| # taz.de -- Förderprogramm für Citizen Science: Staatsknete für die Bürgerf… | |
| > Citizen-Science-Projekte erhalten erstmals eine Förderung. Aber die | |
| > Bewegung der Bürgerforschung ist noch sehr unpolitisch. | |
| Bild: Bürgerforscher sollen Daten über die Verbreitung der Nachtigall und der… | |
| Berlin taz | Citizen Science, die Beteiligung der Bürger an der | |
| wissenschaftlichen Forschung, kommt in Deutschland voran. Das | |
| Bundesforschungsministerium hatte erstmals ein Förderprogramm in Höhe von 5 | |
| Millionen Euro ausgeschrieben, das auf ein über Erwarten großes Interesse | |
| traf: Mehr als 300 Anträge gingen ein. In diesem Monat wurden die 13 | |
| siegreichen Projekte bekannt gegeben, bei denen Laienwissenschaftler mit | |
| Universitäten und Forschungsinstituten zusammenarbeiten. Die Bandbreite der | |
| Themen reicht vom Bienensterben und Schadstoffmessung über Mikroplastik bis | |
| hin zu Urban Farming und einer neuen Reparaturkultur. | |
| „Bei der Auswahl war es uns wichtig, eine Vielzahl unterschiedlicher | |
| Fragestellungen und Beteiligungsmöglichkeiten zu berücksichtigen“, sagte | |
| Wilhelm Krull, Generalsekretär der Volkswagenstiftung als Vorsitzender der | |
| Jury. So sind Vorhaben aus den Sozialwissenschaften, dem Natur- und | |
| Umweltschutz sowie dem Gesundheitsbereich und aus der | |
| Do-it-Yourself-Bewegung vertreten. | |
| Zu dem neunköpfigen Auswahlgremium zählten neben Wissenschaftlern auch der | |
| Medienjournalist und Netzaktivist Markus Beckedahl (netzpolitik.org) und | |
| der Geschäftsführer des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement, | |
| Ansgar Klein. | |
| Jedes Projekt erhält für die Dauer von zwei bis drei Jahren eine Förderung | |
| von 300.000 bis 500.000 Euro. Im Kern steht jeweils eine wissenschaftliche | |
| Fragestellung, zu deren Beantwortung die Bürger einen zentralen Beitrag | |
| leisten sollen. | |
| ## Schmerzauslöser gesucht | |
| So sollen mit dem Projekt „Clusterkopfschmerz“ an der Hochschule für | |
| angewandte Wissenschaften im bayerischen Hof neue Erkenntnisse über eine | |
| der schlimmsten Migräneformen gewonnen werden. „Indem die Betroffenen | |
| kontinuierlich ihre Anfälle auf einer Web-Plattform melden und sich aktiv | |
| an der Auswertung der Daten beteiligen, soll ein ausführliches Bild über | |
| die bislang nur wenig erforschten Clusterkopfschmerzen entstehen“, erklärt | |
| Projektleiter Jörg Scheidt, Informatikprofessor an der Hofer Hochschule, | |
| die dazu mit der Migräneklinik Königstein zusammenarbeitet. Mit der | |
| erhöhten Zahl von Meldungen aus der Bevölkerung will man herausfinden, was | |
| die wichtigsten Auslösefaktoren für den Clusterkopfschmerz sind. | |
| Den Gesang der Nachtigall will das Tierstimmenarchiv am Berliner Museum für | |
| Naturkunde mit Bürgerhilfe untersuchen. Die privaten Vogelliebhaber | |
| zeichnen den Gesang der Nachtigall, wo sie ihn hören, mit ihrem Smartphone | |
| auf und senden die Datenaufnahme per App an das Museum. „Uns interessiert, | |
| welche Dialekte es gibt und wie die Vögel in den Städten verbreitet sind“, | |
| sagt der Leiter es Archivs, Karl-Heinz Frommholz. Derzeit laufen die | |
| technischen Vorbereitungen; die Vogelfreunde sollen erst zum Jahresbeginn | |
| angesprochen werden, da die Nachtigall nur in wenigen Frühjahrswochen | |
| tiriliert. | |
| In Halle an der Saale soll die zivilgesellschaftliche „Maker- und | |
| Lab-Bewegung“ mit der Wissenschaft verbunden werden. „Wir wollen vier | |
| Innovationslabore zu Forschungsfragen aus den Bereichen Sensorik, virtuelle | |
| Realität und Nachhaltigkeitskommunikation einrichten“, erläutert Ilka | |
| Bickmann vom Verein science2public. In Zusammenarbeit mit einem | |
| Fraunhofer-Institut sollen etwa Sensoren für die Messung von | |
| Feinstaubkonzentrationen konfiguriert werden. „Damit können Bürger | |
| flächendeckend die Umweltsituation in der Stadt erfassen“, erklärt | |
| Bickmann. „Mit diesen Laboren wollen wir zivilgesellschaftliche | |
| Graswurzelbewegungen unterstützen“. | |
| Die Entstehung der neuen Citizen-Science-Bewegung in Deutschland hat Katrin | |
| Vohland vom Museum für Naturkunde und zugleich im Vorstand der | |
| Europäischen Vereinigung der Bürgerforscher (ECSA) von Anfang an begleitet. | |
| „Das Thema entwickelt sich immer differenzierter“, stellt sie fest. | |
| Inzwischen ist Citizen Science selbst zu einem Forschungsgegenstand | |
| geworden, zu dem ein eigenes Wissenschaftsjournal gegründet wurde und | |
| Fachaufsätze in wachsender Zahl erscheinen. | |
| Die wichtigsten Etappen in Deutschland waren bisher die Etablierung einer | |
| Internet-Plattform „Bürger schaffen Wissen“, das die bisherigen | |
| Citizen-Science-Projekte (mit rund 500.000 Aktiven in Deutschland) | |
| versammelte und die Formulierung einer bundesweiten Strategie in einem | |
| offenen Beteiligungsprozess. „Was in der Strategie normativ vorgedacht | |
| wurde, kommt jetzt in die Umsetzung“, beschreibt Vohland die nächste Etappe | |
| des Förderprogramms mit Projekten der Bürgerforschung, die es bisher noch | |
| nicht gab. Aus diesen Projekten seien auch weitere Erkenntnisse zu | |
| erwarten, wo es sinnvoll ist, die Laien an der Wissenschaft zu beteiligen, | |
| und wie sich Zielkonflikte zwischen den beiden Welten umgehen lassen. | |
| ## Nachhaltiges Lernen | |
| Als kommenden Trend sieht Vohland die Verknüpfung der Bürgerforschung mit | |
| dem Bildungsbereich. Der praktische Umgang mit wissenschaftlichen | |
| Fragestellungen ermöglicht ein anderes und nachhaltigeres Lernen, besonders | |
| in den naturwissenschaftlichen MINT-Fächern. Allerdings stellt die | |
| Integration in den schulischen Lehrplan eine Aufgabe dar, die noch zu lösen | |
| ist. | |
| Hinter dem Erfolg der Citizen-Science-Bewegung schimmert auch eine | |
| problematische Schieflage durch. Die jetzige Struktur ist durch | |
| Vorleistungen des Wissenschaftssystems entstanden (Helmholtz- und | |
| Leibniz-Forschungsgesellschaften, Forschungsministerium). Was fehlt, ist | |
| eine gleiche Dynamik auf Seiten der Zivilgesellschaft, insbesondere unter | |
| den organisierten Verbänden, etwa im Umweltbereich. Der letzte Anlauf in | |
| dieser Richtung, die „Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende“, | |
| hat sich aus der Diskussion über wissenschaftspolitische Alternativen | |
| zurückgezogen und beschränkt sich auf Bildungs- und Partizipationsprojekte. | |
| Die wachsende Dominanz des herrschenden Wissenschaftssystems im | |
| Citizen-Science-Bereich lässt den Spielraum für grundsätzliche Erörterungen | |
| über ein anderes Forschen eher schrumpfen. Bundesforschungsministerin | |
| Johanna Wanka hat wiederholt signalisiert, dass für sie hier eine Grenze | |
| verläuft: Bürgerbeteiligung an der praktischen Forschung ja, aber keine | |
| Partizipation an der Richtungsentscheidung. Diese politische Debatte steht | |
| der Citizen-Science-Bewegung in den kommenden Jahren noch bevor. | |
| 30 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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