# taz.de -- Forderungen an nächste Bundesregierung: Was die Wissenschaft erwar… | |
> Die großen Wissenschaftsorganisationen haben Forderungen an die neue | |
> Bundesregierung gestellt. Es geht nicht nur um Geld. Ein Überblick. | |
Bild: Der Druck, auch die neuen Gentech-Verfahren in der Pflanzenzüchtung zuzu… | |
BERLIN taz | Die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen können am 26. | |
September in der Wahlkabine zwar formell kein Kreuzchen machen. Dennoch | |
haben sie, so wie die Stimmberechtigten, ihre Erwartungen an die | |
politischen Parteien und die künftige Bundesregierung, die sie in den | |
letzten Monaten in Positionspapieren und Forderungskatalogen niedergelegt | |
haben. | |
Dass die Zukunftsthemen der Wissenschaftler aktuell auf Marktplätzen und in | |
TV-Triellen nur äußerst randständig angesprochen werden, ist allerdings | |
nicht nur der kommunikativen Schlagseitigkeit des Wahlkampfs geschuldet. | |
Auch die Interessensvertretungen der Wissenschaft suchen ihrerseits – allen | |
[1][Erklärungen zur Relevanz von Wissenschaftskommunikation] zum Trotz – | |
nur wenig aktiv den Weg in die Arena der Öffentlichkeit. Bislang gab es | |
beispielsweise keine Pressekonferenz, in der die Forderungen der | |
Wissenschaftspolitiker in den medialen Raum getragen wurden. Zur großen | |
politischen Entscheidungswahl bleibt die deutsche Wissenschaft schweigsam | |
in der Nische. | |
Im Juli hatte bereits die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ihr | |
[2][Impuls-Papier mit dem Titel „Erkenntnisgeleitete Forschung stärken, von | |
Wissensspeichern profitieren“] vorgestellt. In 13 Themen wurden darin die | |
Erwartungen an die kommende Legislaturperiode formuliert, von der | |
Exzellenzstrategie zur weiteren Stärkung der Spitzenforschung an den | |
deutschen Hochschulen über die tief greifenden Veränderungsprozesse in den | |
Wissenschaften durch den digitalen Wandel bis hin zur Universitätsmedizin | |
und translationalen Forschung sowie [3][den neuen Züchtungstechniken] in | |
der Landwirtschaft. | |
„Auf allen diesen Feldern brauchen wir auch in der kommenden | |
Legislaturperiode möglichst frühzeitige politische Weichenstellungen“, | |
betonte die [4][DFG-Präsidentin Katja Becker.] „Die kurzfristige Stärke der | |
Wissenschaft hängt von der langfristigen Stabilität ihrer Grundlagen ab.“ | |
Deshalb sei die weitere konsequente Stärkung der erkenntnisgeleiteten | |
Grundlagenforschung von entscheidender Bedeutung. Becker: „Sie muss auch | |
trotz Neuverschuldung und sinkender Steuereinnahmen im Zuge der | |
Coronavirus-Pandemie entsprechend finanziert und gefördert werden.“ | |
Den wirtschaftlichen Nutzen hebt die Fraunhofer-Gesellschaft, das deutsche | |
Flaggschiff für die angewandte Forschung, [5][in ihrem Statement] hervor. | |
Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer verweist auf eine Studie des | |
Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung aus dem Jahr | |
2020, wonach „ein Euro an Fraunhofer-Budget das deutsche | |
Bruttoinlandsprodukt um 21 Euro erhöht“. Eine britische Untersuchung – | |
erstellt vom Fraser of Allander Institute an der University of Strathclyde | |
in Glasgow – habe diese Hebelwirkung bestätigt. Danach seien durch die | |
Arbeiten der Fraunhofer-Forscher „Beschäftigungseffekte von ca. 437.000 | |
Vollzeitjobs und Investitionseffekte in der Wirtschaft von über 15,2 | |
Milliarden Euro“ entstanden. | |
## Herausforderungen für die Bundesregierung | |
Auch in der kommenden Legislaturperiode stünden der künftigen | |
Bundesregierung „enorme Herausforderungen“ bevor, so Neugebauer. Dafür hat | |
Fraunhofer 12 „Politik-Papiere“ formuliert, deren Themen von Bioökonomie | |
und Kreislaufwirtschaft, digitale Souveränität und | |
Brennstoffzellen-Produktion bis zu Mobilität im Wandel und regionalen | |
Innovationsökosystemen reichen. | |
Zwar habe sich das deutsche Wissenschaftssystem in den zurückliegenden | |
Jahren bewährt, findet auch die [6][„Allianz“ der zehn führenden | |
Dachverbände aus Hochschulen und Forschung,] deren Verbund derzeit vom | |
Wissenschaftsrat angeführt wird. Dennoch seien durch die Coronakrise | |
sowohl „Stärken und Schwächen, Handlungsbedarf und Handlungsspielräume | |
zutage getreten“. Nötig sei jetzt, „gemeinsam Lehren aus diesen Erfahrungen | |
zu ziehen und zu beherzigen“, um daraus eine „starke Vision für die | |
Weiterentwicklung des Wissenschaftsstandortes Deutschland für das Jahr | |
2025“ zu verwirklichen. | |
Ein Vorschlag – nicht so überraschend – zielt darauf, dass zur weiteren | |
Stärkung des Systems „administrative Hürden abgebaut und Detailsteuerung | |
vermieden werden“ sollte. Konkreter ist schon die Anregung, zu neuen | |
Kompetenz-Abstimmungen zwischen Bund und Ländern zu kommen: „Artikel 91 b | |
des Grundgesetzes bietet hierfür einen Rahmen, den es zu nutzen gilt“, | |
heißt es im Allianz-Papier. Die vom Bundestag in dieser Woche beschlossene | |
Bundesfinanzierung der Ganztags-Betreuung in Grundschulen ist ein Beispiel | |
dafür. | |
Im Innovationsbereich, also der Umsetzung von Forschungsergebnissen, | |
plädiert die Allianz der Wissenschaftsorganisationen dafür, dass | |
„Bürgerinnen und Bürger frühzeitig in Innovationsprozesse einbezogen | |
werden“ sollten. Dazu brauche es „neue Organisationsmodelle sowie die | |
Änderung von Verhaltensweisen, also soziale Innovationen“, die beide als | |
zentrale Elemente in einer neuen Innovationsstrategie enthalten sein | |
sollten. Erste Schritte dafür könnten in „Erprobungsräumen wie Reallaboren | |
oder Demonstrationsanlagen und Innovationsökosystemen unter Beteiligung von | |
Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft“ erfolgen. | |
Konkreter wird an dieser Stelle die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) in ihrem | |
Positionspapier [7][„Sechs Ziele für die Wissenschaftspolitik nach der | |
Bundestagswahl“,] das gleich eingangs deutlich kritisiert: „Unsere | |
Wissenschafts- und Technologiepolitik ist zu langsam und zu unflexibel.“ | |
Oder: „Alle Akteure des Wissenschaftssystems müssen schneller, | |
stazchlagkräftiger und agiler werden.“ Nach Auffassung der führenden | |
deutschen Organisation für Grundlagenforschung, die im letzten Jahr wieder | |
zwei Nobelpreise einheimsen konnte, sollten vor allem „zukunftsträchtige | |
Forschungsbereiche zügig und entschlossen bearbeitet werden“. Dies seien in | |
den kommenden Jahren insbesondere Wasserstoff- und Quantentechnologien, | |
Medikamentenentwicklung, Risikomanagement und Krisenresilienz sowie | |
künstliche Intelligenz. | |
„In diesen Feldern brauchen wir klare wissenschaftsbasierte nationale | |
Schwerpunktsetzungen und groß angelegte strategische Initiativen“, | |
fordert die MPG. Autonomie gilt als oberste Prämisse: „Der Staat soll | |
Forschung ermöglichen, nicht anweisen oder steuern“, heißt es im | |
Max-Planck-Papier. Auf allen staatlichen Ebenen gelte es deshalb, | |
„Bürokratie abzubauen und verwässernde Kompromisse zu vermeiden“. Überdi… | |
sollte ein „Experimentierraum“ eingerichtet werden, „in dem | |
Wissenschaftsakteure größere Freiheitsgrade, etwa bei Bauvorschriften und | |
den Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, oder auch | |
flexiblere Karrierewege erproben können“. | |
## Agentur für Wasserstoff-Foschung | |
Auch die aktuelle Diskussion über neue Agentur-Modelle greift die MPG auf. | |
„Um wissenschaftlich-technologische Großprojekte zügiger und konsistenter | |
umzusetzen, sollten eigenständige Agenturen gegründet werden“, lautet eine | |
Anregung. Sie sollten unabhängig von der Politik handeln können und eine | |
stabile, langfristige Finanzierung erhalten. Am dringendsten gebraucht | |
werde „eine Wasserstoff-Agentur, um eine wissenschaftlich und ökonomisch | |
tragfähige Wasserstoffwirtschaft in Deutschland zu etablieren“. | |
Auch um kritische Forschungsthemen macht die MPG keinen Bogen. Für „ethisch | |
umstrittene Forschungsfelder wie Genome Editing oder KI-basierten | |
Technologien“ müssten rechtliche Rahmenbedingungen „unter sorgsamer | |
Abwägung von Risiken und Chancen“ gestaltet werden – eine Aufgabe für die | |
kommende Legislative und Exekutive. | |
Zur künftigen Rolle des Bundes in der Hochschulpolitik hatte die | |
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Dachorganisation der Universitäten und | |
Fachhochschulen ebenfalls ihre Erwartungen zu den Themenkomplexen „Gute | |
Rahmenbedingungen für Studium und Lehre“, „Forderungen an Bund und Länder | |
zur Weiterentwicklung der digitalen Lehrinfrastrukturen“, „Akademisierung | |
der Gesundheitsberufe“ und „Anforderungen an eine Weiterentwicklung des | |
Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG)“ formuliert. Ergänzt wurde das | |
jetzt um eine [8][Befragung der Bundestagsparteien zu acht | |
Themenkomplexen,] darunter Digitalisierung der Hochschulen und die | |
Akademisierung von Gesundheitsberufen. | |
12 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Vermittlung-von-Wissenschaft/!5779429 | |
[2] https://www.dfg.de/download/pdf/presse/20210505_pm_impulspapier_legislaturp… | |
[3] /Nobelpreis-fuer-Chemie/!5718907 | |
[4] /Erstmals-eine-Chefin-bei-der-DFG/!5656318 | |
[5] https://www.fraunhofer.de/de/ueber-fraunhofer/wissenschaftspolitik/wissensc… | |
[6] https://www.wissenschaftsrat.de/download/2021/Allianz_PoPa_BT-Wahl_090621.h… | |
[7] https://www.mpg.de/16890037/mpg-positionspapier-wissenschaftspolitik.pdf | |
[8] https://www.hrk.de/themen/hochschulsystem/wahlpruefsteine-zur-bundestagswah… | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Wissenschaft | |
Forschungspolitik | |
DFG | |
MPG | |
Fraunhofer | |
Forschung | |
Universität | |
Innovation | |
Leibniz Universität Hannover | |
Fraunhofer | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Wissenschaftsbarometer | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Strategie für Forschung: Auf in die Zukunft | |
Das BMBF arbeitet an einer „Zukunftsstrategie“ für Forschung und | |
Innovation. Welche Alternativentwürfe hat die Zivilgesellschaft? | |
Semesterstart in Berlin: Endlich wieder Uni-Leben | |
Nach drei Semestern Onlinelehre ist der Teilpräsenzbetrieb an den Unis | |
gestartet. Für das Hybridsemester gelten strenge Hygienekonzepte. | |
Wege für Koaltionsverhandlungen: Innovation systemisch denken | |
Noch ist ein Konzept für die zukünftige Innovationspolitik einer neuen | |
Bundesregierung nicht erkennbar. Neue Wege sind gefragt. | |
Semesterstart an den Unis im Norden: Wie umgehen mit Corona? | |
Im Norden kehren die Studierenden an die Universitäten zurück. Doch nicht | |
alle sind geimpft – und damit fangen die Probleme an. | |
Fraunhofer-Chef unter Beschuss: Lückenlose Aufklärung gefordert | |
Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer steht stark in der Kritik. Er soll | |
private und dienstliche Angelegenheiten vermischt haben. | |
Innovationsdelle durch Corona: Weniger Hightech-Start-ups | |
Die Coronapandemie lässt die außeruniversitären Forschung schwächeln. So | |
gab es weniger Ausgründungen, weniger Patente und weniger Drittmittel. | |
Wissenschaft untersucht sich: Leistungsgerechtigkeit verbesserbar | |
Akademiker geben dem Wissenschaftssystem fast durchgehend gute Noten. Nur | |
in einigen Bereichen müsse etwas nachgesteuert werden. | |
Forschung im Shutdown: Videokästchen auf dem Bildschirm | |
Die Coronaforschung boomt in Deutschland. Doch viele andere | |
Forschungsinstitute arbeiten nur noch in Minimalbesetzung. |