# taz.de -- Nachhaltigkeit und Wissenschaft: Der Weg ist noch weit | |
> Die Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende hat nicht alle Ziele | |
> erreicht. Ihre Mitglieder werden angehört, haben aber kaum Einfluss. | |
Bild: Weg von den fossilen Rohstoffen war eins der zentralen Themen bei der Pla… | |
Der Anspruch war groß: Neue Einflusstore in die Forschungspolitik wollte | |
man öffnen; unter Beteiligung der Zivilgesellschaft sollte der Koloss | |
Wissenschaft dazu bewegt werden, sich mehr mit Zukunftsthemen und | |
„transdisziplinärer Forschung“ zu befassen. Aber vier Jahre später ist das | |
Kräftemessen David contra Goliath anders ausgegangen als in der Bibel. | |
Die 2012 gestartete „Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende“ zog | |
jetzt zum Abschluss ihrer Förderphase zwar eine selbstzufriedene Bilanz. | |
„In Expertenräten wie dem Hightech-Forum finden sich erstmals Vertreter der | |
Zivilgesellschaft wieder“, stellt Steffi Ober als Sprecherin der | |
Forschungswende fest. | |
„Unsere Plattform wird zu Anhörungen im Bundestag oder Hightech-Forum | |
geladen und ist vielfältig an der Diskursbildung in Forschung und | |
Innovation beteiligt.“ Bei näherer Betrachtung werden indes auch Defizite | |
deutlich, die ebenso anderen Akteuren auf dem Spielfeld oder besser: | |
Kampfplatz der „Großen Transformation“ zur Lehre gereichen können. | |
Der Anstoß für die Forschungswende kam von den Umweltverbänden. 2012 hatte | |
der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Bund) die wegweisende | |
Denkschrift „Nachhaltige Wissenschaft“ vorgelegt, deren Hauptautor Uwe | |
Schneidewind vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie war. Das | |
Papier kritisierte die Mainstreamwissenschaft, die sich zu wenig um Fragen | |
grundlegender ökologischer Neuorientierung kümmere. | |
Zusammen mit anderen Umweltverbänden, wie dem Deutschen Naturschutzring und | |
dem Naturschutzbund Nabu, wurden zehn „zivilgesellschaftliche Forderungen | |
an die Wissenschafts- und Forschungspolitik“ formuliert, die bis heute | |
weitgehend unerfüllt sind. Die Forderung „jährlich eine Milliarde Euro mehr | |
für transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung“ konterte das | |
Bundesforschungsministerium mit einer trickreichen Addition von Umwelt- und | |
Energieprojekten, mit der Botschaft: „längst passiert“. | |
## Dauerfinanzierung abgelehnt | |
Als operative Einheit war die Plattform Forschungswende gedacht. Ihr | |
formeller Träger war die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), die | |
dafür aus der Programm Verbändeförderung des Umweltbundsamtes (UBA) den | |
Betrag von jährlich 70.000 Euro erhielt. Mit einer halben Planstelle und | |
minimalen Projektmitteln konnten organisatorisch keine großen Sprünge | |
gemacht werden. Gleichwohl habe die Forschungswende „beim Andiskutieren von | |
Themen Gewaltiges geleistet“, konstatiert Uwe Schneidewind. „Aber der Weg | |
ist noch sehr weit.“ Bis zuletzt versuchten die Verbände, das | |
Forschungsministerium für eine Dauerfinanzierung der Plattform zu gewinnen. | |
Ohne Erfolg. | |
Die Wende für die Forschungswende kam mit einem politischen Konflikt hinter | |
den Kulissen. Bundestagsabgeordnete der CSU hatten sich beim damaligen | |
CDU-Umweltminister Peter Altmaier beschwert, dass mit Geldern aus seinem | |
Hause grüne Parteipolitik unter dem Deckmantel der Wissenschaft finanziert | |
werde. In der zweiten Runde des Förderprojekts zog das UBA die Zügel an: | |
Fortan durfte die Forschungswende sich nur noch in der | |
wissenschaftspolitischen Bildung für Umweltverbände und andere | |
zivilgesellschaftliche Organisationen betätigen. „Empowerment und Capacity | |
Building in den ZGO für die Partizipation in der transdisziplinären | |
Forschung“ lautete nun in schönstem Behördendeutsch der Arbeitsauftrag der | |
Forschungswende. | |
Erfolge auf Verbandsseite gibt es, aber sie halten sich in Grenzen. So habe | |
der Nabu neue Stellen für nachhaltige Wissenschaftspolitik und Bioökonomie | |
eingerichtet, berichtet Steffi Ober, der Bund richtete eine | |
Wissenschaftskommission ein, und der Naturschutzring stellte seine | |
Mitgliederversammlung unter das Rahmenthema Forschung. | |
Das Umweltbundesamt dagegen schätzt ein, dass allenfalls die | |
Verbandsspitzen für das Forschungsthema gewonnen wurden. „Die Basis der | |
Verbände wurde nicht erreicht“, sagt ein UBA-Mitarbeiter der taz. „Dort | |
konnte die Beteiligung an der Forschungswende kaum als attraktives und | |
lohnendes Betätigungsfeld vermittelt werden.“ Anerkannt wird aber das | |
Engagement der Projektleiterin. „Frau Ober hat sich mit Blick auf die | |
inhaltlichen Fragen als hoch kompetent gezeigt und ist sehr mutig auch auf | |
hochrangige Politiker zugegangen“, so die persönliche Sicht des | |
UBA-Mitarbeiters. Die Forschungswende habe gute Veranstaltungen | |
organisiert. | |
## Der Lerneffekt | |
Die Lerneffekte gab’s gratis. Etwa dass Beteiligung nicht immer drin ist, | |
wo Partizipation draufsteht. Bei der Gestaltung des größten | |
Forschungsvorhabens zur Energiewende, der mit 400 Millionen Euro | |
ausgestatteten „Kopernikus“-Projekte, durften zwar die Vertreter der | |
Zivilgesellschaft mit am Beratungstisch sitzen. Am Schluss wurden aber doch | |
nur die Forschungsprojekte angenommen, die von den großen | |
Wissenschaftsorganisationen und der Wirtschaft kamen. Das fünfte | |
Kopernikus-Projekt von Forschungswende und Umweltverbänden fiel durch. | |
Andere Aktionslinien wurden zu wenig verfolgt. Eine politische Forderung in | |
2013 war die „Einrichtung eines Wissenschaftsforums und eines | |
Forschungsfonds der Zivilgesellschaft“. Davon war die | |
SPD-Bundestagsfraktion so beeindruckt, dass sie die Fonds-Idee in ihr | |
Wahlprogramm aufnahm und in Ansätzen sogar in den schwarz-roten | |
Koalitionsvertrag einbringen konnte. Aber der Vorstoß geriet in | |
Vergessenheit. Es fehlte der zivilgesellschaftliche „Kümmerer“. | |
Auch bei der jungen Bewegung der Bürgerforschung (Citizen Science), die | |
sich in Deutschland in den letzten Jahren entwickelte, kam es zu keiner | |
engen Kooperation mit der Forschungswende – obwohl beide aus dem | |
gesellschaftlichen Raum an die Wissenschaft herantreten und sich beteiligen | |
wollen. „Wir schaffen es nicht, überall dabei zu sein“, kommentiert Steffi | |
Ober gegenüber der taz die Leerstelle. „Es ist eben ein Kapazitätsproblem.�… | |
## Lösungen gesucht | |
Wie geht es weiter mit der Forschungswende? Da eine große | |
Finanzierungslösung nicht in Sicht ist – auch die Umweltverbände wollen die | |
Plattform nicht aus ihren Mitgliedsbeiträgen bezahlen –, sind | |
Überbrückungslösungen gefragt. Bei der Abschlussveranstaltung im Juni gab | |
Steffi Ober bekannt, dass sich die Forschungswende ab September an zwei | |
Projekten des Kopernikus-Projekts (Projekt 1 Volatile Energiesysteme und | |
Projekt 4 Systemische Integration der Energiewende) beteiligen werde, um | |
dort die gesellschaftlichen Aspekte der Energiewende einzubringen. | |
Auch eine Beteiligung an dem Projekt „Nachhaltiges Wirtschaften Nawiko“ im | |
Rahmen des BMBF-Programms für Sozial-ökologische Forschung sei in | |
Vorbereitung und würde dann bis 2018 laufen. Weitere Anträge als | |
Projektpartner in Forschungsprojekten zur Bioökonomie seien in Planung. Der | |
Einsatz für transformative Forschung transformiert derzeit vor allem die | |
Forschungswende-Plattform selbst. | |
26 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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