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# taz.de -- Grüne in Friedrichshain-Kreuzberg: Gutmensch steht zur Wahl
> Es wird spannend: Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann will zum ersten
> Mal gewählt werden. Sie steht hart in der Kritik.
Bild: Monika Herrmann steht zu den Fehlern ihrer Politik
Berlin taz |An den Laternenmasten in Friedrichshain-Kreuzberg hängen
Plakate, die aussehen wie Schilder an Grenzübergängen. „Herzlich willkommen
im grün-links versifften Sektor“ steht darauf. Oder: „Herzlich willkommen
bei den Gutmenschen“. Es ist die Wahlwerbung der Grünen, stärkste Partei in
dem Berliner Innenstadtbezirk. Richtig ironisch gemeint ist die Kampagne
nicht. „Die Grünen sind der Antipode zur AfD, das gilt auch für den
gesamten Bezirk“, sagt Bürgermeisterin Monika Herrmann. Ein Parteikollege
ergänzt: „Wir sind anders. Und wir wollen auch anders bleiben.“
Monika Herrmann, kurze Haare, laute Lache, hat das Amt im August 2013
übernommen, ihr Vorgänger Franz Schulz hörte aus gesundheitlichen Gründen
auf. Nun steht Herrmann erstmals als Bürgermeisterin zur Wahl. Das dürfte
spannend werden. Denn kaum etwas war in Berlin so umstritten wie die grüne
Bezirkspolitik in den drei Jahren ihrer Amtszeit. Auch deshalb, weil die
Grünen tatsächlich versucht haben, Dinge anders zu machen.
Zum Beispiel am Oranienplatz. Im Herbst 2012 schlugen Flüchtlinge dort ihre
Zelte auf, um gegen die deutsche Asylpolitik zu protestieren. Der
Bürgermeister, damals noch Schulz, hieß sie willkommen. Die Grünen teilten
viele der Forderungen und wollten ein Zeichen setzen. Die Flüchtlinge
harrten viele Monate mitten in Kreuzberg aus, die hygienischen Zustände
waren miserabel, die Versorgung war es auch. Anwohner protestierten.
Doch es fehlte eine Exitstrategie. „Es war ein Kardinalfehler, dass wir das
nicht vom Ende her gedacht haben“, sagt Herrmann heute. Nach vielem Hin und
Her handelte der Senat mit den Flüchtlingen aus, dass sie den Platz doch
räumen. Was, wenn dort heute wieder Flüchtlinge ihre Zelte aufschlagen
würden? „Eine neue Besetzung würde ich nicht zulassen“, sagt Herrmann.
## „Grenzerfahrung“: Im Juni 2014 rief Herrmann die Polizei
Ihr Vorgänger hatte auch akzeptiert, dass die Flüchtlinge vom Oranienplatz
die leer stehende Gerhart-Hauptmann-Schule besetzten. Was als
Winterquartier gedacht war, wurde zur Dauerlösung mit eigener Dynamik:
Afrikaner strandeten hier, Roma aus Südosteuropa, Obdachlose. Das
Bezirksamt ging – in guter Besetzertradition – davon aus, dass sich die
BewohnerInnen selbst organisierten. „Das war völlig naiv“, sagt Herrmann.
Immer wieder gab es Streit im Haus. Im April 2014 wurde ein Marokkaner
erstochen.
Der Bezirk versuchte, mit den Besetzern zu verhandeln, ohne Erfolg. Im Juni
2014 rief Monika Herrmann schließlich die Polizei zu Hilfe, die das Viertel
um die Schule abriegelte. Ein großer Teil der BewohnerInnen verließ das
Haus, doch der harte Kern blieb. Einige Flüchtlinge drohten mit Suizid,
sollte die Polizei das Gebäude räumen.
Als „Grenzerfahrung“ bezeichnet Herrmann diese Tage. „Ich war sicher: Wenn
wir mit der Polizei reingehen, dann springen Leute vom Dach. Das war es mir
nicht wert.“ Sie sei wie erstarrt gewesen, erzählt die Bürgermeisterin.
„Was war richtig, was war falsch? Das weiß ich bis heute nicht.“
## Es gibt auch andere Themen im Bezirk
Knapp eine Woche geschah nichts. Die Polizei drohte, ihre Beamten wieder
abzuziehen. Stadtrat Hans Panhoff, ebenfalls Grüner, verlor schließlich die
Geduld und bat die Polizei um Räumung. Dann kam es doch zur Einigung: Die
Flüchtlinge durften in einem Teil des Gebäudes bleiben.
Herrmann wurde von allen Seiten angefeindet. Linksradikalen galt sie als
Verräterin. Sie hinterließen Parolen im Flur ihres Wohnhauses, Herrmann
bekam Personenschutz. Andere wiederum warfen ihr Entscheidungsunfähigkeit
vor.
Seit dem Sommer 2014 zahlt der Bezirk einen Sicherheitsdienst. Der soll
verhindern, dass wieder mehr Leute in die Schule ziehen. Fünf Millionen
Euro hat die besetzte Schule den Bezirk inzwischen gekostet. Nach weiteren
zwei Jahren erfolgloser Verhandlungen wollen Herrmann und Kollegen nun doch
bald räumen lassen.
Es gibt aber auch andere Themen im Bezirk. So hat Friedrichshain-Kreuzberg
deutlich mehr Milieuschutzgebiete ausgewiesen als andere Stadtteile, um
Menschen vor steigenden Mieten zu bewahren. Auch für ihren Versuch,
Coffeeshops zu eröffnen, bekam Herrmann viel positive Rückmeldungen. Was
jedoch die Großthemen Oranienplatz und besetzte Schule angeht, fällt die
Bilanz der „anderen“ Kreuzberger Politik bescheiden aus.
## Neue Wege für alte Ziele
„Herrmann hat so rumgeeiert, die kann ich nicht mehr wählen“, sagt ein
Lehrer aus Friedrichshain. Mehrere Millionen auszugeben für ein paar
Besetzer, das gehe ihm nicht in den Kopf, sagt ein anderer ehemaliger
Grünenwähler. Jemand, der viele politisch Aktive im Bezirk kennt, sagt,
Monika Herrmann sei zwar hoch umstritten gewesen. Inzwischen überwiege aber
die Haltung, sie sei „weniger schlimm als alle anderen“.
Herrmann selbst sagt, an ihren politischen Zielen halte sie fest. Aber sie
müsse andere Wege dafür finden. Sie müsse sich in Krisensituationen mehr
Zeit zum Überlegen nehmen, einen klaren Kopf bewahren. „Wenn man aus dem
Druck nicht rauskommt, kann man nicht mehr denken.“
Wenn Monika Herrmann etwas wirklich anders macht als andere Politiker, dann
ist es, offen über Fehler zu sprechen.
18 Sep 2016
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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Silke Gebel
Gerhart-Hauptmann-Schule
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