| # taz.de -- Wahlkampf der Sozialdemokraten: „Die SPD muss zu sich zurückfind… | |
| > Fraktionschef Raed Saleh sagt, seine Partei müsse wieder Politik für die | |
| > einfachen Menschen machen. Nur so könne sie verhindern, Wähler an die AfD | |
| > zu verlieren. | |
| Bild: SPD-Fraktionschef Raed Saleh im August 2016 | |
| taz: Herr Saleh, die SPD macht seit Wochen heftig Wahlkampf. In der | |
| neuesten Umfrage liegt die Partei trotzdem nur bei 21 Prozent. Was läuft | |
| falsch? | |
| Raed Saleh: Wahlen sind heute nicht mehr so planbar wie noch vor einigen | |
| Jahren, was auch mit der veränderten Parteienlandschaft zu tun hat. Ich | |
| verstehe das auch als Auftrag an die Parteien, wieder zu versuchen, die | |
| eigenen Themen nach vorne zu bringen. | |
| Genau das tun Sie doch seit Monaten. | |
| Wir versuchen das permanent. Wir müssen jetzt die letzte Woche vor der Wahl | |
| nutzen, um die noch nicht entschlossenen Wähler zu überzeugen, dass Berlin | |
| bei der SPD in guten Händen ist. | |
| Gibt es in Berlin anders als in Mecklenburg-Vorpommern keinen | |
| Ministerpräsidentenbonus? | |
| Doch. Ich merke auf der Straße, dass viele mit Michael Müllers Arbeit sehr | |
| zufrieden sind. Aber Berlin hat sich in den letzten Jahren verändert. Bei | |
| vielen weckt das auch Ängste, die Menschen sind verunsichert. Ich gehe seit | |
| anderthalb Jahren zu Gesprächen in Stammkneipen. Da höre ich, dass manche | |
| Menschen, die traditionell der SPD nahe stehen, jetzt darüber nachdenken, | |
| die AfD zu wählen. Sie haben das Gefühl, dass wir für sie, für die | |
| normalen, einfachen Leute, immer weniger tun. | |
| Was sagen Sie denen? | |
| Dass wir uns darum bemühen, allen Kindern die gleichen Aufstiegschancen zu | |
| bieten, egal ob sie in Dahlem oder Heerstraße Nord geboren sind. Dass wir | |
| Sozialarbeiter eingestellt und 20.000 neue Kita-Plätze geschaffen haben. | |
| Dass wir in der Mietenpolitik ein Bündel von Maßnahmen beschlossen haben. | |
| Die Mieten steigen trotzdem. | |
| Ja, wir haben den Prozess erst verschlafen. Aber inzwischen haben wir den | |
| Hebel umgelegt. Man muss den Leuten zeigen, dass man ihre Sorgen im Blick | |
| hat. Dann kann man sie auch zurückholen. | |
| Noch hat das nicht geklappt, sonst wären die Umfrageergebnisse andere. Was | |
| wäre denn für Sie am 18. September ein Erfolg? | |
| Wir kämpfen jeden Tag hart dafür, dass wir stärkste Kraft werden. | |
| Nennen Sie doch einfach eine Zahl. | |
| Ich nenne keine Zahl. Mein Ziel ist es, dass die SPD mit Abstand stärkste | |
| Kraft bleibt. | |
| Zwei Prozent Abstand zur CDU wären okay? | |
| Ich finde es respektlos, über Zahlen zu spekulieren, die liefern am Ende | |
| die Berlinerinnen und Berliner. | |
| Sie haben sich besonders für die beitragsfreie Kita eingesetzt. Das zahlt | |
| sich für die SPD aber offenbar nicht aus. Sind die BerlinerInnen undankbar? | |
| Nein. Ich teile viele Sorgen der Menschen. Sie haben das Gefühl, nicht mehr | |
| teilzuhaben. Die Sozialdemokratie muss sich wieder besser vernetzen, in | |
| Sport- und Kulturvereine gehen, in Kleingartenkolonien, den Menschen | |
| zuhören. Damit wir wieder die ersten sind, die Probleme erfahren. Die SPD | |
| muss wieder zu sich zurückfinden. | |
| Das heißt? | |
| Sie muss die Partei sein, die die Interessen der Menschen vertritt, die | |
| hart arbeiten, um sich und ihre Familie über die Runden zu bringen. Die SPD | |
| muss die Partei sein, die den Lobbyisten den Kampf ansagt. Vor allem muss | |
| die SPD wieder anfangen zu träumen, über den Tag hinaus, sie muss | |
| radikalere Forderungen stellen. | |
| Zum Beispiel? | |
| Zum Beispiel beim Thema Wohnen. Wir haben da viel gemacht, aber wir müssen | |
| weiter gehen. Warum reden wir nicht über Grenzen von Gewinnen bei Wohnraum? | |
| Eine Kampfansage an die Eigentümer von Grund und Boden. | |
| Eigentum verpflichtet. Ich finde, man muss der Gier und dem Egoismus auf | |
| dem Immobilienmarkt Grenzen setzen. Es gibt keine Berechtigung für | |
| permanente Mieterhöhungen. Wir lassen derzeit von Juristen auf Bundesebene | |
| prüfen, was da machbar ist. | |
| Linkspartei und Grüne würden solche Plänen sicher eher unterstützen als die | |
| CDU. War es richtig, dass Michael Müller eine Neuauflage der Koalition mit | |
| der „Henkel-CDU“ ausgeschlossen hat? | |
| Ja, die Schnittmengen mit der CDU sind verbraucht. | |
| War es auch richtig, dass sich Müller auf die Grünen festgelegt hat? | |
| Michael Müller hat recht, wenn er sagt, die CDU erwecke derzeit nicht den | |
| Eindruck einer modernen Großstadtpartei. Wenn Innensenator Frank Henkel die | |
| doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen will, dann merkt man: Er hat diese | |
| Stadt nicht verstanden. | |
| Die Frage war, ob sich Müller zu recht auf die Grünen festgelegt hat. Ja? | |
| Nein? | |
| Ich unterstütze den Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters, wenn er sagt, | |
| mit der CDU gehe es so nicht weiter… | |
| … aber Sie sind skeptisch, ob es mit den Grünen geht. | |
| Ich bin überzeugt, dass die Grünen sich in den letzten Jahren so entwickelt | |
| haben, dass sie regierungsfähig sind. Rot-grün wäre eine gute Option für | |
| die Stadt. Ich finde es aber schwierig, vor der Wahl über Koalitionen zu | |
| spekulieren. | |
| Michael Müller tut das. | |
| Sie fragen ja gerade mich. Ich persönlich halte es für richtig, dass man | |
| für die eigenen Inhalte kämpft. Der Souverän entscheidet am 18. September, | |
| dann wird man weitersehen. | |
| Was sind Ihre persönlichen Ziele für die Zeit nach der Wahl? | |
| Ich hoffe, dass ich meinen Wahlkreis gewinne, ich möchte gerne die Arbeit | |
| der letzten Jahre fortsetzen und wieder Fraktionschef werden. | |
| Glaubt man den Umfragen, läuft es auf eine Dreierkonstellation hinaus. Drei | |
| Fraktionen zusammenzuhalten dürfte schwieriger werden als zuletzt zwei. | |
| Das ist eine Frage der Professionalität. Man muss sein Gegenüber | |
| respektieren, dann geht das auch zu dritt. Man muss wissen, dass die | |
| anderen Parteien ihre eigenen Werte und Inhalte haben, mit denen sie in | |
| einer Koalition gleichberechtigt vorkommen wollen. | |
| Sie selbst haben sich 2014 auch um das Amt des Regierenden Bürgermeisters | |
| beworben. Wie lange hat Sie die Niederlage gewurmt? | |
| Natürlich habe ich, als das damals gelaufen ist, darüber nachgedacht. Aber | |
| gewurmt hat es mich nicht. Die Sache ist geklärt. | |
| Es gab zuletzt immer wieder Gerüchte über einen möglichen Putsch in der | |
| SPD. Da wurde auch Ihr Name genannt. Alles Quatsch? | |
| Alles Quatsch. Wenn Sie mehr über diese Gerüchte wissen wollen, dann müssen | |
| Sie die fragen, die sie in die Welt setzen. Ich habe keine Zeit und keine | |
| Nerven für sowas. Wir arbeiten hart dafür, stärkste Kraft zu werden. | |
| Und falls das nicht klappt, wären Sie der neue starke Mann in der SPD? | |
| Wir haben einen starken Mann namens Michael Müller. | |
| Bitte beenden Sie folgende Sätze: Ich bewundere Michael Müller für… | |
| … seine konsequente Haltung im Kampf für eine freie, menschenfreundliche, | |
| vielfältige Stadt und wie er der AfD Paroli bietet. | |
| Ich kritisiere an Michael Müller… | |
| … gar nichts. Wenn ich was zu kritisieren habe, dann intern. Wir reden | |
| mehrmals am Tag miteinander, leider manchmal auch spätabends. Ich | |
| telefoniere lieber frühmorgens. | |
| Ein Ziel der SPD war es, die AfD aus dem Abgeordnetenhaus rauszuhalten. Das | |
| klappt wohl nicht. Was bedeutet der Einzug der AfD ins Parlament? | |
| Das wäre bitter für die Stadt. Wenn die AfD ins Parlament einzieht, müssen | |
| wir demokratischen Parteien sie inhaltlich stellen. So wie die | |
| Schill-Partei in Hamburg: Als es um die konkrete Arbeit ging, wurde sie | |
| entzaubert. Das wäre mein Wunsch, meine Hoffnung auch für den Umgang mit | |
| der AfD in Berlin. | |
| 12 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Antje Lang-Lendorff | |
| Uwe Rada | |
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