| # taz.de -- Kurswechsel in Forschungspolitik: Hightech oder Nachhaltigkeit | |
| > Über den richtigen Weg der deutschen Forschung ist ein Streit entbrannt. | |
| > Dabei ist klar, dass es nicht einfach so weitergehen kann. | |
| Bild: Trockengelegte Talsperre in Sachsen – beim Umbau der Erde muss Nachhalt… | |
| Berlin taz | In der deutschen Forschungspolitik scheiden sich die Wege. | |
| Das alte, stark vom Staat geprägte und auf die wirtschaftliche Nutzung | |
| ausgerichtete Paradigma erlebt zwar gerade mit dem [1][60 Milliarden Euro | |
| schweren „Zukunftspaket]“ der Bundesregierung – von Coronas Gnaden – ei… | |
| spektakulären Hochlauf. Doch das neue Paradigma der Forschungspolitik, in | |
| dem Nachhaltigkeit und Beteiligung der Gesellschaft die zentralen | |
| Leitprinzipien sind, gewinnt an Einfluss, je mehr sich die Einsicht | |
| verbreitet, dass es nach der Coronakrise nicht mehr so weitergehen kann | |
| wie vormals. | |
| „Unsere Welt neu denken“ (von Maja Göpel) – ein Buchtitel trifft die | |
| aktuelle Stimmungslage. Industriezeitalter contra [2][Anthropozän]. Die | |
| gegnerischen Teamführer auf dem Spielfeld der wissenschaftspolitischen | |
| Debatte sind das „Hightech-Forum“ der Bundesregierung und die Plattform | |
| „Forschungswende“ der zivilgesellschaftlichen Organisationen in | |
| Deutschland. | |
| Wie dringend eine Kursänderung ist, rief in dieser Woche Hans-Josef Fell | |
| mit drastischen Worten ins Bewusstsein: „Die Auslöschung der menschlichen | |
| Zivilisation naht mit riesigen Schritten.“ Der frühere Forschungssprecher | |
| der Grünen im Bundestag und einer der politischen „Väter“ des Erneuerbaren | |
| Energien-Gesetzes (EEG) kommentierte die neuesten Messwerte der | |
| US-Atmosphärenbehörde NOAA. Trotz Corona-Shutdown der Wirtschaft habe sich | |
| das atmosphärische Kohlendioxid im Mai auf den neuen Rekordwert von 417,2 | |
| ppm (parts per million) erhöht und liege damit 2,4 ppm über dem | |
| letztjährigen Wert. Dramatisch auch der Trend bei Spurengas Methan, das | |
| noch stärker den Klimawandel treibt. | |
| „Um das Schlimmste noch verhindern zu können, müsste die Weltgemeinschaft | |
| auf Nullemissionen bis 2030 setzen“, fordert Fell, der heute die Energy | |
| Watch Group leitet, ein Netzwerk von unabhängigen Energieexperten. „Und | |
| genau darauf käme es jetzt an: Die Wirtschafts- und Konjunkturprogramme, | |
| die weltweit hochgefahren werden, um Wirtschaftskrisen zu verhindern, sind | |
| entscheidend“, so Fells Warnruf. Es dürfe kein „zurück zum Status quo“ | |
| geben, „denn der bedeutet eine zunehmend beschleunigte Erhitzung des | |
| Planeten und eine Gefährdung der menschlichen Zivilisation innerhalb der | |
| kommenden Jahrzehnte“. | |
| ## Hightech-Forum für weiteres Wachstum | |
| Allenthalben werden derzeit von Wissenschaftlern Papiere produziert, die | |
| nach Eintreten des unvorhergesehenen „schwarzen Schwans“, der | |
| Coronapandemie, eine neue Abschätzung künftiger Entwicklungen geben wollen. | |
| Auch [3][das Hightech-Forum], das zentrale Beratungsgremium der | |
| Bundesregierung für die Forschungs- und Innovationspolitik, hat in der | |
| vorigen Woche ein neues Empfehlungspapier mit [4][„Sieben Leitlinien für | |
| neues Wachstum nach der Corona-Krise“ (pdf-Datei)] vorgelegt. Geleitet wird | |
| das Gremium vom Chef der Fraunhofer Gesellschaft, Reimund Neugebauer, und | |
| dem Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), | |
| Christian Luft. | |
| Die 20 ExpertInnen aus Wissenschaft und Unternehmen wollen so viel nicht | |
| ändern. Für nötig halten sie „ein erneuertes Narrativ für die soziale | |
| Marktwirtschaft“ – aber am Wachstumscredo soll nicht gerüttelt werden. | |
| In der Innovationspolitik gehe es verstärkt um „strategische | |
| Souveränität“, um die Entwicklung von Leitmärkten für Zukunftstechnologien | |
| zu sichern. Dazu zählt als neues Thema die Medikamentenherstellung, bei der | |
| Deutschland und Europa unabhängig von Fernost und den USA werden sollen. In | |
| einigen Zukunftsfeldern, wie den Quanten-, Bio-, Nano- und | |
| Wasserstofftechnologien, ist Deutschland nach Auffassung der | |
| Hightech-Experten heute „in der Forschung international wettbewerbsfähig“. | |
| Eine „umfangreiche Innovationsförderung“ sei hier aber notwendig, um | |
| „nicht wie bei der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz ins | |
| Hintertreffen zu geraten“. Der „Ausverkauf innovativer Unternehmen und | |
| Start-ups solle verhindert werden. Gleichzeitig sollte die Politik aber | |
| auch, so das grüne Mäntelchen im Papier, „verlässliche Rahmenbedingungen | |
| setzen, um nachhaltiges Wirtschaften zu fördern“. Die Empfehlung an die | |
| Politik, „das Instrument des CO2-Preises wirksam und sozialverträglich zu | |
| nutzen“, ist alles andere als neu und innovativ. | |
| Ob die Fortsetzung der Wachstumsorientierung tatsächlich der richtige Weg | |
| aus der Krise ist – oder nicht vielmehr gleich in die nächste, die | |
| ökologische Klimakrise führt, ist in der aktuellen gesellschaftlichen | |
| Debatte nicht unumstritten. Auch das Wuppertal-Institut für Klima Umwelt | |
| Energie legte vergangene Woche eine Bewertung des Konjunktur- und | |
| Zukunftspakets vor. Das Institut, das sich der „Großen Transformation“ | |
| verschrieben hat, vermisste Kursänderungen, die weg vom Wachstumspfad und | |
| hin zu Kreislaufprozessen in der Wirtschaft führten. „Eine konsequente | |
| Orientierung auf eine Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie hilft, weniger | |
| Primärressourcen einsetzen zu müssen und damit unabhängiger von globalen | |
| Lieferketten und Rohstoffen, zum Beispiel Funktionsmetallen, zu werden“, | |
| betont die Studie des Wuppertal-Instituts. Diese Themen kommen aber im | |
| Aktionsprogramm der Regierung gar nicht und dem Innovationskonzept des | |
| Hightech-Forums nur am Rande vor. | |
| Nun formiert sich eine forschungspolitische Alternativbewegung. „Die | |
| Parteien haben es in den letzten Jahren versäumt, substanzielle Vorschläge | |
| für eine Veränderung des Forschungssystems hin zu mehr Nachhaltigkeit | |
| vorzulegen“, sagt Alexander Großmann, der beim Bund für Umwelt und | |
| Naturschutz Deutschland (BUND) das Themenfeld Wissenschaft betreut. | |
| „Deswegen mischen wir uns nun ein.“ Die momentane Forschungspolitik sei | |
| stark auf industrienahe Wirtschaftsförderung ausgerichtet. „Kritische und | |
| tiefgehende Analysen über systemische Zusammenhänge finden in unserem immer | |
| mehr auf Wettbewerb und Drittmittelfinanzierung ausgerichteten | |
| Wissenschaftssystem zunehmend weniger Platz“, bemängelt Großmann. Die | |
| Ausgestaltung der Forschungspolitik müsse „gesamtgesellschaftlich geführt | |
| werden – es geht um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen und was wir | |
| dafür brauchen“. | |
| Daran arbeitet derzeit eine Gruppe um Steffi Ober vom [5][Naturschutzbund | |
| Deutschland (Nabu), die seit 2013 eine erste zivilgesellschaftliche | |
| Plattform, „Forschungswende“], geleitet hat. Nach Zeiten der finanziellen | |
| Basisförderung aus den Bundesministerien für Umwelt und Forschung wird nun | |
| nach einer unabhängigen Trägerschaft gesucht. Neben den Öko-Verbänden | |
| sollen auch Sozialverbände und gemeinnützige Stiftungen dazugehören. | |
| Gearbeitet wird an einer „Charta für zukunftsfähige Innovationen: Wie wir | |
| unsere Zukunft gemeinsam gestalten werden“. | |
| Die neue „Forschungswende 2.0“ will die Debatte über „wünschenswerte | |
| zukunftsfähige Innovationen zur Bewältigung der globalen Herausforderungen | |
| aus Sicht der Zivilgesellschaft“ vorantreiben und zu deren | |
| Interessenvertreter im deutschen Forschungssystem werden. „Wo sind heute | |
| die Advokaten für die globalen Grenzen und die soziale Gerechtigkeit im | |
| Innovationssystem“, fragt Steffi Ober. „Wer sich hier auf die Suche nach | |
| etablierten Akteuren und Agenden macht, wird eine Leerstelle ausmachen.“ | |
| Die Lücke soll bis zum Jahresende, dann voraussichtlich mit einer großen | |
| Auftaktkonferenz, geschlossen werden. Forschungspolitik könnte so wieder | |
| spannend werden. | |
| 19 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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