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# taz.de -- Berlin wählt am 18. September: Der Anti-Wowereit
> Michael Müller wirkt eher blass und ist doch populär. Er kandidiert
> erstmals für das Amt des Regierenden Bürgermeisters.
Bild: Michael Müller besichtigt die Gebäude der fertig gestellten Staatsoper …
Berlin taz | Unauffällig betritt Michael Müller die Bühne. Ein junger
Sozialdemokrat begrüßt Berlins Regierenden Bürgermeister und drückt ihm das
Mikro in die Hand. „Müller treffen“ heißt die Tour durch die Bezirke der
Hauptstadt, die den Nachfolger von Klaus Wowereit als Politiker zum
Anfassen präsentieren möchte.
Doch vor dem East Gate, einer Shopping Mall in Marzahn, haben sich nur zwei
Dutzend Schaulustige versammelt. Lange Zeit war die Trabantenstadt im Osten
Berlins eine Hochburg der Linken, nun hängen dort vor allem AfD-Plakate.
Müller will wohl Präsenz zeigen. Am 18. September steht Berlins Regierender
Bürgermeister erstmals zur Wahl.
Müller, 51 Jahre alt, groß, schlank, randlose Brille, ist der unauffällige
Typ mit dem Allerweltsnamen, ein Anti-Wowereit, der auch in Marzahn keine
Sprüche klopft, sondern ein paar Sätze zu den steigenden Mieten sagt, zur
sozialen Wohnungsbauförderung und zur Bildung, die in Berlin von der Kita
bis zur Uni kostenfrei ist. Die Berliner Koalition hat das in der Koalition
mit der CDU durchgesetzt.
Die wenigen, die klatschen, gehören zum Wahlkampfteam. Müller zieht sein
Jackett aus und sucht das Einzelgespräch mit den Wählerinnen und Wählern.
„Müller, Berlin“ stand zu Beginn des Wahlkampfs auf den Großplakaten. Man…
einer hat sich da gefragt: Ist Müller wirklich wie Berlin? Oder soll Berlin
etwa werden wie Müller?
## Wo bleibt der Glamour?
Ein Regierender Bürgermeister war noch nie nur Ministerpräsident seines
Landes, sondern immer auch Aushängeschild Berlins. Richard von Weizsäcker
hatte in den 1980ern Glamour und Feingeist nach Westberlin gebracht, Walter
Momper war „der Mann mit dem roten Schal“, und der schwule Wowereit stand
mit seinem Satz, Berlin sei „arm, aber sexy“, für den Aufschwung der
Hauptstadt zur hippen Metropole. Von Michael Müller heißt es, wie einst von
Eberhard Diepgen, er sei blass. Aber das ficht den gelernten Drucker, der
die Schule ohne Abitur abgeschlossen hat, nicht an. „Wenn blass meint, dass
ich nicht jeden Tag den großen Auftritt suche, dann stimmt es“, sagte er
vor kurzem im taz-Interview.
Auch bei seinem Auftritt in Marzahn rockt Müller nicht, er will Probleme
lösen. Das kommt an, wenn die Stimmung gut ist. In Berlin ist die Stimmung
schlecht, obwohl es mit der Wirtschaft der Stadt bergauf geht. Die Mieten
steigen, die Bürgerämter sind bis heute Warteämter. Seit Monaten sinken die
Umfragewerte der SPD. Die jüngste sieht sie bei 24 Prozent. Die Luft wird
dünn für den Regierenden Bürgermeister.
Dabei war er überraschend gut gestartet. Als Klaus Wowereit im Sommer 2014
auf dem Höhepunkt der BER-Krise wissen ließ, dass er 2016 nicht wieder
antreten werde, warf Müller seinen Hut in den Ring. Bei der SPD-Basis, die
in einer Urwahl darüber entscheiden sollte, wer Wowereit beerbe, kam das
an. Müller war lange SPD-Fraktionschef und 2011 von Wowereit als
Stadtentwicklungssenator in den Senat geholt worden.
## Müller will investieren
Er konnte also mit Erfahrung punkten. Und mit Bodenständigkeit. Die
Tatsache, dass er neben seinem Job in der Partei bis 2011 als Drucker in
der Druckerei seines Vaters in Berlin-Tempelhof gearbeitet hatte, war
Balsam auf manch sozialdemokratische Seele. Da hat einer den Aufstieg nach
oben geschafft, ohne Allüren. Demgegenüber standen seine Konkurrenten –
SPD-Fraktionschef Raed Saleh und der Ex-Landesvorsitzende Jan Stöß – da wie
unerfahrene und übermotivierte Selbstdarsteller. Müller gewann im ersten
Wahlgang mit 59,1 Prozent.
Den Wechsel von Klaus Wowereit zu Michael Müller haben nicht nur die
eigenen Genossen als Neustart empfunden. In den persönlichen
Beliebtheitswerten lag Berlins neuer Regierungschef weit vor dem
CDU-Innensenator und späteren Spitzenkandidaten Frank Henkel. Doch der
Flughafen BER war immer noch eine Baustelle, Müller entschied sich auch
hier für einen Neustart. Während Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar
Woidke (SPD) nur einen Staatssekretär in den Aufsichtsrat entsandte,
stellte sich Müller der Aufgabe. Gleichwohl steht über dem Eröffnungstermin
des BER ein großes Fragezeichen. Die Grünen werfen Müller deshalb vor, eine
erneute Verschiebung erst nach der Wahl bekannt geben zu wollen.
Doch auch Grüne und Linke begrüßten die Entscheidung für Müller. Der legte
ein hohes Tempo vor. Mit Matthias Kollatz-Ahnen holte er einen Parteilinken
als Finanzsenator, Bausenator wurde der hemdsärmlige Bezirkspolitiker
Andreas Geisel. Mit diesen beiden legte Müller neue Förderprogramme für den
sozialen Wohnungsbau auf und verdonnerte die sechs landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften zum Neubau. Als Stadtentwicklungssenator war er
an der Blockadepolitik des damaligen Finanzsenators verzweifelt.
Müller aber will nicht nur sparen, er will auch investieren. „Vor uns liegt
ein Jahrzehnt der Investitionen“, dieser Satz gehört zu seinen
Wahlkampfclaims. Auch das eine Abkehr von der Politik Wowereits. Der hatte,
als er 2002 mit der damaligen PDS koalierte, angekündigt, dass man nun
sparen wolle, „bis es quietscht“.
## Locker bei den Kreativarbeitern
Es gibt Häppchen, Riesling und einen wunderbaren Blick von der
Dachterrasse. Eine Werbeagentur in Berlin-Mitte hat Michael Müller zum Come
together geladen. Ein Wahlkampfformat, bei dem es vor allem gilt, eine gute
Figur zu machen. Der sonst so spröde Müller wirkt bei seiner Rede vor den
Kreativarbeitern gelöst, mitunter sogar witzig. „Ich habe eine Bitte“, sagt
er am Ende. „Gehen Sie wählen. Und wählen Sie eine demokratische Partei.“
Ohne dass er den Namen AfD ausspricht, wissen alle, worum es geht.
Die Botschaft kommt an. Noch nie haben die Berliner Sozialdemokraten so
sehr für ein weltoffenes, tolerantes Berlin geworben, sogar mit einer Frau,
die Kopftuch trägt, hat sich Müller ablichten lassen. Mit dem Auftritt in
der Werbeagentur, die sonst Umweltkampagnen ausrichtet und für die
Kulturszene arbeitet, will Müller auch das grüne Milieu erreichen. Anders
als Wowereit ist Michael Müller, obwohl beide aus einfachen Verhältnissen
stammen, kein Grünenfresser.
Mitte August hat der sonst so vorsichtige Müller im bis dahin eher
gemächlich dahinplätschernden Berliner Wahlkampf eine kleine Bombe platzen
lassen. Mit der „Henkel-CDU“, ließ er wissen, werde es nach dem 18.
September keine Koalition mehr geben. Stattdessen strebe er Rot-Grün an.
Das war auch in der eigenen Partei nicht unumstritten. Fraktionschef Saleh
fand es „schwierig, vor der Wahl über Koalitionen zu spekulieren“, hätte …
also vorgezogen, alle Türen offen zu halten.
## Klare Positionierung
Doch Müller konnte zu diesem Zeitpunkt handeln, wie er wollte. Schon im Mai
hatte er Jan Stöß als Landeschef der Berliner SPD abgelöst – und nebenbei
gezeigt, dass er auch „Macht kann“. Rot-Grün als Wahlaussage war auch ein
Abrücken von Klaus Wowereit. Der hatte sich 2011 für die CDU entschieden,
obwohl es auch für Rot-Grün gereicht hätte.
Müllers Kalkül ging auf. Prompt folgten ihm die Grünen und schlossen
ihrerseits eine Koalition mit der CDU aus. Seitdem zweifelt keiner in der
Hauptstadt, dass Berlin nach der Wahl von einem Linksbündnis regiert wird.
Weil Rot-Grün weit von einer Mehrheit entfernt ist, kann sich auch die
Linke gute Chancen ausrechnen, in einem Dreierbündnis dabei zu sein. Wo
Wowereit auf Nummer sicher ging, liebäugelt der spröde Anti-Wowereit mit
dem Experiment.
Gleichwohl bleibt die Berliner SPD hinter den Beliebtheitswerten ihres
Regierungschefs zurück. Der hätte zuletzt bei einer Direktwahl 59 Prozent
der Stimmen auf sich vereinigen können, Frank Henkel dagegen nur 19
Prozent. Seit 27 Jahren sind die Sozialdemokraten an der Regierung
beteiligt, die Partei macht einen oft zerstrittenen Eindruck. Seit der
jüngsten Fernsehrunde im RBB wird der Abstand in den Umfragen zur CDU, aber
auch zu Grünen und Linken wieder größer. Müller hofft im letzten Moment
noch auf den Ministerpräsidenteneffekt, der auch Erwin Sellering am 4.
September zum Wahlsieger gemacht hat. Allerdings würde es Müller nie in den
Sinn kommen, so wie Sellering in Richtung der AfD-Wähler zu blinken.
Auch in Berlin-Marzahn hat Michael Müller, bevor er von der Bühne ging,
davon gesprochen, dass Berlin weltoffen und tolerant bleiben müsse.
Vorgänger Klaus Wowereit sieht sich inzwischen als „letzten
Ministerpräsident Deutschlands, der polarisiert hat“. Aber mit Polarisieren
alleine würde er heute auch keine Wahlen mehr gewinnen können.
Müller selbst sagt, er und Wowereit hätten einen ganz anderen Stil. „Klaus
Wowereit ist extrovertierter und öffentlich präsenter. Ich bin da ein
bisschen zurückgenommener, ein bisschen ruhiger.“ „Müller, Berlin“,
vielleicht passt das ja doch.
16 Sep 2016
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
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