| # taz.de -- Bilanz Berliner Wahlkampf: Der Wahlkrampf – oder: War da was? | |
| > Drei Tage noch: Die Stadt ist voller Plakate, Politiker reden, schalten | |
| > Anzeigen, schreiben Gastbeiträge. Aber was kam an? Drei Rückblicke. | |
| Bild: Noch drei Tage, dann ist er vorbei: Wahlkampf in Berlin | |
| Ist das Ideenlosigkeit? | |
| Hallo? War Wahlkampf? Wenn ja, ist er an meinem erstwählenden Kind | |
| vorbeigegangen. Dabei interessiert sich das junge Wesen durchaus für | |
| Politik, guckt Nachrichten, liest Zeitung, hört Radio. | |
| Doch die Fragen, was Parteien auf Landesebene gegen steigende Mieten tun, | |
| wer sich im Bezirk für ein Anwohnerparkrecht einsetzt – Themen also, die | |
| das erstwählende Kind beschäftigen –, wurden dabei offenbar nicht | |
| beantwortet. | |
| Kein Wunder: Die SPD wirbt in unserem Wahlkreis mit dem völlig | |
| politikfreien Spruch „Berlin macht Bock, Neukölln macht Böcker“. Die Grü… | |
| wiederum preisen sich damit an, dass sie mehr Baumscheiben bepflanzen | |
| wollen, und richten sich damit offenbar an jene WählerInnen, für die die | |
| hier in Nordneukölln um rapide steigenden Mieten kein Problem darstellen. | |
| Selbst die Piraten, auf deren Plakaten durchaus manchmal (politische) | |
| Aussagen stehen, werben in unserer Straße mit einer politischen Nullaussage | |
| in Handschrift: „Wir machen alles selbst. Auch unsere Plakate.“ | |
| Sogar wer – wie wir JournalistInnen – die Chance hat, Wahlkampf | |
| mitzubefeuern, konnte in diesem Jahr Ungewöhnliches erleben. Was ist davon | |
| zu halten, wenn eine Integrationssenatorin, die wiedergewählt werden will, | |
| in einem Interview mitten im Wahlkampf Sätze sagt wie, sie habe bei ihrem | |
| Amtsantritt ja bereits gute integrationspolitische Konzepte vorgefunden: | |
| „Wir mussten nicht alles neu erfinden.“ | |
| Ist das Bescheidenheit? Ehrlichkeit? Ideenlosigkeit? Oder liegt es vielmehr | |
| daran, dass viele PolitikerInnen angesichts der Mietpreisentwicklung und | |
| der BER-Pannenserie über selbst gemachte Fehler lieber nicht mehr reden | |
| wollen? Und dass andere, die (noch) in der Opposition sind, sich mögliche | |
| Koalitionen nicht verderben wollen – oder selbst auch keine besseren | |
| Vorschläge haben? | |
| Eins ist es jedenfalls definitiv nicht: ein Wahlkampf, der potenzielle | |
| (Neu-)WählerInnen anspricht. Alke Wierth | |
| Ein bisschen Inhalt | |
| Klar: Es gibt jede Menge Wahlplakate, die keine politischen Inhalte | |
| vermitteln. Es gibt bescheuerte Wortspiele, leere Parolen und nichts | |
| sagende Bilder. Und es gibt in diesem Wahlkampf eine seltsame Abwesenheit | |
| von Themen, die eigentlich als gesetzt galten: Der BER und das damit | |
| zusammenhängende politische Desaster spielt praktisch keine Rolle; die | |
| Versorgung von Flüchtlingen, monatelang das Aufregerthema Nummer 1, ist | |
| kaum Thema, ebenso wenig wie der Ausbau der A100, obwohl doch | |
| stadtplanerisch von größter Bedeutung. | |
| Aber: Inhaltsleer ist dieser Wahlkampf trotzdem nicht, jedenfalls nicht | |
| mehr als zurückliegende: 2011 lautete der Claim der SPD „Berlin verstehen“ | |
| – im Vergleich damit sind die „Berlin bleibt …“-Sätze der diesjährigen | |
| Kampagne ein inhaltliches Feuerwerk, denn immerhin kommt da noch ein | |
| Eigenschaftswort. Und auch die Motive – Menschen in Schwarzweiß, mal mit, | |
| mal ohne milde lächelndem Klaus Wowereit an ihrer Seite – waren nicht | |
| aussagekräftiger als die unscharfen Müller-Bilder heute. | |
| Und auch wenn wichtige Themen fehlen, sind andere sehr wohl präsent: Um | |
| Positionen und Vorschläge zu dem Problem steigender Mieten und Verdrängung | |
| kommt heute, anders als noch 2011, fast keine Partei mehr vorbei. Nicht | |
| zuletzt dank des Fahrrad-Volksentscheids gibt es hitzige Diskussionen über | |
| das sonst eher langweilige Thema Verkehr. Die rechten Parteien rücken das | |
| Thema innere Sicherheit in den Fokus, gleichzeitig entfachte das – | |
| wahlkampfgeprägte – Vorgehen gegen die Rigaer Straße eine Diskussion über | |
| Polizeischikane und städtische Freiräume. | |
| Nicht zu vergessen: Der Erfolg der AfD schockiert, aber er gibt auch Anlass | |
| zu Diskussionen über Politikverdrossenheit, soziale Gerechtigkeit und die | |
| Frage, wo Rassismus anfängt und wie er bekämpft werden kann. Das sind | |
| Inhalte dieses Wahlkampfs – ob es ausreicht, was die Parteien dazu zu sagen | |
| haben, steht auf einem anderen Blatt. Malene Gürgen | |
| Profilierung? Nicht doch | |
| Noch drei Tage bis zur Berlin-Wahl – und irgendwie hat man das Gefühl: Sie | |
| ist eigentlich schon längst gelaufen. Rot-Grün-Rot wird kommen, sagen die | |
| Umfragen der Meinungsforschungsinstitute seit Wochen. Und praktischerweise | |
| will der Regierende Michael Müller (SPD) auch noch das Gleiche: Rot-Grün, | |
| und weil ein Zweierbündnis wegen einer starken AfD keine Mehrheit hätte, | |
| eben die rechnerisch mit Abstand einzige Möglichkeit: Rot-Grün-Rot. | |
| Harmonie ist immer schön. Für einen Wahlkampf, der die Wähler mitreißen | |
| soll, ist das jedoch tödlich. Statt sich gegeneinander abzugrenzen mit | |
| Positionen, mit Kreativität, mit Köpfen, fanden in den vergangenen Wochen | |
| vorgezogene Koalitionsverhandlungen statt. | |
| Beispiel Thema Bildung: In Elternnetzwerken ist der Frust über die kaputten | |
| Berliner Schulen und den wachsenden Platzmangel riesig. Das hätte | |
| interessant werden können, und es wäre ein Leichtes gewesen, sich die | |
| Elternwut im Wahlkampf zunutze zu machen. Das passierte nicht – weil SPD, | |
| Grüne und Linke plötzlich alle mehr oder weniger das gleiche | |
| Schulbaukonzept vorlegten. | |
| Genauso bei den Fachkräften: Ein Drittel der Neueinstellungen von | |
| SPD-Bildungsenatorin Sandra Scheeres sind inzwischen Quereinsteiger ohne | |
| Lehramtsausbildung. In den Lehrerzimmern sorgt das für Spannungen: Viele | |
| betrachten die Berufsneulinge mit Misstrauen. Die Eltern sind verunsichert. | |
| Grüne und Linke jedoch blieben auffallend still. Die Zahl der | |
| Schulabbrecher, gegen die man kein Konzept fand? Tja, muss auch irgendwie | |
| besser werden, finden alle unisono. | |
| Einige relevante Themen wurden schon identifiziert – in den | |
| Parteiprogrammen, mitunter entdeckte man sie auch als Schlagzeile auf den | |
| Wahlplakaten, und ja, auch daheim am Küchentisch wurde diskutiert. Aber die | |
| Dreierkoalition in spe hatte schlicht kein Interesse daran, sich | |
| gegenseitig mit diesen Themen zu piesacken. | |
| Den Wählern schliefen derweil unterm Küchentisch die Füße ein. Anna Klöpper | |
| 15 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Alke Wierth | |
| Malene Gürgen | |
| Anna Klöpper | |
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