| # taz.de -- Kreativlabore für alle: Kreativer Treibhauseffekt | |
| > Offene Labore und Werkstätten bieten neue Gelegenheiten für Innovationen | |
| > außerhalb der etablierten Forschungseinrichtungen. | |
| Bild: Roboter „Pepper“ soll in Alters- und Pflegeheimen eingesetzt werden | |
| Berlin taz | Treibhäuser gibt es nicht nur auf dem Acker, sondern auch in | |
| den Städten, häufig in den Räumen einstiger Hinterhoffabriken. Aber hier | |
| werden keine Gurken und Tomaten gezüchtet, sondern es keimen und reifen | |
| Ideen. Hier wächst Zukunft. In diesen „Open Creative Labs“ herrschen | |
| besondere Bedingungen der Ausstattung und des gemeinsamen Arbeitens, hat | |
| die erste deutsche Gesamtstudie zu dem Thema herausgefunden, die jetzt auf | |
| einer Konferenz für Innovations- und Technikanalyse (ITA) in Berlin | |
| vorgestellt wurde. | |
| „Open Creative Labs“ ist selbst schon eine wissenschaftliche | |
| Begriffserfindung, um die Vielfalt der „offenen Kreativlabore“ | |
| zusammenzufassen. Sie nennen sich Maker Spaces und Fablabs, offene | |
| Werkstätten und Coworking Spaces, wo Bastler, Tüftler, Unternehmer, Gründer | |
| und Kreative an ihren technischen Erfindungen und sozialen Innovationen | |
| werkeln. „Es handelt sich um lokale Gegenwelten“, erklärt Oliver Ibert vom | |
| Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner bei | |
| Berlin. | |
| Nach außen firmieren sie rechtlich als Vereine oder Genossenschaften, nach | |
| innen funktionieren die Kreativ-Orte nach eigenen Regeln und Werten | |
| („Soziokratie“). „Es sind Orte des Teilens – von teuren Geräten, von | |
| Know-how, von Sozialkapital“, beschreibt Ibert. Das Credo lautet: „Alle | |
| sind willkommen, die in dieselbe Richtung schauen“. | |
| Am IRS hat Ibert mit seinen Kollegen im Auftrag des Bundesministeriums für | |
| Bildung und Forschung (BMBF) erstmals genauer untersucht, wie sich die neue | |
| digitale Alternativszene in Deutschland entwickelt und welches | |
| Selbstverständnis sie kennzeichnet. Quantitativ wurden in dem dreijährigen | |
| Forschungsprojekt 357 offene Kreativlabore ermitteln, die sich in elf | |
| Metropolregionen bündeln. Die größte Zahl (100) gibt es in der Region | |
| Berlin-Brandenburg, wo auch der wirtschaftliche Effekt mit 3,5 Labs pro | |
| 100.000 Erwerbstätigen am höchsten ist. Das Ruhrgebiet kommt auf 51 Labs, | |
| gefolgt von den Clustern in Mitteldeutschland, Hamburg und München mit 35 | |
| bis 36 Labs. Die Beschäftigtenzahl lässt sich schwer taxieren, weil die | |
| personelle Fluktuation sehr hoch ist. Dass der Sektor boomt, belegen auch | |
| internationale Zahlen. Wurden 2013 weltweit 3.400 Coworking Space gezählt, | |
| waren es zwei Jahre später rund 7.800. | |
| „Open Labs bieten neue Gelegenheiten für Innovationen außerhalb der | |
| etablierten Institutionen“, fasst IRS-Projektleiter Ibert die qualitative | |
| Charakteristik zusammen. „Sie bieten speziellen Minderheiten eine Nische, | |
| in der ihre Bedürfnisse im Vordergrund stehen.“ Vor allem ihre „Offenheit | |
| für gesellschaftlich relevante Probleme“ – wie Ernährung, Mobilität, | |
| Recycling – macht ihre Bedeutung für die Zukunft aus. Daher warnen die | |
| IRS-Forscher in ihren Empfehlungen, mit der staatlichen Förderung achtsam | |
| zu sein: „Direkte Formen der politischen Unterstützung können aufgrund des | |
| basisdemokratischen und autonomen Charakters von Labs kontrapoduktiv | |
| sein.“ Besser wäre die indirekte Unterstützung von Nutzergruppen und | |
| Verbänden oder die Bereitstellung kostengünstiger Räumlichkeiten. | |
| ## Zukunft gestalten | |
| Die IRS-Untersuchung ist eines von 25 Projekten, mit denen das BMBF in den | |
| letzten drei Jahren unter dem Titel „Zukünfte erforschen und gestalten“ mit | |
| einem Programmvolumen von 6,5 Millionen Euro die Entwicklung einzelner | |
| Technikfelder und ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz untersuchen ließ. | |
| Schwerpunkte waren die Partizipation in Forschung und Innovation, Chancen | |
| und Risiken der Digitalisierung sowie flexible Konsum- und | |
| Eigentumsmodelle. Das ITA-Programm des Forschungsministeriums bildet | |
| sozusagen das regierungsamtliche Pendant zum Büro für | |
| Technikfolgenabschätzung des Bundestags (TAB), das den deutschen | |
| Gesetzgeber zu den gleichen Themen berät. | |
| Heraus kam ein Mix von neuen, teils hoch relevanten Erkenntnissen und der | |
| Bestätigung von schon Bekanntem. Gern wurden die Möglichkeiten von „Big | |
| Data“ genutzt. „Mit den sozialen Medien haben die Sozialwissenschaften ihr | |
| neues Teleskop gefunden, mit dem sie gesellschaftlichen Wandel besser und | |
| genauer beobachten können“, sagt Tobias Schröder von der Fachhochschule | |
| Potsdam. In einem Projekt zur Akzeptanz von neuen Mobilitätsangeboten wurde | |
| von ihm neben der klassischen Befragung auch 12.000 Tweets mit dem | |
| Stichwort „Autonomes Fahren“ ausgewertet. Fazit: Die Skepsis beim Bürger | |
| gegenüber neuen Mobilitätsangeboten überwiegt. „Das von einem | |
| Verbrennungsmotor angetriebene Auto gilt weithin als das attraktivste | |
| Verkehrsmittel im Alltag.“ Die Nutzung autonomer Fahrzeuge werde | |
| „vorsichtig befürwortet, wenn es sich um öffentliche Verkehrsmittel | |
| handelt“. Die Bereitschaft aber, das eigene Auto mit anderen Personen zu | |
| teilen, sei in der Durchschnittsbevölkerung „kaum ausgeprägt“. | |
| Auch andere Themen des technischen Fortschritts wurden unter die Lupe | |
| genommen. Eine Gruppe der Uni Würzburg fand heraus, dass beim Menschen die | |
| Distanz zum Roboter wächst, wenn er stark menschenähnlich mit Augen und | |
| Gliedmaßen gestaltet wird. „Wer also will, dass sein Serviceroboter | |
| akzeptiert wird“, ob in der Pflege oder im Haushalt, schlussfolgern die | |
| Forscher, „muss deutlich machen, dass es sich um ein technisches | |
| Hilfsmittel handelt, und verzichtet deshalb auf menschliche Züge bei der | |
| Maschine“. | |
| ## Burger aus der Petrischale | |
| Eine größere Offenheit stellten Wissenschaftler des Karlsruher Instituts | |
| für Technologie (KIT) bei der Bereitschaft zum Verzehr von | |
| „In-Vitro-Fleisch“ fest. Der „Burger aus der Petrischale“ besteht aus | |
| tierischen Muskelstammzellen, ohne dass dafür ein Tier geschlachtet werden | |
| musste. Die Mehrheit der Befragten sah darin „eine interessante Alternative | |
| zur konventionellen Fleischproduktion“. Eine wirkliche Verbreitung dürfte | |
| das Kunstfleisch nach Einschätzung des KIT-Projekts aber nur dann finden, | |
| wenn es von einer ethischen Diskussion „über die Probleme der heutigen | |
| Fleischproduktion und des Fleischkonsums“ gerahmt wird. | |
| Einige der Forschungsergebnisse gehen direkt in die Praxis über. So | |
| untersuchte die TU Berlin, warum das digitale Ticketing für Bus und Bahn in | |
| Deutschland so unbeliebt ist, im Unterschied zu anderen Ländern. In einer | |
| zweitägigen Veranstaltung („Planungszelle“) wurde von 23 Teilnehmern ein | |
| „Bürgergutachten“ verfasst, das dem Berliner Verkehrsunternehmen BVG | |
| übergeben wurde. Immerhin, so berichtete Robin Kellermann vom Projekt | |
| „Zukunftsticket Berlin“, sollen einige der Empfehlungen – etwa zur länge… | |
| Parallelität von analogen Fahrkartenautomaten und der digitalen Abrechnung | |
| – vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg übernommen werden. | |
| Dies wäre auch von den Ergebnissen des Projekts „ChaRiSma“ zu wünschen, m… | |
| dem die Uni Oldenburg die Folgen von immer mehr Überwachungskameras im | |
| öffentlichen Raum und anderen „SmartCams“, die am Körper getragen werden, | |
| für den Verlust der Privatheit untersuchte. Hier seien dringend rechtliche | |
| Schranken geboten, so die Forscher, um dem Missbrauch der Bilddaten Einhalt | |
| zu gebieten. „Damit Gerätehersteller die Anforderungen des neuen | |
| EU-Datenschutzrechtes erfüllen können“, so die Oldenburger Forscher, | |
| „müssen bei SmartCams diese Lücken in der Technik geschlossen werden“. | |
| 22 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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