# taz.de -- Theatermacher Ayham Majid Agha: Der Scharfschütze und die Einsamke… | |
> Ayham Majid Agha, Theatermacher aus Syrien, gehört zu den Protagonisten | |
> des Gorki-Theaters. Über Krieg und Flucht weiß er viel zu erzählen. | |
Bild: Ayham Majid Agha ist hier in einer Szene von „In unserem Namen“ zu se… | |
Heiner Müller zum Beispiel. Immer wieder stößt Ayham Majid Agha auf | |
überraschte Reaktionen darauf, dass er sich mit den Texten von Heiner | |
Müller so gut auskennt. In der Überraschung liegt auch etwas von einer | |
kleinen Kränkung, sie macht ihm klar, wie wenig man hier über Damaskus, | |
seine Kultur und Geschichte weiß. | |
Heiner Müller ist der Shakespeare unserer Gegenwart, sagt der Schauspieler | |
und Theatermacher aus Syrien. Man begegne Müller mit großem Respekt und mit | |
großer Furcht. Schauspieler, Studenten und Regisseure, die in Damaskus an | |
der Hochschule für Darstellende Künste arbeiten, sähen in diesem Dichter | |
eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance, von den | |
Gewalterfahrungen des Krieges, dem Fortwirken der Vergangenheit, den Folgen | |
der Unterdrückung zu erzählen. Und auch von Bespitzelung und Verrat, Trauer | |
und Verzweiflung. | |
Ayham Majid Agha, 1980 geboren, hat sechs Jahre lang, bis 2012 an dieser | |
Hochschule gearbeitet, als Juniorprofessor, der ein über die Dörfer | |
ziehendes Theaterprojekt betreute. Nach dem Konzept des „Theaters der | |
Unterdrückten“ des brasilianischen Theaterreformers Augusto Boal drehte | |
sich das Projekt vor allem darum, mit interaktiven Mitteln an die Probleme | |
von Familien heranzukommen. | |
## Verbotene Themen | |
Da ging es zum Beispiel um Polygamie, die ungleichen Rechte von Männern und | |
Frauen. Das zu artikulieren sei oft so schwer. Ayham Majid Agha redet vom | |
„verbotenen Dreieck“ der Themen, die Religion, Politik und Sexualität | |
berühren. | |
Auf der Bühne des Gorki-Theaters war er zuerst in Yael Ronens Stück „The | |
Situation“ zu sehen, in der Rolle eines syrischen Migranten, der die | |
Mitschüler seines Deutschkurses in Neukölln gerne mit Bekenntnissen | |
gruselte, dem IS nahegestanden zu haben. „It is a joke“, sagt der hoch | |
aufgeschossene, schlanke Mann dann, ganz sicher sind seine Gesprächspartner | |
sich aber nie. | |
Yael Ronen, sagt der Schauspieler über die Regisseurin, habe ein gutes | |
Auge. Sie sehe das Licht in jedem Schauspieler, wo seine Stärken liegen und | |
die Lust, zu spielen. | |
Am dem Tag, an dem ich ihn und einen Freund, der als Übersetzer aus dem | |
Arabischen mitgekommen ist, Ende August im Gorki-Theater treffe, sind alle | |
in Feierlaune. Nicht nur weil die Inszenierung „The Situation“ in der | |
Kritikerumfrage von Theater heute als „bestes Stück des Jahres“ | |
abgeschnitten hat – das ehrt Yael Ronen und die Schauspieler als Koautoren | |
gleichermaßen; sondern auch weil zudem das Haus selbst zum zweiten Mal zum | |
Theater des Jahres gewählt wurde, stimmenmäßig gleichauf mit der | |
Volksbühne. Mit Ehrfurcht schaut man hier auf Castorf und seine 25-jährige | |
Geschichte an der Volksbühne und staunt über die plötzliche Nachbarschaft | |
auf dem kleinen Ehrentreppchen. | |
## Ein arabisches Gedicht | |
Am 9. September beginnt die vierte Spielzeit am Gorki-Theater, seit Shermin | |
Langhoff und Jens Hillje die Leitung übernommen haben, wieder mit einer | |
Uraufführung von Yael Ronen, „Denial“, und einer Literaturwerkstatt im | |
Studio R, „Flucht, die mich bedingt“. Die Texte sind aus Workshops des | |
Neuen Instituts für Dramatisches Schreiben hervorgegangen, geleitet von den | |
Dramatikerinnen Maxi Obexer und Sasha Marianna Salzmann. Programmatisch | |
setzt das Gorki-Theater damit seinen Ansatz fort, Geschichten von Flucht, | |
Migration, von Krieg und Verfolgung zu erzählen. | |
Der Text „Skelett eines Elefanten in der Wüste“, den Ayham Majid Agha in | |
diesem Rahmen geschrieben hat und jetzt mit den beiden Schauspielerinnen | |
Maryam Abu-Khaled und Lea Draeger probt, nennt er selbst ein arabisches | |
Gedicht. Es geht um die Erfahrung von Krieg und Einsamkeit, von einer | |
Stadt, die zerschossen ist und in der kaum noch einer lebt, von den Tieren | |
eines Zoos, die nur durch Sichgegenseitiges-Fressen überleben können. | |
Niemand kann im Krieg noch einen Freund haben, der Krieg verlangt Verrat | |
und Mord, versucht der Autor sein Gedicht für mich zusammenzufassen, und | |
dass nur die Einsamkeit als Freund bleibe. Die Erzählung ist sehr dunkel, | |
nicht nur weil ein Sniper, ein Scharfschütze, spricht, für den das Töten | |
zur spielerischen Gewohnheit geworden zu scheint. Sondern mehr noch weil | |
die Perspektive der Empathie fehlt. Noch ringt ein Übersetzer mit der | |
Übertragung ins Deutsche, und Ayham Majid Agha seufzt über die Probleme, | |
den richtigen Ton zu finden. | |
Ayham Majid Agha kam 2013 mit einer Gastspielreise nach Deutschland. Er | |
wird oft als Flüchtling angesprochen, aber die Erfahrung, das eigene Leben | |
auf der Flucht riskieren, enorme Summen für kleine Schiffspassagen bezahlen | |
zu müssen, teilt er nicht. | |
## Herkunft? Was bedeutet das? | |
Er ist ein syrischer Künstler und Intellektueller an einem deutschen | |
Theater und froh, im Gorki ein Zuhause gefunden zu haben, wo er sich | |
angenommen fühlt als der, der er ist. Hierhin brachte ihn die Autorin Olga | |
Grjasnova, mit der er verheiratet ist und eine Tochter hat. Mutter und | |
Tochter haben einen deutschen Pass, sagt er, er ist Syrer, geboren in Deir | |
al-Sur, einer von Assads Truppen völlig zerstörten Stadt. Auch sein | |
Elternhaus steht nicht mehr. Seine Großeltern kamen aus Tschetschenien nach | |
Syrien. | |
Aber was heißt das eigentlich? „It doesn’t mean anything“, sagt er. Nicht | |
auf die Herkunft reduziert zu werden, das ist das eine, was entscheidend | |
ist, und doch so vielen, die als „Flüchtlinge“ kommen und als nichts | |
anderes gesehen werden, angetan wird. Das andere ist die Ungerechtigkeit, | |
die in der Kategorisierung als „Flüchtling“ liegt, über die er sich | |
aufregen kann. | |
Er denkt an die vielen Franzosen, die in Ägypten, im Libanon, in Syrien und | |
Marokko arbeiten, weil sie sich das Leben in Frankreich nicht mehr leisten | |
können. Die nennt man nie Flüchtlinge. Und sein Ton wird immer bitterer, je | |
mehr Demütigungen und Abwertungen des Einzelnen ihm einfallen, die die | |
Kategorisierung als „Flüchtling“ hervorbringt. | |
Darum ging es auch in der Inszenierung „In unserem Namen“, die Sebastian | |
Nübling am Gorki-Theater mit Texten von Elfriede Jelinek, aus ihrem Stück | |
„Die Schutzbefohlenen“ und mit Texten der Schauspieler erarbeitet hat. | |
Ayham Majid Agha redet da in einem langen Monolog über die Geschäfte des | |
Westens mit jenen Diktatoren, die oft für die Ursachen, ein Land verlassen | |
zu wollen oder zu müssen, verantwortlich sind. Er wird in diesem Text zum | |
rhetorisch geschulten Agitator, der für die Suche nach Gerechtigkeit auch | |
zum Angriff übergeht. Auch davon steckt viel in diesem Theatermacher. | |
17 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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