# taz.de -- Forschung steigert Bruttoinlandsprodukt: Zweitausend Prozent Rendite | |
> Jeder Euro, den die Frauenhofer-Gesellschaft erhalte, steigere das | |
> Bruttoinlandsprodukt um rund 21 Euro. So der Fraunhofer-Chef. Doch stimmt | |
> das? | |
Bild: An der Schnittstelle zur industriellen Verwertung: Fraunhofer-Institut in… | |
BERLIN taz | Einundzwanzig ist keine besonders eindrucksvolle Zahl. Eine | |
Million oder eine Billiarde, das sind gewaltige Zahlen. Aber einundzwanzig? | |
Dennoch ist es die Zahl, mit der [1][Reimund Neugebauer, Präsident der | |
Fraunhofer-Gesellschaft], sich derzeit auf Deutschlandtournee befindet. | |
Um [2][einundzwanzig Euro] nämlich, sagt er, würde das Bruttoinlandsprodukt | |
(BIP) durch jeden Euro gesteigert, den man der Fraunhofer-Gesellschaft | |
gebe. Das erzählt er jedem Politiker, der es hören will, so zum Beispiel | |
[3][in den „Fraunhofer Politik-Papieren“.] | |
Und die Politiker wollen es hören. Denn Fraunhofer ist von den vier | |
Forschungsgesellschaften Deutschlands diejenige für angewandte, | |
industrienahe Forschung. Im Unterschied zu ihren Schwestergesellschaften | |
sollte sie mit ihren Erfindungen einen unmittelbaren volkswirtschaftlichen | |
Nutzen erzielen. Nun ist der volkswirtschaftliche Nutzen einer | |
Forschungsgesellschaft schwer zu beziffern. Möglicherweise ist sogar | |
fragwürdig, dass er überhaupt beziffert werden muss. | |
Nicht aber für die Fraunhofer-Gesellschaft, die sich zunehmend wie ein | |
Konzern gebärdet, obwohl sie ein gemeinnütziger Verein ist. Sie hat das | |
jetzt einmal ganz konkret ausgerechnet und kann dem Staat den überaus | |
günstigen Bescheid geben, dass er, wenn er einen Euro investiert, über kurz | |
oder lang einundzwanzig Euro zurückerhält. Das sind zweitausend Prozent | |
Rendite! Plötzlich scheint die einundzwanzig riesig, ja irrwitzig. | |
Das Fraunhofer-Budget liegt seit vielen Jahren bei über 2 Milliarden Euro | |
(2,8 Milliarden im Jahr 2020). Bei einem Faktor einundzwanzig ergäbe sich | |
ein Beitrag von 40 bis 50 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt. Pro | |
Jahr. In der Größenordnung entspräche das dem gesamten deutschen | |
Wirtschaftswachstum. Selbst für einen sehr innovationsaffinen Politiker | |
müssen solche Beträge doch arg hochgegriffen klingen. Wie kommt Fraunhofer | |
auf die märchenhafte Zahl? | |
## Fraunhofer-Forscher hat's errechnet | |
Die einundzwanzig Euro gehen auf Arbeiten von Torben Schubert und dessen | |
Kollegen zurück. Schubert ist unter anderem am Karlsruher | |
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung tätig. Er hat die | |
Zahl in verschiedenen Publikationen [4][errechnet und publiziert (pdf).] | |
Sieht man dort nach, so findet man, dass seine Methode, die einundzwanzig | |
auszuknobeln, auf einer Panelanalyse von Wirtschaftsregionen beruht: Das | |
BIP pro Kopf wird über 15 Jahre in 400 Wirtschaftsregionen betrachtet, von | |
denen einige auch Fraunhofer-Institute enthalten. In diesen Daten wird ein | |
systematischer Zusammenhang zwischen der lokalen Wirtschaftsleistung einer | |
Region und den lokalen Fraunhofer-Aktivitäten gesucht. | |
Im Ergebnis dieser Suche fanden Schubert et al. den besagten positiven | |
linearen Zusammenhang, dass ein Euro zusätzliche Fraunhofer-Aktivität | |
einundzwanzig Euro Steigerung des BIP pro Kopf bewirken. Das, sagt | |
Schubert, sei der präzise bezifferte makroökonomische Impact der | |
Fraunhofer’schen Innovationen. | |
Nun sprechen mindestens drei Argumente dagegen, den volkswirtschaftlichen | |
Nutzen von Fraunhofer auf diese Weise zu ermitteln: Erstens könnte die Art | |
des Zusammenhangs zwischen Wirtschaftsleistung und Fraunhofer ein ganz | |
anderer sein. Beispielsweise könnte regionale Wirtschaftsstärke eher | |
Voraussetzung anstatt Folge der Ansiedlung eines Fraunhofer-Institutes | |
sein. | |
Tatsächlich werden Fraunhofer-Institute zumeist in wirtschaftsstarken | |
Regionen errichtet. Man benötigt ja einerseits die Industrie als Kunden und | |
andererseits benötigt man das wissenschaftliche Personal, das in solchen | |
Regionen eher zu finden ist als in ländlichen Gebieten. Schubert deutet | |
sogar die Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs an, kommt dann aber ohne | |
genauere Begründung trotzdem zu dem Schluss, dass seine Analyse „robust“ | |
gegen mögliche Vorlieben in der Standortauswahl sei. | |
Zweitens geht Schuberts Methode davon aus, dass der wirtschaftliche Nutzen | |
der Fraunhofer-Innovationen sich vor allem in den Wirtschaftsregionen | |
abspielt, in denen diese Institute beheimatet sind. Warum eigentlich? Ist | |
nicht ein wesentliches Merkmal von Innovationen und Ideen, dass sie | |
überregional wirken? | |
Gerade grundlegend neue Technologien haben oft die Eigenschaft, dass sie | |
gewissermaßen in ein Netzwerk unterschiedlicher wirtschaftlicher | |
Hebelwirkungen delokalisieren. Einfaches Beispiel: Wenn Fraunhofer ein | |
neues Streamingformat entwickelt, das weltweit in vielen Branchen | |
eingesetzt wird: Wo wollte man den wirtschaftlichen Nutzen dieser Erfindung | |
lokalisieren? Bereits der methodische Ansatz eines lokalen Zusammenhangs | |
scheint seinem Gegenstand nicht angemessen. | |
Drittens schließlich wird der Effekt von Fraunhofer vermutlich auch | |
schlicht dadurch überschätzt, dass nur eine einzige erklärende Variable für | |
das BIP pro Kopf betrachtet wird, nämlich das Fraunhofer-Budget. Selbst | |
wenn man d'accord wäre, dass das gesamte Wirtschaftswachstum letztlich auf | |
technische Innovationen rückführbar sei, hieße das noch lange nicht: allein | |
auf Fraunhofer. Es gibt natürlich auch die Fachhochschulen und | |
Universitäten, es gibt die anderen drei großen Forschungsgesellschaften und | |
es gibt die innovierenden Unternehmen selbst. Diese Akteure befinden sich | |
oft in unmittelbarer Nähe zu Fraunhofer-Instituten. Natürlich wird | |
Fraunhofer deren kumulierten Effekt einheimsen, wenn die | |
Fraunhofer-Aktivität als einzige systematische Erklärung für die lokalen | |
BIP-Unterschiede herhalten muss. | |
## Kabel und Strom | |
Innovation ist ein komplexes Feld. Wenn sie bei der | |
[5][Grundlagenforschung] beginnen und in den Entwicklungsabteilungen der | |
Unternehmen enden würde, läge das Feld der „Translation“, das heißt der | |
angewandten Forschung, dazwischen. In diesem Bild wäre die angewandte | |
Forschung eher, was das Kabel für den Strom ist. Das ist natürlich eine | |
Übertreibung, aber mit dem Ziel der Verdeutlichung: Das Wissen entsteht in | |
der Grundlagenforschung und wird erst in Firmen zu Technologie. | |
Dazwischen finden zwar einige notwendige Umformungen und Übertragungen | |
statt, aber keineswegs ist es so, dass diese Zwischenstadien sich nun den | |
Orden an die Brust heften könnten, die ganze Innovationsleistung erbracht | |
zu haben. Das ist lediglich die Sehnsucht des Stromkabels, auch gesehen zu | |
werden. Nichts gegen Stromkabel. Sie sind nur eben genauso wenig der | |
Generator an ihrem einen Ende wie die Maschine an ihrem anderen. Sie haben | |
wenig von deren Glamour. Man versteht die Sehnsucht des Kabels nach | |
„Impact“ und makroökonomischem Nutzen, aber es rechtfertigt keine derart | |
übertriebene Zahl wie die einundzwanzig. | |
Zurück zu der. Die Traumrenditen von Innovation sind letztlich nur | |
abstrakte, ideale Rechnungsgrößen. Es fängt ja schon mit der beschriebenen | |
verengten Sicht auf Innovation an. In Wirklichkeit ermöglicht ein Staat mit | |
vielfältigen Einrichtungen und Institutionen überhaupt erst, dass zum | |
Beispiel Forschungsgesellschaften in ihm Innovation vorantreiben können. In | |
die Liste der wahren Kosten gehören auch Staatsausgaben für Bildung, für | |
Informationsinfrastruktur und eine Menge anderer Leistungen, die notwendig | |
sind, damit Erfindergeist sich bildet, mobilisiert wird und in Innovationen | |
mündet. | |
Die zweitausend Prozent Rendite sind deshalb auch keinem Investor – auch | |
nicht dem Staat – zugänglich. Wenn man sie aus dem Zusammenhang solcher | |
Paneldatenanalysen reißt und als reale Größe darstellt, schafft man einen | |
Mythos. Natürlich ist verständlich, dass jemand wie der Präsident der | |
Fraunhofer-Gesellschaft großes Interesse daran hat, diesen Mythos zu | |
verbreiten und durch mantraartige Wiederholung zu festigen. Wir aber, als | |
aufgeklärte Bewohner des 21. Jahrhunderts, sollten der Zahl 21 vielleicht | |
sowieso notorisch misstrauisch gegenüberstehen. | |
8 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Fraunhofer-Chef-unter-Beschuss/!5802079 | |
[2] /Forderungen-an-naechste-Bundesregierung/!5795790 | |
[3] https://www.fraunhofer.de/content/dam/zv/de/ueber-fraunhofer/wissenschaftsp… | |
[4] https://www.fraunhofer.de/content/dam/zv/de/forschung/leistungsangebot/The-… | |
[5] /Weniger-Forschungsausgaben-in-der-EU/!5826730 | |
## AUTOREN | |
David Schneller | |
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