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# taz.de -- taz-Serie Nachtzüge: Es klemmt im Donauknie
> Der Euro Night Line Berlin–Prag–Budapest fährt im Dezember zum letzten
> Mal. Trotz mäßigen Komforts werden ihn viele vermissen.
Bild: Im Schlaf nach Budapest? Bald nicht mehr
Kurz vor Dresden Hauptbahnhof hat sich die Reise bereits gelohnt. Über die
Kulisse der vorbeirauschenden Elbstadt steigt ein blutroter Vollmond gen
Nachthimmel auf. Für die vier Personen im Abteil 5 des Wagens 260 kommt es
noch besser. Ihre Türe lässt sich nicht ordnungsgemäß verriegeln – und so
lernen sie den rührenden Schaffner József kennen.
Mit einem verlegenen Lächeln betritt der Ungar – dunkler Anzug, Brille,
blaue Krawatte – das Abteil. In der Hand hält er eine Holzlatte. Und József
demonstriert, wozu sie dient. Er schließt die Schiebetür, verriegelt sie
und rüttelt daran: Sie springt 20 Zentimeter weit auf. „Problem“, sagt
József trocken. Er schließt die Tür wieder, setzt das Holz am Griff an und
keilt es in den Rahmen ein. Er rüttelt erneut. Die Tür bewegt sich keinen
Millimeter. „Bitte machen Sie es genau so in der Nacht“, bittet er auf
Deutsch.
Auf der Euro Night Line Berlin–Prag–Budapest (EN477) wird Sicherheit
großgeschrieben. Ein Warnhinweis im Abteil fordert Passagiere in fünf
Sprachen auf, die Abteiltüren mit Schloss und zusätzlicher Kette zu
verschließen.
Laut Schaffner József ist das auch notwendig. Fünf Jahre lang arbeitet er
auf dieser Strecke: gut 13 Stunden Fahrzeit, fast 1.000 Kilometer, einmal
quer durch Tschechien und die Slowakei. Einmal seien Passagiere während der
Nacht ausgeraubt worden. Die Anzeige bei der Polizei habe natürlich nichts
bewirkt. Seither warnt József eindrücklich vor Langfingern: „Prevention is
better.“
## Im Dezember ist Schluss
Seine Warnungen – berechtigt oder nicht – wird Schaffner József nicht mehr
lange aussprechen. Ab Mitte Dezember wird die Deutsche Bahn ihre City Night
Line nicht mehr anbieten. Auch die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) will
die Strecke nach Prag mit Anschluss nach Warschau oder Budapest offenbar
nicht übernehmen.
Für viele Reisende Richtung Ungarn ist das lästig. Eine Frau reist
regelmäßig beruflich nach Budapest. Für sie ist der Nachtzug optimal.
Abfahrt in Berlin-Hbf: 18.56. Ankunft in Budapest-Keleti: 8.37. (Rückfahrt:
20.05–9.43 Uhr.) Die längeren Halts mitten in der Nacht (je eine halbe
Stunde in Prag und Brno, ganze Stunde in Břeclav) stören sie nicht.
Touristen sowieso nicht. Marie und Luisa sind mit viel Gepäck und
Reiseplänen (Budapest, Adriaküste, Überfahrt nach Italien) unterwegs.
## Komfort bis 1,80 Meter
Zum Komfort im Zug sagen die Studentinnen aus Berlin: „ausreichend“ (bis zu
Körpergröße 1,80 Meter hat man auch im Liegewagen genügend Platz zum
Schlafen), zum Service: „top“ (neben dem sympathischen Schaffner gibt es
kostenlos Sprudelwasser und ein Frühstück: Croissant und O-Saft). Wenn man
nicht mehr Anfang 20 ist, stört vielleicht das klemmende Fenster, das –
wenn man es nicht mehr aufbekommt – das Abteil in eine Sauna verwandelt.
Dafür wiegt einen das gleichmäßige Stampfen des Zugs in den Schlaf.
Mit dem ersten Tageslicht erblicken wir die nun stattliche Donau, die sich
seit der slowakisch-ungarischen Grenze kurvig an die Gleise schmiegt.
Hinter diesem „Donauknie“ überraschen die Hügel des Nationalparks
Duna-Ipoly. Ungarn ist für Gulasch und den Plattensee bekannt – nicht für
Berge.
Schließlich fährt der Zug in den eindrucksvollen Neorenaissance-Bahnhof
Keleti ein. Mit seinem luftigen Stahl-Glas-Kuppeldach und den prunkvollen
Arkaden erinnert er an den Pariser Gare de L’est. Dorthin wird es in
Zukunft übrigens auch keine Nachtlinie mehr geben. Quel dommage! Oder wie
man in Ungarn sagt: Kár!
4 Sep 2016
## AUTOREN
Ralf Pauli
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Prag
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