# taz.de -- Bürgerbeteiligung in der Forschung: Innovationsgewalt geht vom Vol… | |
> Österreich hat eine neue „Open Innovation“-Strategie. Die Bürger werden | |
> bei der Formulierung von Forschungszielen besser eingebunden. | |
Bild: Wissenschaftliches Experimentieren schon für die Kleinsten | |
In Österreich wird die Zivilgesellschaft künftig an der Innovationspolitik | |
des Landes aktiv beteiligt. Auf dem Europäischen Forum Alpbach, einem | |
internationalen Expertentreffen für Wissenschaft, Bildung und Technologie, | |
wurde in der vergangenen Woche die neue „Open Innovation-Strategie“ der | |
Regierung vorgestellt, mit der sich die Alpenrepublik an die Spitze der | |
Partizipationsbewegung in Europa stellen will. | |
Unter „Open Innovation“ wird der Ansatz verstanden, bei der Entwicklung von | |
neuen Technologien und innovativen Verfahren die späteren Endnutzer und | |
Betroffenen von Anfang an einzubeziehen – und zwar nicht nur informell, | |
sondern mit konkreten Einflussmöglichkeiten. | |
Bisher war „Open Innovation“ vor allem in der Wirtschaft verbreitet, wo die | |
frühen Modelle von neuen Produkten, zum Beispiel Sportschuhe, den Nutzern | |
gezeigt werden, um von ihnen Verbesserungsvorschläge zu bekommen. Höhere | |
Akzeptanz bedeutet in der Konsumwelt mehr Absatz. Aber auch jenseits der | |
Wirtschaft hat sich „Open Innovation“ in den letzten Jahren verbreitet, als | |
Teil einer breiteren „Open“- und „Sharing“-Bewegung, die etwa Software | |
(Open Source) gemeinsam entwickelt, Gebrauchsgegenstände oder Wissen (Open | |
Knowledge) mittels Internet teilt. | |
„Open Innovation bedeutet eine Demokratisierung von Innovationsprozessen“, | |
heißt es in der Strategie, die von den österreichischen Bundesministerien | |
für Wissenschaft und Innovation erstellt wurde. „Jede Bürgerin, jeder | |
Bürger und jede Organisation kann im Prinzip zu Open Innovation-Aktivitäten | |
beitragen, diese initiieren oder von ihnen profitieren“, verspricht das | |
102-Seiten-Papier. | |
## Vollkommen neue Wege | |
„Wir gehen damit vollkommen neue Wege, und zwar über das traditionelle | |
Innovationssystem im Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsbereich | |
hinaus“, erklärte der Wiener Wissenschafts-Staatssekretär Harald Mahrer | |
(ÖVP) bei der Vorstellung der Strategie. Man wolle „alle Bereiche, die | |
einen Beitrag zur innovativen Entwicklung des Landes leisten können, | |
vernetzen“. | |
In 14 Maßnahmenfeldern werden schon bestehende Projekte, vor allem im | |
Bereich öffentlicher Einrichtungen, vorgestellt oder ihre Initiierung | |
angeregt. | |
So sollen „offene Innovations- und Experimentierräume“ in Kindergärten und | |
Schulen eingerichtet, das Thema in die Aus- und Weiterbildung von Pädagogen | |
eingebracht sowie Open-Data- und Open-Access-Prinzipien in der Forschung | |
vorangetrieben werden. Selbst „Abgeltungsmodelle für Crowdwork“ – die | |
Beteiligung an Bürgerwissenschafts-Projekten – sollen erprobt werden. Auch | |
juristische Finessen, wie etwa Vertragsmuster zur Fragen des geistigen | |
Eigentums und Verwertungsrechte für Open Innovation-Prozesse, werden in den | |
Blick genommen. | |
## Open Innovation in der Medizin | |
Nächster großer Schritt ist im Oktober die Eröffnung des „Open Innovation | |
in Science Research and Competence Center“ (OIS Center) bei der Ludwig | |
Boltzmann Gesellschaft (LBG), einer außeruniversitären | |
Großforschungseinrichtung. Es wird für die nächsten drei Jahre aus Mitteln | |
der Nationalstiftung für Forschung mit 2 Millionen Euro gefördert. Die | |
Boltzmann-Gesellschaft bereitet zudem in ihrer Medizin-Sektion ein neues | |
Forschungsinstitut für psychische Gesundheit bei Kindern vor. Die | |
Besonderheit: Der Forschungsbedarf dafür war in einem großen | |
„Crowdsourcing“-Projekt in einer Bevölkerungsbefragung ermittelt worden – | |
Österreichs erste „Open Innovation“ in der Medizin. | |
Ein Vorbild für Deutschland? „Der Ansatz, die Zivilgesellschaft stärker in | |
der Innovationspolitik einzubeziehen, ist richtig und sollte auch in | |
Deutschland bei der Neuausrichtung der High-Tech-Strategie maßgebende | |
Beachtung finden“, urteilt Thomas Heimer, Leiter der deutschen | |
Niederlassung der „technolopolis“-Gruppe, einem innovationspolitischen | |
Thinktank. Im März hatte „technopolis“ für das deutsche | |
Wirtschaftsministerium das Konzept für eine internetbasierte | |
Open-Innovation-Plattform vorgelegt. „Die Verbreiterung der | |
innovationspolitischen Perspektive auf nichttechnische Innovationen ist | |
dringend erforderlich und sollte auch die deutsche innovationspolitische | |
Ausrichtung maßgeblich beeinflussen“, erklärte Heimer gegenüber der taz. In | |
diesem Punkt der sozialen Innovationen sei die österreichische OI-Strategie | |
allerdings noch „zu gering ausgearbeitet“. | |
4 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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