| # taz.de -- taz-Serie Nachtzugkritik: Der geschenkte Tag | |
| > Das Auto ruht, die Familie auch. Eine nächtliche Fahrt mit dem | |
| > slowakischen Autovlak ist erholsam. Der Zug ist selbst in der Slowakei | |
| > ein Geheimtipp. | |
| Bild: Das Ziel der Reise: Prag | |
| Berlin taz | Das Zauberwort heißt Autovlak, das ist Slowakisch und heißt | |
| Autozug. Der Reiseführer gibt es noch rechtzeitig preis. Bis hinter | |
| Siebenbürgen hat es die Familienkutsche, ein elf Jahre alter Kombi, samt | |
| Familie geschafft. Aber alles mit geruhsamen Pausen für Mensch und Material | |
| – Milch und Eier vom Bauern, Selbstgebrannter auch. Und Kultur, | |
| Weltkulturerbe. Ungarische Bauernhäuser, siebenbürgische Wehrkirchen, | |
| Moldau-Klöster. Aber wieder zurück? Über rumänische Bergpässe? Ungarische | |
| Mautautobahnen? Slowakische Serpentinen? Gibt es keinen Zauber, um diese | |
| Tortur zu verkürzen? Einfach beamen? Gibt es nicht. Gibt es doch: Autovlak. | |
| Ein Auto, vier Personen, Abfahrt in Poprad 21.53 Uhr, Ankunft in Prag 6.38 | |
| Uhr, macht 148 Euro. Mehr als eine Stunde hat der Kauf auf der Homepage der | |
| Slowakischen Staatsbahn nicht gedauert. Das „Vehicle coupon“ liegt | |
| ausgedruckt auf dem Tisch. Es sieht ehrlich gesagt ein bisschen dürftig | |
| aus. | |
| Fünf Tage später steht die Familienkutsche, Rumänien und Ungarn liegen | |
| hinter ihr, am Abend an der Verladerampe im Bahnhof Poprad, Ostslowakei. | |
| Der Schaffner zieht die Stirn kraus. „Tickets?“ – „Keine Tickets, Vehic… | |
| coupon!“ – „Moment!“ Der Schaffner verschwindet. Keine Tickets, was nun? | |
| Der eine Rangierer ist überaus mürrisch, der andere überaus freundlich. | |
| Beide rauchen wie die Schlote. Immerhin darf der Kombi auf den Waggon. Er | |
| hat einen Fahrschein, die Menschen noch nicht. Da steht er nun, im | |
| Familienjargon „Silberpfeil“, er kann sich die nächsten 600 Kilometer | |
| schonen. | |
| ## Die Autos wiegen sich im Takt | |
| „Gute Reise!“, kräht der freundliche Rangierer und winkt. Dann setzt sich | |
| Autovlak in Bewegung, angekoppelt an den „EN 444 Slovakia“, der von Košice | |
| kommt. Ein Schlafwagen, halbleer, zehn Personen, und ein Autowagen, gerade | |
| vier tschechische und slowakische Fahrzeuge wiegen sich im Takt, der | |
| „Silberpfeil“ mittendrin. Die Familie, aufgeteilt in zwei Abteile, wiegt | |
| sich auf weichen Polstern. Auf dem Gang ist es bald still. Zwei | |
| Dienstreisende, zwei Paare und eine Familie aus Berlin schauen noch einmal | |
| auf die Zweieinhalbtausender der Hohen Tatra. | |
| Später bringt der Schaffner die Tickets. Achtzehn Euro kostet der | |
| Schlafplatz pro Nase zusätzlich, macht alles in allem 220 Euro für eine | |
| Reise von Poprad nach Prag, samt Übernachtung und Pkw und eine gesparte | |
| Tankfüllung. Hinzu kommen Kaffee, Wasser und Croissants. Ein guter Preis. | |
| Die slowakische Staatsbahn dürfte hingegen kaum Gewinn machen. Der Autovlak | |
| ist so ein Geheimtipp, dass ihn selbst in der Slowakei wenige kennen. | |
| Der Zug rattert durch die Nacht, immer an der Waag entlang. Der Mond lässt | |
| den Fluss funkeln. Auf einem Felsen taucht kurz die Burg Strečno auf, ein | |
| slowakisches Nationalheiligtum. Wie auf einer spärlich beleuchteten | |
| Drehbühne gleitet die Landschaft vorbei. Sehr erholsam, sehr angenehm. | |
| Noch angenehmer aber war der geschenkte Tag zuvor mit einer Wanderung auf | |
| die Zipser Burg, ein mächtiger Kegel, und einen Spaziergang durch Levoča | |
| mit Jakobskirche und dem weltgrößten gotischen Schnitzaltar. Alles sehr | |
| erhaben, alles Weltkulturerbe. Und Eis für die Kinder war auch noch drin, | |
| so wie das Bier für den Fahrer am Abend. Danke, Autovlak! | |
| 6 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Gerlach | |
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