# taz.de -- Pseudo-Selbstkritik am Gorki Theater: In Rechthaberei verheddert | |
> Der Regisseur Oliver Frljić, bekannt für seine Liebe zur Provokation, | |
> fragt am Gorki Theater in Berlin: „Gorki – Alternative für Deutschland?�… | |
Bild: Spiegelungen: Das Modell des Gorki Theaters auf der Bühne | |
Wäre es Ende letzten Jahres nach der AfD-Fraktion im Berliner | |
Abgeordnetenhaus gegangen, dann hätte das Land Berlin sowohl den Revuen im | |
Friedrichstadtpalast und dem Deutschen Theater als auch dem Maxim Gorki | |
Theater empfindlich die Mittel gekürzt. Die sechs Schauspieler*innen, die | |
sich in Oliver Frljić’ Inszenierung „Gorki – Alternative für Deutschlan… | |
mit selbstironisch ausgestellter Performerwut unter dem Schriftzug „Mut zur | |
Wahrheit“ versammeln, kennen jedoch nicht nur die Argumente der | |
Rechtspopulisten, die die drei Häuser des „Gesinnungs- und | |
Propagandatheaters“ bezichtigten, sondern auch die der Berliner | |
Theaterintelligenzija. | |
Sie beginnen mit Zahlen („12 von 19 Ensemblemitgliedern haben einen | |
Migrationshintergrund, das ist positive Ausgrenzung!“) und beklagen den | |
angeblichen Vorrang von Herkunft über Handwerk. Statt den Technikern des | |
Hauses einen dringend benötigten Aufenthaltsraum zu verschaffen, habe | |
Intendantin Shermin Langhoff mit der letzten halben | |
Bundeskulturstiftungsmillion lieber die nächsten sieben Syrer*innen (das | |
Exil-Ensemble) engagiert. | |
Aber Mehmet Ateşçi, Mareike Beykirch, Svenja Liesau, Falilou Seck, Till | |
Wonka und die kroatische Gastspielerin Nika Mišković üben auch Kritik an | |
den Spielweisen des Hauses, bei denen der „zelebrierte Opferstatus des | |
Einzelfalls“ mehr gelte als die politische Gesellschaftsanalyse und | |
„Authentizität“ wichtiger sei als „Spiel“, wo also Politik mehr zähle… | |
„richtige Kunst“ – und trotzdem herzlich wirkungslos bleibe, weil sich das | |
Gorki der Theaterkunst nur als Gutmenschen-Feigenblatt andiene, statt | |
wirklich etwas zu verändern. | |
Gemessen an den Provokationen, die der 1976 im jugoslawischen Travnik | |
geborene Theatermacher Oliver Frljić sonst so in petto hat, fällt die | |
frontale Gorki-(Pseudo-)Selbstkritik zum Auftakt geradezu unter feinsinnige | |
Diskursanalyse. Frljić hat sich in den letzten Jahren mit deutlich | |
plakativeren Bildern einen Namen gemacht: etwa der Papst beim Oralsex (in | |
der Warschauer Inszenierung „Der Fluch“), Jesus, der eine Muslimin | |
vergewaltigt (in der Wiener Festwochen-Produktion „Eure Gewalt und unsere | |
Gewalt“) oder das Waterboarding eines Frljić-Alter-Egos auf der Bühne des | |
Münchner Residenztheaters („Balkan macht frei“). | |
## Drohende Selbstgefälligkeit | |
In Rijeka, wo Frljić zwei Jahre lang das Nationaltheater leitete, gab es | |
ebenso massive Proteste gegen sein Theater wie in Polen, wo er als | |
Regisseur wie als temporärer Kurator des renommierten Malta-Festivals | |
Poznań angefeindet wurde: Mit den rasant erstarkten polnischen und | |
kroatischen Rechtspopulisten hat Frljić also reichlich Erfahrung. | |
Am für seine Diversity und Queerness berühmten Gorki Theater legt Frljić | |
als Erstes den Finger in die bei jedem Erfolgsmodell drohende | |
Selbstgefälligkeit, dass hier Theater von der moralisch (und natürlich auch | |
politisch) richtigen Seite aus gemacht wird. Dabei liegt die wahrscheinlich | |
größte Provokation im Zitieren der Diskursfütterer Wolfgang Engler (der | |
ehemalige Leiter der Berliner Schauspielschule Ernst Busch), Bernd | |
Stegemann (der als Autor Gesellschaft und Schauspielkunst vor den | |
neoliberalen Irrwegen des Performance-Theaters zu retten versucht) sowie | |
des Süddeutsche-Zeitung-Kritikers Peter Laudenbach, deren ästhetisch | |
konservative Kritik an den „authentischen“ Gorki-Spielweisen in den | |
AfD-Kontext gestellt wird. | |
Was freilich umgekehrt auch schon passiert ist: „Die Statements sind in | |
ihrem robusten Schwarz-Weiß-Weltbild etwa so differenziert wie die Parolen | |
einer Pegida-Demonstration“, wird aus Laudenbachs Kritik an Falk Richters | |
„Verräter“ zitiert. | |
## Eine fiktiv demokratisch gewählte AfD | |
Doch mehr als eine simple Retourkutsche, vorgetragen mit aggressiver | |
Ironie, ist das leider nicht. Dafür zeigen Frljić und Ensemble ausführlich, | |
dass die Performance am Gorki so authentisch nicht ist. Etwa, wenn die sich | |
als „Quoten-Ossis“ engagierten Schauspielerinnen Mareike Beykirch und | |
Svenja Liesau im Stil von #120db – einer Art rassistischen #MeToo-Kampagne | |
– von sexistischen Übergriffen migrantischer Männer berichten und das | |
Publikum die weniger überzeugende Spielerin per Applausometer aus dem | |
Ensemble wählen soll. | |
Oder wenn der Schauspieler Falilou Seck von seinem Nazi-Opa erzählt („Was | |
findet ihr schlimmer, dass ich schwarz bin oder aus einer Nazi-Familie | |
komme?“), und kurz darauf vor einer immer noch sehr großen Bühnenminiatur | |
des Maxim Gorki Theaters einfühlsam und komplett Marc Jongens | |
antineoliberales AfD-Manifest von 2014 vorträgt. | |
Das Gegeneinanderausspielen verschiedener identitärer – und ästhetischer – | |
Positionen verhindert schließlich nicht, dass auf der Bühne eine fiktiv | |
demokratisch gewählte AfD mit Goebbels-Zitaten die Abschaffung der | |
Demokratie ankündigt. Vielleicht ist das ja die Message: Verheddert euch | |
nicht in intellektuellen Rechthabereien, sonst siegen ganz andere. Wozu | |
dann aber auch anderthalb Stunden lang diese Inszenierung beigetragen | |
hätte. | |
20 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Eva Behrendt | |
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