# taz.de -- Umbau der Forschungslandschaft: Die Machtfrage stellen | |
> Eine nachhaltige Forschung wurde von Umweltverbänden und Forschern vor | |
> zwei Jahren gefordert. Auf einer Konferenz wurde jetzt Bilanz gezogen. | |
Bild: Der wissenschaftliche Nachwuchs ist eine der tragenden Säulen für den U… | |
EBERSWALDE taz | Vor zwei Jahren hat die Umweltbewegung der Wissenschaft | |
einen Tritt versetzt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland | |
(BUND) veröffentlichte sein Manifest [1][„Nachhaltige Wissenschaft“], in | |
dem er den deutschen Forschern zu wenig Einsatz für Ökothemen und eine | |
Transformation der Gesellschaft in Richtung nachhaltige Entwicklung | |
vorwarf. Die heutige Wissenschaft sei „autistisch“, blind für die | |
brennenden gesellschaftlichen Herausforderungen und zu wirtschaftshörig. | |
Was ist seitdem geschehen? Hat die Kritik Wirkung gehabt? In dieser Woche | |
wurde in einer Konferenz des BUND mit der [2][Hochschule für nachhaltige | |
Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde] eine Zwischenbilanz gezogen. | |
Ergebnis: Fortschritte sind erkennbar, aber womöglich sind Tempo und Umfang | |
des Wissenschaftswandels doch zu gering, um den Globalproblemen wirksam | |
gegenzusteuern. | |
„Ich spüre, es kommt Bewegung ins System“, sagt [3][Uwe Schneidewind, | |
Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie.] Er war | |
seinerzeit im wissenschaftlichen Beirat des BUND einer der Hauptautoren der | |
Streitschrift und hat im letzten Jahr mit seinem Buch „Transformative | |
Wissenschaft“ die Blaupause zum nachhaltigen Umbau der deutschen | |
Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorgelegt. | |
In rot-grün regierten Bundesländern, wie Baden-Württemberg, wurde schon mit | |
der Umsetzung in Form von „Real-Laboren“ begonnen. Selbst der | |
Wissenschaftsrat erörtert derzeit, ob die „Grand Challenges“ der | |
Gesellschaft, wie Klimawandel und Demografie, von den deutschen Forschern | |
angemessen bearbeitet werden. | |
Auch Steffi Ober, Wissenschaftsexpertin des Naturschutzbundes (Nabu), die | |
seit Sommer 2012 die vom Bundesumweltministerium geförderte | |
[4][zivilgesellschaftliche Plattform „Forschungswende“] koordiniert, ist | |
über die bisherige Resonanz „sehr erstaunt“. Es gebe vielfältige | |
Aktivitäten von Kiel bis Augsburg. „Wir kommen Schritt für Schritt weiter�… | |
Die Plattform, in der sich Umweltverbände und andere zivilgesellschaftliche | |
Organisationen zusammengeschlossen haben, hatte seine größte politische | |
Bewährungsprobe im Forschungsausschuss des Bundestages zu bestehen. Die CSU | |
attackierte die „Forschungswende“, sie wolle „nach 60 Jahren | |
Forschungslenkung“ durch Nazis und Kommunisten die Wissenschaft erneut an | |
die Zügel nehmen, diesmal der Nachhaltigkeit. Das Bekenntnis zur | |
Wissenschaftsfreiheit ist seitdem in jeder Stellungnahme der | |
Forschungswende obligat. | |
## Das Forschungsministerium finanziert | |
Auf offene Türen stießen die Wissenschaftsveränderer bislang im zuständigen | |
Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF). Die Forderung nach 1 | |
Milliarde Euro Forschungsgelder für Nachhaltigkeitsthemen sei längst | |
erfüllt, rechnete der zuständige Ministerialbeamte Wilfried Kraus auf der | |
Eberswalde-Konferenz vor. Weitere 340 Millionen Euro gebe es für ein Forum | |
zur wissenschaftlichen Begleitung der Energiewende. Im neuen Fona-Programm | |
(Forschung für Nachhaltigkeit), das in diesem Jahr starte, seien 3,3 bis | |
3,5 Milliarden Euro für Nachhaltigkeitsprojekte vorgesehen. | |
Auch die Bürgerorientierung kommt dem BMBF leicht über die Lippen. „Für uns | |
ist Wissenschaft ein Dialogprozess“, sagt Kraus. „Wir müssen die | |
Kommunikation mit der Gesellschaft viel früher beginnen und die Bürger dort | |
abholen, wo sie sich befinden.“ Dazu gehöre dann aber auch, nicht nur die | |
Leistungen der Hochenergiephysiker am Deutschen Elektronen-Synchrotron Desy | |
in Hamburg verständlich zu erklären, sondern auch die Frage zuzulassen: | |
„Ihr verbraucht Strom für 100.000 Haushalte – geht’s nicht etwas | |
sparsamer?“ | |
Bisher hatten die Wissenschaftstransformateure einen Schwerpunkt auf der | |
Forschung. Die Ökoforscher bündelten sich im Verbund [5][„NaWis“] | |
(Wuppertal, Kassel, Lüneburg, Potsdam) und dem Institutsnetzwerk | |
[6][„EcoRNet“], zu dem jüngst auch das Berliner Institut für | |
Zukunftsstudien und Technologiebewertung hinzugekommen ist. | |
## Nur schwer zu bewegen | |
„Jetzt kommt aber die härteste Nuss für uns: die Hochschulen“, erklärt | |
Schneidewind. Deren Problem ist die disziplinäre Ausrichtung und die | |
verkrusteten Machtstrukturen. „Das Wissenschaftsystem hat eine unglaubliche | |
Beharrungskraft“. | |
„Die Themen der Forschungswende haben wir schon in den 90er Jahren | |
diskutiert“, kritisiert der Trierer Soziologe Bernd Hamm. „Aber wir kommen | |
nicht voran, weil wir die Machtstrukturen in der Wissenschaft nicht | |
angreifen.“ Auf der Eberswalder Konferenz war die „Machtfrage“ der | |
hitzigste Diskussionspunkt. Rudi Kurz von der Hochschule Pforzheim, derzeit | |
Leiter der Wissenschaftskommission des BUND, verwies auf die Rolle der | |
Hochschulräte, von denen viele mit Wirtschaftsvertretern besetzt sind und | |
auf diesem Wege das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ und ihrer | |
Wirtschaftsausrichtung durchsetzten. Dies müsse sich ändern. | |
Als weiterer Veränderungsmotor wurden in Eberswalde die Studierenden | |
ausgemacht. Sie kommen mit frischen Ideen in die erstarrte Alma Mater und | |
bleiben dort nur einige Jahre, gehören nicht zur langfristigen | |
Machtstruktur. | |
## Stärker einmischen | |
Hannes Bever vom studentischen [7][„Netzwerk N“] (für Nachhaltigkeit) will | |
erreichen, dass sich die Studierenden stärker in die Themensetzung ihrer | |
Hochschulen einmischen. „Sie sollen Themen einfordern und sich ihre | |
Lehrenden quasi selbst erziehen“, schwebt Bever vor. | |
Ein erster Schritt ist das Projekt „Wandercoaching“ des Netzwerks, das in | |
diesem Monat begonnen hat. In jeweils zweitägigen Workshops werden | |
Studenten dazu trainiert, anstoßgebende „Change Agents“ an ihrer Hochschule | |
zu werden. Eine Aktivität ist unter anderem die Verwendung | |
umweltfreundlicher Kaffeebecher. Um in diesem Jahr 15 Hochschulen zu | |
erreichen, finanziert das Bundesforschungsministerium dem Netzwerk drei | |
halbe Personalstellen. | |
Als nächste Etappe des deutschen Wissenschaftsumbaus könnte die | |
„Bürger-Hochschule“ Gestalt annehmen, die neueste Idee von Uwe | |
Schneidewind. „Dies ist eine Hochschule , die die Gesellschaft als Ganzes | |
zum Ausgangspunkt ihrer Forschung und Lehre nimmt“, erklärt der Wuppertaler | |
Forscher. Zentrale Ansätze der Bürgerhochschule ist mehr | |
Interdisziplinarität im Innern und ein organisierter „Brückenschlag in die | |
Gesellschaft“. | |
25 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/nachhaltigkeit/20110202… | |
[2] http://www.hnee.de/de/ | |
[3] http://wupperinst.org/kontakt/details/wi/c/s/cd/947/ | |
[4] http://www.forschungswende.de/ | |
[5] http://nachhaltigewissenschaft.blog.de/2011/07/03/verbund-nachhaltige-wisse… | |
[6] http://www.ecornet.eu/ | |
[7] http://www.netzwerk-n.org/ | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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