| # taz.de -- Kunstaktion in Berlin: Der Flieger bleibt unten | |
| > Bevor sich Flüchtlinge Tigern zum Fraß vorwerfen lassen sollen, wollten | |
| > Aktivisten 115 Personen aus der Türkei einfliegen. Daraus wird nichts. | |
| Bild: Das zumindest hat geklappt: Tiger vor dem Maxim-Gorki-Theater in Berlin | |
| Berlin taz | Dass dieses Flugzeug am Dienstagabend um 19 Uhr wirklich auf | |
| dem Flughafen Berlin-Tegel landen würde, damit hatten viele ohnehin nicht | |
| gerechnet. Die Gründe, warum die „Flugbereitschaft der Zivilgesellschaft“, | |
| ein Kunstprojekt des sogenannten [1][Zentrums für Politische Schönheit], am | |
| Boden bleibt, sind dennoch interessant. | |
| Mit viel Tamtam hatte das Zentrum, das sich einem „radikalen Humanismus“ | |
| verschrieben hat und in der Vergangenheit immer wieder Aufsehen erregt hat, | |
| in der letzten Woche [2][seine neueste Kunstaktion] in Berlin eingeleitet: | |
| In einem Käfig vor dem Maxim-Gorki-Theater nahe des Berliner | |
| Regierungsviertels hat die Gruppe Schauspieler in römischen Kostümen | |
| platziert und darüber hinaus vier Tiger, denen sich laut Ankündigungen der | |
| Künstler an diesem Dienstagabend Flüchtlinge freiwillig zum Fraß vorwerfen | |
| lassen wollen. Eine Kunstaktion, die, wie immer, [3][polarisiert]. Ihr | |
| Titel: „Not und Spiele: Flüchtlinge fressen“. | |
| Im Rahmen der Aktion sammelte die Gruppe auch Spenden. Mit dem Geld sollte | |
| ein Flugzeug, die sogenannte „Joachim I.“ auf den Weg geschickt werden, um | |
| am heutigen Dienstag 115 in der Türkei wartende, überwiegend aus Syrien | |
| stammende Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen und mit ihren in | |
| Deutschland wartenden Verwandten zusammenzuführen. | |
| Kern der Kritik ist die einfache Kinderfrage: Warum dürfen | |
| Kriegsflüchtlinge eigentlich nicht mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen | |
| – sondern ersaufen stattdessen im Mittelmeer? Heute abend sollte die | |
| Maschine in Berlin landen. | |
| ## Die Statisten waren Flüchtlinge | |
| Tatsächlich hatte die Künstlergruppe einen Vertrag mit der Fluggesellschaft | |
| Air Berlin abgeschlossen. Demnach sollte der Charterflug laut Angaben des | |
| Zentrums „dem Transport von Statisten eines Theaterstücks“ gelten – | |
| strenggenommen völlig richtig. | |
| Allerdings: Weil es sich bei diesen Statisten nicht um Schauspieler, | |
| sondern um Flüchtlinge handelt, stornierte die Fluggesellschaft, die | |
| wiederholt auch für ihre Beteiligung an Abschiebeflügen in der Kritik | |
| stand, den Vertrag wieder. Denn den Flüchtlingen fehlen Arbeitserlaubnisse | |
| und Visa. | |
| Und mehr noch: Angeblich machten deutsche Behörden, so zumindest stellt es | |
| das Zentrum für Politische Schönheit dar, Druck auf die Fluggesellschaft, | |
| die Gruppe nicht zu transportieren. Ganz von der Hand zu weisen ist das | |
| nicht. Ganz überraschend allerdings auch nicht. | |
| Tatsächlich hatte die Frage des Flugtransportes bereits ein politisches | |
| Vorspiel. In einem Schreiben an Bundesinnenminister Thomas de Maiziere | |
| hatte ein Anwalt der Künstlergruppe den Minister am 22. Juni aufgefordert, | |
| die Landung des Flugzeuges und die Einreise der Flüchtlinge zu ermöglichen. | |
| Der Rechtsanwalt schickte dem Innenministerium auch eine Liste mit. Darauf | |
| verzeichnet: Die Namen, Geburtsdaten und Passnummern der einreisewilligen | |
| Flüchtlinge. Das Innenministerium wies das Ansinnen jedoch zurück – und | |
| wurde anderweitig aktiv. 115 Flüchtlinge per Airbus am Flughafen Tegel, das | |
| wäre für den Innenminister nicht nur ein symbolisches Problem gewesen. | |
| Und so recherchierten schließlich die Beamten, um welchen Flug es sich wohl | |
| handeln könnte; bis am Ende das Präsidium der Bundespolizei die | |
| Fluggesellschaft Air Berlin direkt kontaktierte, wie ein Sprecher des | |
| Bundesinnenministeriums am Dienstag der taz bestätigte. | |
| „Dabei ging es nicht darum, Druck auszuüben, sondern die Fluggesellschaft | |
| auf die rechtliche Lage hinzuweisen.“ Bei diesem Gespräch soll auch | |
| vermittelt worden sein, „dass das Bundesinnenministerium keine Möglichkeit | |
| sieht, von den gesetzlichen Einreisevoraussetzungen abzusehen.“ | |
| ## Ein Paragraf für die Schlepper | |
| Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist der Paragraf 63 des | |
| Aufenthaltsgesetzes, wonach „Beförderungsunternehmen“ Ausländern nur bei | |
| der Einreise helfen dürfen, „wenn sie im Besitz eines erforderlichen Passes | |
| und eines erforderlichen Aufenthaltstitels sind.“ Der Paragraf regelt auch, | |
| dass das Bundesinnenministerium bei Zuwiderhandlung Zwangsgelder gegen | |
| Beförderungsunternehmen verhängen kann. | |
| Genau darauf zielt die Aktion der Künstler ab: Dass die Regelung eine | |
| Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Schlepper ist, weil Fliehenden auch durch | |
| sie der legale Weg nach Deutschland verstellt ist. Und so kam es wie es | |
| kommen musste: Kurz vor dem Abflug kündigte Air Berlin den Vertrag mit den | |
| Künstlern. Der Kontakt mit dem Bundespolizeipräsidium wirkte. | |
| Air Berlin, sagte eine Sprecherin der Fluggesellschaft am Dienstag der taz, | |
| habe erst „sehr kurzfristig“ davon erfahren, dass ein Großteil der | |
| Passagiere keine Einreiseerlaubnis hatte und habe sich „gezwungen gesehen, | |
| die zugrundeliegenden Verträge außerordentlich aus wichtigem Grund zu | |
| kündigen“. Die Künstler, so die Sprecherin weiter, hätten Air Berlin über | |
| „wesentliche Aspekte“ der Beförderung im Unklaren gelassen. Das | |
| Vertrauensverhältnis sei dadurch „nachhaltig erschüttert“ gewesen. | |
| Und so wurde nichts aus dem außerplanmäßigen Flug mit der Flugnummer | |
| AB9717. Und was nun mit den Passagieren ist und mit dem syrischen Mädchen | |
| names Dina, geboren auf der Flucht am 1. Juli 2014 in der Türkei, dessen | |
| Name neben all den anderen auf der Liste steht, die das Zentrum vorgelegt | |
| hatte, das bleibt wohl vorerst unbeantwortet. | |
| 28 Jun 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://politicalbeauty.de/ | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=vFzDH8OvDqE | |
| [3] /Zentrum-fuer-Politische-Schoenheit/!5311127/ | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| Martin Kaul | |
| ## TAGS | |
| Zentrum für Politische Schönheit | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Maxim Gorki Theater | |
| Air Berlin | |
| Asyl | |
| Yael Ronen | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schlepper | |
| Syrische Flüchtlinge | |
| Zentrum für Politische Schönheit | |
| Zentrum für Politische Schönheit | |
| Zentrum für Politische Schönheit | |
| Theatertreffen Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Aktion Zentrum für Politische Schönheit: Paragraf 63, Aufenthaltsgesetz | |
| 23 Flüchtlinge klagen gegen die Bundesrepublik, weil diese ihnen die | |
| Einreise verweigerte. Sie stoppte ein Flugzeug, mit dem sie einreisen | |
| wollten. | |
| Theatermacher Ayham Majid Agha: Der Scharfschütze und die Einsamkeit | |
| Ayham Majid Agha, Theatermacher aus Syrien, gehört zu den Protagonisten des | |
| Gorki-Theaters. Über Krieg und Flucht weiß er viel zu erzählen. | |
| Bootsflüchtlinge im Mittelmeer: Mehr als 4500 Menschen gerettet | |
| Die italienische Küstenwache hat die Tagesbilanz für Dienstag | |
| veröffentlicht: Es gab 30 Rettungseinsätze unterschiedlicher | |
| Organisationen. | |
| Schlepper im Zweiten Weltkrieg: Das schmutzige Metier der Retter | |
| Auch im Zweiten Weltkrieg waren Schlepper Kriminelle – und die letzte | |
| Hoffnung vieler Flüchtlinge. Denn legale Wege waren auch damals versperrt. | |
| Kommentar zu „Flüchtlinge fressen“: Brutalität der Wirklichkeit | |
| Am Ende der Aktion „Flüchtlinge fressen“ bleibt eine Show übrig, die zeig… | |
| dass dem Bundesinnenminister Flüchtlinge egal sind. Das ist wirklich nicht | |
| neu. | |
| „Flüchtlinge fressen“ verboten: Dann kommt da ein Grill hin | |
| Das Grünflächenamt Mitte ist Deutschlands politischste Graswurzelbehörde. | |
| Nun will ihr Leiter einen Tigerkäfig verbieten. | |
| Zentrum für politische Schönheit: Leider keine Übertreibung | |
| Die neueste Kunstaktion des Zentrums für politische Schönheit teilt in alle | |
| Richtungen aus. Bei aller Kritik: Das ist angemessen. | |
| Zentrum für Politische Schönheit: Krasser Scheiß | |
| Wer sich Kampagnen wie „Flüchtlinge fressen“ ausdenkt, der hat sich von der | |
| Verrohung der Flüchtlingspolitik anstecken lassen. | |
| Theater und Wirklichkeit: But Is That Art? | |
| Die Grenzen zwischen Theater und Wirklichkeit werden neu verhandelt. | |
| Zwischenruf und Fragen eines Juroren vom Theatertreffen in Berlin. |