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# taz.de -- DGB-Demo zum 1. Mai: Kein unpolitisches Bratwurstfest
> Rund 14.000 Gewerkschafter feiern den 1. Mai und sich selbst am
> Brandenburger Tor. Die taz war mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh
> unterwegs.
Bild: Heraus zum 1. Mai: Der Regierende Michael Müller (SPD) in der ersten Rei…
Wenn einer auf der traditionellen Gewerkschafter-Demo zum 1. Mai so richtig
in seinem Element ist, dann Raed Saleh. Geduldig lässt sich der
SPD-Fraktionschef von der anwesenden Basis aus den Ortsverbänden herzen,
schüttelt Gewerkschafterpranken, steckt sich selbstverständlich auch die
rote Nelke des Deutschen Gewerkschaftsbunds ans Revers, und schaltet
gekonnt auf 1.-Mai-Rhetorik: „Wir müssen als Sozialdemokraten wieder mehr
wagen für eine solidarische Gesellschaft. Wir müssen uns trauen, zu
träumen.“
Die Verdi-Seniorengruppe lächelt versonnen, und auch der Fraktionschef ist
ganz ergriffen von so viel Nähe zur Basis. Deshalb sei die DGB-Demo für ihn
so wichtig, sagt er treuherzig: „Das ist für mich jedes Jahr ein
Zurück-zu-den-Wurzeln.“
Tatsächlich ist die alljährliche DGB-Kundgebung vor dem Brandenburger Tor
vor allem eine große Wohlfühlveranstaltung. Auch wenn die politische Agenda
bei den Gewerkschaftern natürlich Ehrensache ist: die DGB-Jugend ruft nach
höheren Löhnen für Azubis, die IG Metaller machen sich Gedanken um
Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge, die verdi-Seniorinnen sind noch nicht über
die Hartz-IV-Reformen von Ex-Kanzler Gerhard Schröder hinweg.
Aber so richtig ernsthaft blättert niemand die Broschüren an den Ständen
von Gewerkschaften, Parteien durch. Es geht um Schlagworte, man ist sich
einig: CDU und Grüne stehen nebeneinander und sind zusammen gegen das
Freihandelsabkommen TTIP. Die AfD müsse man gemeinsam aufhalten, insistiert
eine Dame von den Grünen in Richtung Saleh. „Absolut.“
Hier geht es ums Sehen und Gesehen-werden, gerne mit Bratwurst in der Hand.
Soll man also die bierselige Volksfeststimmung – bei den IG Metallern ist
schon um elf Uhr Schluss mit Kaffee – als unpolitische
Bratwurstveranstaltung schmähen? Mehr Ernsthaftigkeit fordern, und weniger
Phrasendrescherei („Mehr Zeit für Solidarität“, das diesjährige Motto)
erwarten?
## „Schon ein geiles Gefühl“
Den Reflex kann man haben. Aber die Gelassenheit, mit der die laut
DGB-Angaben rund 14.000 Menschen, die sich zur Abschlusskundgebung vorm
Brandenburger Tor versammelt haben, den Reden ihrer Gewerkschaftsoberen und
des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller gemessen beklatschen, haben
auch etwas sehr Selbstbewusstes.
Seht her, wir sind wer, wir sind eine Macht und das können wir auch ruhig
mal ganz gelassen feiern: Das ist die eigentliche politische Botschaft
hier.
Am Stand der IG-Metall-Jugend kreist die Wasserpfeife. Hier feiert man ganz
konkret und kämpferisch: „Wir wollen, dass die Löhne der Azubis an die der
Beschäftigten angeglichen werden“, sagt ein junger Arbeiter aus der
Produktion im Mercedes-Werk Marienfelde. Berlin ist bei dieser Lohnlücke
weit hinten im bundesweiten Vergleich, im April scheiterte eine zweite
Tarifrunde zwischen Arbeitgebern und IG Metall. „Aber als wir da mit
unserem Demozug um den Ernst-Reuter-Platz gezogen sind, das war schon ein
geiles Gefühl“, sagt der 26-Jährige.
## „Keine Ausnahmen beim Mindestlohn“
Gemeinschaftsgefühl, das ist es offenbar auch, was die Jugend in die
Gewerkschaft zu ziehen vermag. „Ein paar Jahre war Flaute, aber jetzt haben
wir wieder verstärkt Zulauf“, nickt ein ergrauter IG-Metaller. „Man muss
den Jugendlichen eben klar machen, was Gewerkschaft heißt“, sagt die
19-jährige Luisa am Stand der DGB-Jugend, und zählt auf, worüber sie etwa
mit SchülerInnen an Projekttagen spricht: Wie man sich gegen Sexismus am
Arbeitsplatz wehrt, gegen Rassismus. „Ganz konkrete Dinge.“
Ihre Kollegin Rabea ergänzt, sie sei ziemlich wählerisch geworden, was
ihren Ausbildungsplatz zur Rechtsanwaltsfachangestellten angehe: „Ich habe
eine Zusage, aber da müsste ich jeden Tag zehn Stunden arbeiten mit nur 30
Minuten Pause. Da finde ich noch etwas Besseres“, sagt sie selbstbewusst.
Auf der zentralen Bühne wettert SPD-Arbeitssenatorin Dilek Kolat gegen
prekäre Minijobs, zuvor hat der Regierende Müller zu „Solidarität“ mit d…
Geflüchteten aufgerufen. „Gleich richtige Jobs für Flüchtlinge, keine
Ein-Euro-Jobs, keine Ausnahmen beim Mindestlohn“, sagt Fraktionschef Saleh
und nickt. Da traut sich einer zu träumen.
1 May 2016
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Tag der Arbeit, Tag der Proteste
Gewerkschaft
Raed Saleh
Brandenburger Tor
Schwerpunkt Landtagswahlen
Schwerpunkt TTIP
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