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# taz.de -- „Roma Armee“ im Berliner Gorki-Theater: Der Zukunft den Rücken…
> Was als Empowerment der Roma gemeint war, geht als Theaterrevue nach
> hinten los. Versuch der Beschreibung eines Missverständnisses.
Bild: Glitzerndes Muskelspiel in der „Roma Armee“
Eine „Roma Armee“ wurde im Gorki-Theater gegründet. Das Wort „Fraktion“
ging während der Entwicklung des Arbeitstitels zum Titel verloren, was man
als kleinen Hinweis auf die Ängste werten kann, die es in einem sich
rebellisch gebärdenden Theater in Berlins Stadtmitte offenbar gibt. Aber
auch ohne „Fraktion“ sind die Assoziationen in Richtung mehr oder weniger
revolutionäre und vor allem bewaffnete Truppe vollkommen klar.
Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen der Truppe, die sich in
diesem Stück gründet, und den im Titel assoziierten Armeen: sowohl zu der
Roten Armee aus der Zeit des Theaternamensgebers Maxim Gorki als auch zur
RAF der 70er und 80er Jahre. Die Rote Armee war grundsätzlich
international, die RAF wollte es wenigstens sein. Diese „Roma Armee“ indes
operiert in einem schauderhaft antiquierten Bezugsrahmen, der mit
nationalen und nationalistischen Instrumenten hantiert.
Okay, ja, gut, es handelt sich in diesem Falle um Roma und Romnija, und die
haben eine ganze Unterdrückungs- und Diskriminierungsgeschichte ihres
Volkes zu erzählen. Sie machen dies auch ganz schrill. Und wenn mal ein
Betroffenheitsgestus reinrutscht, dann wird er brav ironisch gebrochen,
getreu den postmodernistischen Kunstfibeln. Alles ganz vorbildlich.
Gefangen in Klischee-Kathegorien
Die Truppe – sechs Roma und zwei Gadje, also Nicht-Roma – stellt die
jeweiligen sexuellen Vorlieben und politischen Positionen – lesbisch,
schwul, queer, feministisch, Linkspartei-links usw. – heraus. Sie entzieht
sich den Klischees von Bettler und Teufelsgeiger, bleibt allerdings in der
gleichen Klischee-Kategorie gefangen. Im Gorki spielen sie mit viel
Glitzerfummel und viel freier Haut, mit „Temperament“ und „Hingabe“ –
diesen alten kulturellen Zuschreibungsklischees – vor gesättigt
bürgerlichem, bestenfalls linksbürgerlichem Publikum.
Und das ergötzt sich. An dem Fummel, an dem Glitzer. Am
Gangsta-Rapper-Getue, das mittlerweile, und zum Glück, wegen zu viel
sozialer Anbiederei bereits aus den meisten Projekten der kulturellen
Bildung verschwunden ist. Aber hier feiert das fröhliche Urständ. Und das
National- und Identitätsgebrabbel auch. Das verblüfft.
„Ich bin stolz, Rom zu sein“, heißt es zum Höhepunkt der Bekenntnisorgie.
Sonst hört man das, ins Deutsche gewendet, bei Pegida, AfD & Co. – und
wendet sich ab. Hier indes findet die Kategorie des ethnisch Eindeutigen
begeisterte Zustimmung.
## Verlierer im Opfer-Contest
Natürlich, es gibt auch Brüche. Regisseurin Yael Ronen ist bislang eher
nicht als Agit-Prop-Athletin aufgefallen, sondern als Spezialistin fürs
Komplexe, für die purzelnden Kategorien. Und so dürfen an einem der zwei
Höhepunkte des Abends die zwei performenden Gadje, die Israelin Orit
Nahmias und der türkische, deutsche und arabische Wurzeln besitzende Mehmet
Ateşçi, sich ganz erstaunt darüber zeigen, dass sie, die sonst ganz locker
Opferidentitäten für sich reklamieren können, im Kontext der von ihren
bekennenden Kollegen erzählten Armuts- und Ausgrenzungsgeschichten der Roma
zu privilegierten „Weißen“ mutierten. Sie waren Verlierer im Opfer-Contest
– eine charmante Volte.
Den zweiten guten Moment gab es am Ende. Da wurde die klassische
kapitalistische Mehrheitsgesellschaft als in die Zukunft rennend und der
Vergangenheit den Rücken zuwendend auf die Bühne gestellt, während
traditionalistische Gesellschaften, wie eben Roma, die ihr Roma-Sein nicht
aufgeben wollen, ihre Augen nur aufs Gestern richten und der Zukunft den
Rücken zuweisen.
## Hybride aus Revue und Musical
Der Raum der Gegenwart ist dabei von den jeweils abweisenden Rücken
begrenzt. Sich umdrehen, sich anschauen und, die Antlitze der anderen im
Blick, in die jeweils andere Zeitrichtung schauen könnte eine prima Lösung
sein, suggeriert diese Figurenaufstellung von Ronen.
Gut, vielleicht ist diese Szene zu versöhnlerisch und die ästhetische
Freude daran erst recht. Vielleicht braucht es zum politischen und
kulturellen Empowerment der Roma und Romnija ja den ganz groben Keil, die
wilde Überzeichnung. Dass dann aber mit der Feier einer nationalen
Identität nicht nur politisch in die Kiste des Vorgestern gegriffen wurde,
sondern auch noch ästhetisch, eben mit einer Hybride aus Revue und Musical
– das war der reaktionären Momente im vormaligen Realismus-Tempel Gorki
denn doch zu viel. Es war Muff, nur bunt angemalt – in dieser Kombination
aber ausreichend für ein frenetisch sich selbst feierndes Publikum. Happy
Bubble in mid town Berlin.
17 Sep 2017
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Roma
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