitzender bestätigt wurde, die SPD-Abgeordneten | |
davon überzeugen möchte, bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters im | |
Parlament nicht für Michael Müller zu stimmen – um anschließend selbst ins | |
Rennen als Regierender Bürgermeister zu gehen. Genossen, die dem ehemaligen | |
Landesvorsitzenden Jan Stöß nahestehen, werten solche Gerüchte als Versuch, | |
Saleh zu disziplinieren. | |
## Die Machtprobe | |
Eines aber betonen beide Lager: Michael Müller habe weder in der Fraktion | |
noch im Landesvorstand eine ausreichende Mehrheit. Soll heißen: Könnte gut | |
sein, dass Müller demnächst den SPD-Landesvorsitz wieder abgeben darf. Oder | |
– in absehbarer Zeit – auch als Regierender gehen muss. | |
30 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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