# taz.de -- Flucht aus dem Iran nach Berlin: Vom Sprechen der zweiten Generation | |
> Maryam Zaree ist eine junge erfolgreiche Schauspielerin, Theaterautorin | |
> und Dokumentarfilmerin. Sie war zwei Jahre alt, als ihre Mutter mit ihr | |
> floh. | |
Bild: Szene aus dem Stück „Denial“ am Gorki Theater | |
Begriffe wie „Aufarbeitung“ können furchtbar offiziell klingen. Spricht | |
Maryam Zaree davon, gewinnen sie Leichtigkeit. Im Gespräch mit ihr geht es | |
um Verdrängung, familiäres Schweigen oder die dunklen Seiten des Iran. Doch | |
alle Betroffenheitsklischees, die man wittern könnte, zerschmelzen in ihrem | |
Reden wie heiße Butter. Mit großer Selbstverständlichkeit sagt sie solche | |
Sätze: „Vergessen funktioniert nicht, auf Dauer lässt sich nicht | |
verdrängen, was stattgefunden hat.“ Beobachtungen, die aus ihrer eigenen | |
Familiengeschichte stammen. | |
Trifft man sie in Berlin im Café am Oranienplatz, winken ihr von anderen | |
Tischen Bekannte zu, das Kreuzberger Milieu ist ihr nah. Seit Jahren lebt | |
sie in Berlin. Und es ist ein Großstadtkosmos, in dem sie sich erzählerisch | |
bewegt, wenn sie auf der Bühne spielt oder Stücke schreibt, die in tiefere, | |
mit der Vergangenheit verbundene Gefühlsschichten vordringen. | |
Auf ähnliche Weise spielte Zaree ihre erste größere Hauptrolle in dem | |
Spielfim „Shahada“: ein junge arabische Frau, die nachts in Clubs unterwegs | |
ist und zu Hause mit ihrem Vater, einem Imam, zusammenlebt. In der | |
überraschenden Wendung des Films ist sie es, die immer religiöser wird und | |
darüber mit dem Vater in Streit gerät. Eine verzweifelte Reaktion auf eine | |
Abtreibung, die schiefgelaufen ist und seelische Verletzungen hinterlassen | |
hat. | |
Der Film entstand 2010, noch in ihrer Zeit als Schauspielstudentin an der | |
Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam. Ihre Rolle weist auch auf | |
das, worum es ihr bei ihrer Arbeit heute geht: die Ablenkungen des | |
Großstadtlebens mit den Erfahrungen der zweiten Generation der Migration zu | |
verbinden. | |
Die 34-Jährige Zaree ist längst nicht mehr nur Schauspielerin. Jüngst ist | |
ihr erstes Theaterstück erschienen, „Kluge Gefühle“, für das sie im Mai … | |
dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet wurde und das | |
im nächsten Jahr dort inszeniert wird. | |
## Familiäres Schweigen | |
Das Stück erzählt anhand einer Mutter-Tochter-Beziehung, wie traumatisch | |
Erlebtes in die nächste Generation fortwirkt. Tara ist erfolgreiche | |
Anwältin. In unterschiedlichen Begegnungen enthüllt sich, dass ihre Mutter | |
einst in einem iranischen Gefängnis gefoltert wurde. Man erlebt nun, wie | |
sich die Tochter langsam in die Vergangenheit vortastet und auch die Mutter | |
über Umwege ihr Schweigen bricht. Dialogsicher entwickelt Zaree das Spiel | |
aus Gesprächen, Konfrontationen. Man spürt, dass die ausgebildete | |
Schauspielerin Zaree genau weiß, wie gesprochene Sprache Satz für Satz die | |
Handlung vorantreibt. | |
Entstanden ist das Stück in der Schreibwerkstatt des Berliner Maxim Gorki | |
Theaters, dem von Maxi Obexer und Marianna Salzmann geleiteten Neuen | |
Institut für Dramatisches Schreiben, dessen Ziel die Förderung von neuen | |
Erzählerstimmen ist. „Impuls war, etwas zu schreiben, was Parallelen zu | |
unserer eigenen Biografie hat. Ich war die Einzige, die noch nie einen Text | |
geschrieben hat. Es ging um Geschichten, welche oft nicht erzählt werden“, | |
sagt Zaree. | |
So floss ihre eigene familiäre Erfahrung in den Text ein. Wie die | |
Hauptfigur in „Kluge Gefühle“ ist auch Zaree in einem Gefängnis geboren. | |
Die Eltern wurden im Iran verfolgt und im Teheraner Evin-Gefängnis | |
inhaftiert. Als sie zwei Jahre alt war, floh die Mutter mit ihr nach | |
Frankfurt am Main. Sprachlosigkeit kennt Zaree aus familiärer Anschauung, | |
die Themen, bei denen man schon als Kind spürt, dass man besser nicht | |
nachhakt, und das auch lange nicht tut, bis sie doch zutage treten. | |
Erinnern ist notwendig, sagt Zaree. Oft übernehmen Kinder oder Kindeskinder | |
diese Rolle. Seit drei Jahren recherchiert sie für einen Dokumentarfilm der | |
ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ über die Verbrechen des iranischen | |
Regimes in den 80er Jahren. Sich auf verschiedene Felder zu wagen, hängt | |
mit Selbstverständnis und persönlicher Weiterentwicklung zusammen, findet | |
Zaree. „Geschichten erzählen geht immer, und manchmal braucht eine | |
Geschichte unterschiedliche Medien, um alle Aspekte zu beleuchten. Der Film | |
dreht sich konkret um die Suche nach den anderen Kindern, die auch im | |
Evin-Gefängnis waren. Das konnte ich mir nur im Film vorstellen.“ | |
## Autobiografisches nicht überbewerten | |
Zaree hat mehrmals mit der autobiografisch denkenden, aber Fiktionen | |
inszenierenden Regisseurin Yael Ronen gearbeitet. Dies war prägend. | |
„Ausgangspunkt ist oft nur ein Titel oder ein Thema. Wir fangen dann an zu | |
recherchieren. Man wird als Spieler extrem in den Schreibprozess | |
einbezogen, und das heißt, dass das, was man beizutragen hat, sehr ernst | |
genommen wird.“ In „Denial“, das im September wieder am Berliner Maxim | |
Gorki Theater läuft, spielt Zaree eine Tochter, wie sie auch in „Kluge | |
Gefühle“ auftaucht: eine, die mit ihrer Mutter nie richtig über die Flucht | |
aus dem Iran gesprochen hat. Beklemmend, wenn sie selber mit dem Rücken zum | |
Publikum all die umgestellten Fragen in die Kamera formuliert. | |
Andererseits weiß man in „Denial“ nie so recht, wo Zaree wirklich sich | |
selbst spielt und wo die Kunstfigur beginnt. Zaree winkt auf die Frage nach | |
der Grenze zur Fiktion ab. „Ich würde dem Autobiografischen nicht so viel | |
Wert beimessen. Biografische Eckdaten benutzt man ganz klar als Basis. Auf | |
der Bühne findet aber eine extreme Verfremdung statt. Was stimmt, und was | |
nicht stimmt, das ist eigentlich zweitrangig.“ Viel wichtiger seien die | |
Fragen, die sich im Graubereich ergeben, allgemeiner auf Verdrängung und | |
auf Aufarbeitung zielen und repräsentativ ein größeres Wir betreffen. | |
Schuldfragen spart Zaree am Schluss von „Kluge Gefühle“ denn auch aus. Nach | |
der Enthüllung der traumatischen Erlebnisse geht Hauptfigur Tara am Ende | |
einfach spazieren, die Augen neu geöffnet für die Schönheit draußen. Klingt | |
fast kitschig, aber symbolisiert den Umgang der nächsten Generation: sich | |
Leichtigkeit zurückzuerobern. | |
4 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
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