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# taz.de -- Horst Seehofers Flüchtlingspolitik: Der Pate der Rechtspopulisten
> Der bayerische Ministerpräsident hat die AfD salonfähig gemacht. Er
> betreibt seit einem Jahr eine systematische Agitationslogik ohne
> vernünftiges Maß.
Bild: Der Verfechter des deutschen Kulturkreise und seine liebsten Identitätsh…
Die Wahlergebnisse der AfD – das hatte schon der Wahlkampf im Frühjahr 2016
deutlich gemacht – müssen vor dem Hintergrund der von Bundeskanzlerin
Angela Merkel am 4. September 2015 getroffenen Entscheidung analysiert
werden, in einer von der ungarischen Regierung durch Hilfeunterlassung
unkontrolliert eskalierenden Notlage die Grenzen für in Ungarn gestrandete
Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zu öffnen und sie nach Deutschland kommen
zu lassen.
Denn am Tag nach dieser Entscheidung ging die CSU unter Seehofer auf die
Merkel’sche Politik los. Ein Jahr hat Seehofer gegen eine vernünftige
Flüchtlingspolitik getrommelt, bis heute, obwohl die Flüchtlingspolitik
inzwischen weitgehend in geordneten Bahnen verläuft und Versorgung,
Unterbringung und Deutschkurse etabliert sind. In seiner
Fundamentalopposition interessiert dies den kleinsten Koalitionspartner der
Großen Koalition nicht im Mindesten: Wir sind gegen die ganze Entwicklung,
wir wollen Obergrenzen, wir wollen Grenzen dicht machen. Es ist –
inzwischen nach einem Jahr! – keine beiläufige, sondern eine systematische
rechtspopulistische Agitationslogik, der sich Seehofer mit seiner CSU
verschrieben hat und die sie ohne jedes vernünftige Maß vorantreibt.
Niemand ist mit dieser Weise der Agitation mehr verantwortlich für die
Stimmungsmache, weit mehr als die AfD.
Seehofer „reagierte“ auf die Stimmung in Teilen der Bevölkerung, die die
Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur skeptisch sehen, sondern strikt
ablehnen. Dass die CSU-Spitze nicht nur eine Reduzierung der
Flüchtlingszahlen durchsetzen wollte, sondern sich offenkundig dazu
entschloss, sich die Politik des Ressentiments zu eigen zu machen, gehört
zu den immensen Schwächen und Versuchungen einer Partei, die bisher bei
Gelegenheit rechtspopulistisch agierte, zugleich aber
Regierungsverantwortung hat. Horst Seehofer warnte nun vor „Asylmissbrauch“
und traf vor den Landtagswahlen im März 2016 den ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der für eine radikale Flüchtlingsabwehr
und einen rechtspopulistischen Nationalegoismus steht (und immer wieder
Antisemitismus fördert).
Diese Taktik Seehofers, kleinräumlich und kurzatmig, erinnert an die
destruktive Strategieempfehlung von Franz Josef Strauß in seiner
Sonthofen-Rede aus dem Jahr 1974: Die Krise der damaligen Bundesregierung
unter Helmut Schmidt (SPD) ist durch Nichtbeteiligung der Opposition
(CDU/CSU) so zuzuspitzen, dass bei den nächsten Wahlen zwei Jahre darauf
die CSU als Retter erscheint. So destruktiv diese Empfehlung war, Strauß
wäre strategisch nie so töricht gewesen, mit einer derart zugespitzten
Krise die gesamte Zusammenarbeit der CDU/CSU infrage zu stellen und die
Union von der Macht zu vertreiben.
## Die Achse Gauland–Seehofer
So hatte die CSU die AfD salonfähig gemacht. Wahlforscher Güllner in Stern
vom 24. Mai 2016: „Seehofer treibt mit seinen Attacken mehr CSU-Abwanderer
zur AfD als die von ihm kritisierte Kanzlerin.“
Seehofer ist derjenige, der den Aufschwung der Alternative für Deutschland
durch seine Beiträge wesentlich mit beschleunigt hat. De facto gab es eine
indirekte Achse Gauland–Seehofer. Es war Seehofer, der den rechtsnationalen
Flüchtlingsfeind Orbán in sein Heiligtum, nach Wildbad Kreuth, eingeladen
hat. Nicht einmal die Alternative für Deutschland hat das geschafft. Mit
Orbán wurde der eingeladen, der bis zu Gefahr von Mord und Totschlag die
Stimmung in Ungarn durch seine Unterlassung der Hilfeleistung entfesselt
und die Öffnung der Grenzen als pragmatisch-humanitäres Krisenmanagement
provoziert hatte. Und tatsächlich: In den Wochen nach dem fundamentalen
Bruch Seehofers mit Merkel sind interessanterweise die Umfragewerte für
Seehofer und für die AfD, aber nicht für die CSU nach oben gegangen. Die
Wähler haben verstanden, was Seehofer treibt: Seehofer hat sich um die
Attraktivität der AfD verdient gemacht.
Er hat damit eine Partei mit hoffähig gemacht, deren dynamisches Zentrum
von völkischen Rechtsradikalen um Björn Höcke, (das Nicht-AfD-Mitglied)
Götz Kubitschek und die vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären
geprägt ist. Ein Teil von ihnen ist offen vom heutigen italienischen
Neofaschismus fasziniert.
Bis in den September 2016 hinein stehen die Zeichen der CSU-Spitze weiter
auf Eskalation. Es geht um die Stärkung ideologisch-rechtsnationaler
Traditionen in Teilen der CSU um Seehofer, Söder, den neuerdings auffällig
umtriebigen Edmund Stoiber und nicht zuletzt die Fraktionsspitze um
Kreutzer. Diese ideologisch ausgerichteten Teile der Funktionärsspitze
stehen im Widerspruch zu den modernisierten und liberaleren und nicht
zuletzt katholischen Kräften in der Landespartei, nicht zuletzt auf
Bürgermeister- und Landratsebene. In Bayern haben sich zudem beide
christlichen Kirchen vehement gegen den Kurs Horst Seehofers ausgesprochen.
Insbesondere hat Kardinal Reinhard Marx die CSU zu einem konstruktiven
Umgang mit den Flüchtlingen aufgerufen. Bisher ohne Erfolg, was die
CSU-Spitze anlangt.
So ist ein Szenario denkbar, in dem die CSU weiter versucht, die Spannungen
in der CDU zu verschärfen und sich als rechtspopulistische Partei neben und
gegen die AfD zu profilieren. Dann wäre der Bruch zwischen dem
gegenwärtigen Spitzenpersonal in CDU und CSU nahezu unvermeidbar – so wie
Gauland sich gegen die CDU entschieden hat. Und: Die CSU radikalisiert
sich, wenn sie für ihre Klausurtagung am zweiten Wochenende im September
nicht unähnlich der AfD und Pegida „den Vorrang für Zuwanderer aus dem
christlich-abendländischen Kulturkreis“ verlangt.
## Ein Bruch ist zweifelhaft
Ob sich dies zu einem Bruch ausweitet, ist aber aus machttaktischen Gründen
zu bezweifeln. Denn nun hat offenkundig Seehofer auch gegenüber den Kräften
in der CDU, die den Kurs der Kanzlerin misstrauisch verfolgt haben,
entschieden überzogen. Aus der Fraktion dringen nun Stimmen an die
Öffentlichkeit, die den Kurs Seehofers für Quatsch halten und sagen: Jetzt
reicht’s! Damit hat Seehofer auch offenbar seine Interventionsmacht in die
CDU bei Weitem überschätzt. Ob es ihm und der CSU gelingt, die eigene
Radikalisierung wieder einzudämmen, wird sich spätestens auf dem
CSU-Parteitag entscheiden. Sicher ist das nicht, jedenfalls nicht ohne
Schaden für die Performance der CSU-Führung.
Schon jetzt ist erstaunlich, wie viel Destruktivität in einer ideologischen
Haltung des Rechtspopulismus enthalten ist. Und noch einmal: So hatte man
Franz Josef Strauß nie verstehen dürfen, es ging ihm um Machterwerb und
nicht um das Gegenteil. Heute wäre eine rechtspopulistische Position mit
oder ohne AfD auch nicht annähernd mehrheitsfähig; nicht einmal im
ostdeutschen Mecklenburg-Vorpommern.
Wenn andere Parteien, zeitweise auch Teile der Sozialdemokratie nun
schadenfroh über die Zerstrittenheit der CDU/CSU reden und gar Merkel für
ihre Flüchtlingspolitik geißeln, vergehen sie sich politisch-moralisch an
ihrer gemeinsamen Entscheidung für eine faire Flüchtlingspolitik. In dem
Maße, in dem dies geschieht, werden die politisch-moralischen Koordinaten
der Republik erschüttert. Mit diesem Verrat der eigenen
politisch-moralischen Haltung für eine faire Flüchtlingspolitik unterläuft
ein Teil der Republik ihre eigenen Wertgrundlagen, ihre Verpflichtung zum
Schutz der Bürgerkriegsflüchtlinge und der Verfolgten, wie ihn die große
Mehrheit der Republik nach wie vor will.
Umgekehrt: Gelingt es, die große Mehrheit der Bevölkerung auch in den
Parteien erneut angemessen zu repräsentieren , die den Schutz der
Bürgerkriegsflüchtlinge will, dies auch pragmatisch und fair gegenüber der
einheimischen Bevölkerung wie den Flüchtlingen umzusetzen, kann vermutet
werden, dass die AfD auf eine Größe von sagen wir 6 oder 8 Prozent in den
nächsten Bundestagswahlen einschmelzen dürfte und damit ihren Zenit
überschritten hätte. Dies gilt erst recht mit einer so zerstrittenen
Führung – in den Worten Alexander Gauland: in diesem „gärigen Haufen“, …
völkisch rechtsradikalen Ausbuchtungen und der Nähe eines Teils der Partei
zu Leuten, die vom heutigen Neofaschismus fasziniert sind.
9 Sep 2016
## AUTOREN
Hajo Funke
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