# taz.de -- Deutsch-polnische Städtekonferenz: Posen unter dem Regenbogen | |
> Jacek Jaśkowiak ist der Shooting Star unter den Stadtpräsidenten in | |
> Polen. Am Montag kommt der liberale Politiker zu einer Konferenz ins | |
> Berliner Rote Rathaus. | |
Bild: Jacek Jaśkowiak mit der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland beim �… | |
Was sich Jacek Jaśkowiak wohl bei dieser Tirade des polnischen | |
Außenministers Witold Waszczykowski gedacht hat? Vor zwei Jahren hatte der | |
gegen den Westen gewettert und vor einer „Welt aus Radfahrern und | |
Vegetariern“ gewarnt, „die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und | |
gegen jede Form der Religion kämpfen.“ Das, so Waszczykowski weiter, „hat | |
mit traditionellen, polnischen Werten nichts mehr zu tun“. | |
Am Montag kommt mit Jacek Jaśkowiak nun ausgerechnet der Stadtpräsident von | |
Posen/Poznań ins Rote Rathaus, der seiner Stadt neue Radspuren verschafft | |
und als erstes Stadtoberhaupt Polens an einem Schwulen- und Lesbenmarsch | |
teilgenommen hat. Ob Polens Botschafter, der Statthalter Warschaus in | |
Berlin, der ebenfalls dabei ist, da diplomatische Ruhe bewahren kann? | |
„Städte als Innovationsorte der Zukunft“ heißt das Thema der | |
deutsch-polnischen Städtepartnerschaftskonferenz, und Jaśkowiak wird das | |
Eröffnungsreferat halten. Aus gutem Grund: Als Stadtoberhaupt der 540.000 | |
Einwohner zählenden Stadt hat Jaśkowiak nicht nur den Wirtschaftsstandort | |
gestärkt, sondern auch die Bürgerbeteiligung. Er baut den öffentlichen | |
Nahverkehr aus, während der Autoverkehr peu à peu aus der Innenstadt | |
verbannt wird. In Polen, so schimpfen viele Politiker der strammrechten | |
PiS-Partei, seien die Städte nicht nur „Innovationsorte der Zukunft“, | |
sondern auch Bollwerke gegen die nationalkonservative Wende. | |
Jaśkowiak, Hobbyboxer, Langstreckenläufer, Unternehmer und als Student | |
Stipendiat in Bielefeld, hat viele Spitznahmen. Einen von ihnen, | |
„Regenbogen-Jacuś“, hat er bekommen, weil er 2015 als erstes polnisches | |
Stadtoberhaupt an der Spitze einer Schwulen- und Lesbenparade ging. „Wir | |
zeigen unsere Identität, Freiheit, Gleichheit. Als Posener wollen wir in | |
dem Teil Europas sein, in dem das wichtigste die Demokratie ist“, rief der | |
Stadtpräsident den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu. Auch in diesem Jahr | |
marschierte Jaśkowiak wieder mit beim „Marsz Równości“, dem | |
Gleichheitsmarsch. Viele der 3.000 Demonstranten hatten T-Shirts mit der | |
Aufschrift „Freie Stadt Posen“ übergezogen. Aber auch die Gegner dieser f�… | |
polnische Verhältnisse ostentativ zur Schau getragenen Toleranz machten | |
mobil. Auf den Zaun vor Jaśkowiaks Wohnhaus pinselten sie die Parolen | |
„Verräter“ und „Pädo“. | |
2014 wurde Jacek Jaśkowiak zum Stadtpräsidenten gewählt. Seitdem weht ein | |
anderer Wind durch die altehrwürdige Stadt an der Warthe. Selbst mit der | |
katholischen Kirche legt sich der 53-jährige an. Auf dem zentralen | |
Adam-Mickiewicz-Platz verhinderte er die Aufstellung einer fünf Meter hohen | |
Christusfigur. Darüber hinaus stellte er der Kirche die Nutzung | |
öffentlicher Gebäude in Rechnung. Gleichzeitig engagiert sich Jaśkowiak für | |
die Aufnahme von Flüchtlingen und das Recht auf Abtreibung. „Dżej dżej“, | |
nennen ihn Włodzimierz Nowak und Violetta Szostak von der liberalen | |
Tageszeitung Gazeta Wyborcza, also bei seinen Namensinitialen „J.J“. Dass | |
der Stadtpräsident ausgerechnet diesen Journalisten das Einverständnis für | |
ein Interviewbuch gab, sagt viel aus in Polen. Für Jarosław Kaczynski und | |
seine PiS-Partei ist die Gazeta Wyborcza der Inbegriff eines feindlichen | |
Mediums. Der PiS-Abgeordnete Andrzej Melak verlangt sogar ein | |
Verkaufsverbot für das Blatt an den Tankstellen des Staatskonzerns Orlen. | |
Wenn Jacek Jaśkowiak am Montag im Roten Rathaus ist, stehen auch Gespräche | |
über eine Intensivierung der Zusammenarbeit beider Städte an. Kooperationen | |
gab es zum Beispiel im Sommer, als das Gorki eine Theater- und | |
Gesprächsreihe unter dem Titel „Berlin-Poznań-Warszawa“ startete. Das | |
Gorki-Theater selbst kooperiert mit dem noch immer unabhängigen Teatr | |
Polski. | |
Doch auch das liberale Posen ist vor Kulturkämpfen nicht gefeit. Weil die | |
Stadt beim jährlichen Malta-Festival an dem umstrittenen Theaterregisseur | |
Oliver Frljić als Kurator festhielt, strich das Kulturministerium in | |
Warschau die Gelder. Posen organisierte daraufhin eine | |
Crowdfunding-Kampagne, das Festival konnte stattfinden. | |
Für Dorota Danielewicz hat die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Posen | |
noch viel Luft nach oben. „Obwohl beide Städte nicht weit voneinander | |
entfernt sind, gibt es viel zu wenig Austausch auf offizieller Ebene“, | |
meint die Publizistin und Schriftstellerin, die in Posen geboren ist und in | |
Berlin lebt. Vielleicht liegt das auch daran, dass Posen wegen seines | |
wirtschaftlichen Erfolgs lange Zeit nur als Messestandort und Stadt der | |
Autoindustrie wahrgenommen wurde. Auch Danielewicz spricht von Posen in | |
einem Essay für das deutsch-polnische Magazin Dialog von einer „Metropole | |
des Pragmatismus“. Doch Posen ist eben beides – eine wirtschaftlich | |
brummende Stadt und ein Ort der Kultur und des zivilgesellschaftlichen | |
Engagements. So erzählt Danielewicz unter anderem von Joanna Stankiewicz, | |
einer Aktivistin der Frauenbewegung und Kulturwissenschaftlerin, die | |
zuletzt Geld für die Flüchtlinge im griechischen Auffanglager „Nea Kavala“ | |
gesammelt hatte. „From Poznan with love“ hieß die Aktion. | |
Auch der Stadtpräsident verbindet mit seiner Person wirtschaftliches Denken | |
und künstlerischen Impetus. „Freiheit, Demokratie und Offenheit machen auch | |
Gespräche mit Investoren einfacher“, bekannte er in einem Interview mit dem | |
Nachrichtenmagazin Polityka. Gleichzeitig ist er stolz darauf, mit der 2004 | |
verstorbenen Liedermacherlegende Jacek Kaczmarski befreundet gewesen zu | |
sein. „Als sein Manager“, weiß Dorota Danielewicz, „soll er sogar die | |
Veränderung seines Repertoires vom politischen in ein eher philosophisches | |
beeinflusst haben“. | |
Um zwischen beiden Städten ein engeres Netz zu knüpfen, findet im Frühjahr | |
erstmals ein Runder Tisch Berlin-Posen statt, der von der Stiftung Zukunft | |
Berlin organisiert wird. „Beim Treffen in Posen werden wir über eine | |
Kooperation der Posener mit der Deutschen Oper sprechen und auch über eine | |
Zusammenarbeit zwischen der Alten Nationalgalerie und dem Posener | |
Nationalmuseum“, freut sich Reinhard Schweppe, einst deutscher Botschafter | |
in Warschau und nun Leiter der AG Polen bei der Stiftung. Dafür, so | |
Schweppe, gebe es auch in der Posener Stadtverwaltung „eine große | |
Offenheit“. | |
Ob das so bleibt? Mit seiner Kritik an Vegetariern und Radfahrern hatte | |
Polens Außenminister nicht nur den Westen attackiert, sondern auch jene, | |
die in Polen für den westlichen Lebensstil stehen. Es ist ein offenes | |
Geheimnis, dass die PiS alles daran setzt, bei den Kommunalwahlen nächstes | |
Jahr die Rathäuser der liberalen Städte zu erobern. Derzeit stellen die | |
Nationalkonservativen kein einziges Stadtoberhaupt in einer Großstadt. | |
In Posen freilich dürfte das nicht so einfach sein. Laut einer neuesten | |
Umfrage kann „Dżej dżej“ damit rechnen, auch nach der Wahl Präsident zu | |
bleiben. | |
26 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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