| # taz.de -- Forschung im Shutdown: Videokästchen auf dem Bildschirm | |
| > Die Coronaforschung boomt in Deutschland. Doch viele andere | |
| > Forschungsinstitute arbeiten nur noch in Minimalbesetzung. | |
| Bild: Ein Sensor für ein Beatmungsgerät | |
| Berlin taz | Die Welt der Forschung ist seit dem Ausbruch der | |
| Coronapandemie zweigeteilt. Während in den Laboren der Virologen und | |
| Pharmazeuten mit Hochdruck an wirksamen Vakzinen und Medikamenten geforscht | |
| wird, um der Seuche Einhalt zu gebieten, ist der sehr viel größere Teil des | |
| Forschungsbetriebes ebenso wie die akademische Lehre in den Shutdown | |
| gegangen. Wissenschaftliche Arbeit findet gegenwärtig überwiegend aus dem | |
| Homeoffice statt. | |
| „Um einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken, hat das | |
| Forschungszentrum mit all seinen Standorten auf einen Basisbetrieb | |
| umgestellt“, heißt es aus dem Forschungszentrum Jülich, mit seinen 6.000 | |
| Wissenschaftlern und Beschäftigen einer der großen Forschungsstandorte in | |
| Nordrhein-Westfalen. Durch die Nähe zum [1][Coronahotspot Heinsberg] war | |
| man dort schon früh mit der Virusabwehr befasst, zudem auch zwei der | |
| Beschäftigten zu den Heinsberg-Infizierten zählten. So wurden Dienstreisen | |
| seit Jahresbeginn immer weiter eingeschränkt, die Kantine geschlossen, | |
| Veranstaltungen mit mehr als 40 Personen untersagt und schließlich der | |
| Basisbetrieb eingeführt. | |
| Das bedeutet: „Wir arbeiten voll weiter und setzen alle Geschäftsprozesse | |
| so gut wie möglich fort, dies aber für einen begrenzten Zeitraum mit | |
| minimaler Präsenz auf dem Campus in Jülich und an den Standorten des | |
| Forschungszentrums“, erklärt Pressesprecher Erhard Zeiss gegenüber der | |
| taz. Lediglich die „sicherheits- und sicherungsrelevanten Funktionen und | |
| Zentralen“ des Großforschungszentrums der Helmholtz-Gemeinschaft sind | |
| weiter besetzt. „Auch die Werkfeuerwehr, die Rufbereitschaften und | |
| Strahlenschutzeinsatzdienste bleiben im normalen Umfang bestehen.“ Der | |
| Zugang zum Campus und die Erreichbarkeit bleibe gewährleistet. | |
| Wie die Forschung derzeit real abläuft, hat die Neurowissenschaftlerin | |
| [2][Anna Geiger in ihrem Internet-Blog] geschildert. „In unserem Institut, | |
| dem Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-7), wurde bereits | |
| Anfang März das Homeoffice eingeführt“, schreibt die Forscherin, die mit 64 | |
| Kollegen am FZ Jülich Messungen der Hirnströme vornimmt, um die neuronalen | |
| Übertragungsprozesse zu untersuchen. „Wir haben unser Institut vollständig | |
| digitalisiert, was glücklicherweise nur mit minimalen Kompromissen in Bezug | |
| auf Forschung und Betreuung verbunden ist. Nach einer kurzen | |
| Eingewöhnungsphase hat sich jeder mit der neuen Situation angefreundet.“ | |
| Probanden können derzeit zwar nicht in den Computertomografen gelegt | |
| werden. Aber die Werte vergangener und anderer Messungen liegen vor und | |
| können im Zugriff auf den Zentralrechner des Instituts von zu Hause aus | |
| bearbeitet werden. | |
| Was fehlt, sind die Kollegen. „Um einen sozialen Austausch zu ermöglichen, | |
| haben wir einen virtuellen Meetingraum namens INM-7-Küche eingerichtet, | |
| damit wir nicht auf unsere gemeinsame Kaffeepause verzichten müssen“, | |
| berichtet Anna Geiger. Jeden Dienstagabend treffen sich die Neuroforscher | |
| „auf ein paar Drinks zu einer sozialen Videokonferenz“, bei der man sich | |
| über die aktuelle Lebenssituation austauscht und versucht, „ein Stück | |
| Normalität zu genießen“. „Sogar unsere Institutsseminare können online | |
| abgehalten werden, was überraschend gut funktioniert.“ Bei mehr als 60 | |
| Personen verlangt dies jedoch erhöhte Diskursdisziplin. | |
| Auch in den anderen Forschungseinrichtungen von Max-Planck, Fraunhofer, der | |
| Leibniz-Gemeinschaft und den vielen Laboren und Werkstätten in den | |
| Hochschulen regiert der Minimal- und Notbetrieb. Geistes- und | |
| sozialwissenschaftliche Forschung ist momentan tendenziell im Vorteil, weil | |
| hier früher schon ein Gutteil der Kreativarbeit ortsungebunden erledigt | |
| werden konnte. | |
| In Reinraumlaboren hingegen, wo sehr hohe Hygienestandards gelten, können | |
| Forschungsthemen in der Mikroelektronik weiter bearbeitet werden, teilt | |
| das Wissenschaftsministerium in Sachsen mit. „Besonders wichtig sind | |
| momentan medizinische Forschungsbereiche und die Weiterarbeit an | |
| Krebstherapien zum Beispiel, natürlich unter Beachtung der | |
| Hygienemaßgaben und im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten“, erklärt ein | |
| Sprecher des Dresdener Ministeriums. | |
| So hat das Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU/Dresden) | |
| zusammen mit Neurochirurgen der Uniklinik Leipzig einen Prototyp für ein | |
| 3D-gedrucktes Notfall-Beatmungsgerät entwickelt. Am Institut für | |
| Photonische Mikrosysteme (IPMS/Dresden) werden mit verfügbaren 3D-Druckern | |
| Kopf- und Unterteile eines Gesichtsschutzvisiers hergestellt. | |
| An der TU Berlin werden mit der gleichen Technik dringend benötigte | |
| Ersatzteile für die Beatmungsgeräte gefertigt. Das Institut für | |
| Zelltherapie und Immunologie (IZI/Leipzig) ist bei der Diagnostik von | |
| Infektionen mit dem neuen Coronavirus aktiv. Gesucht wird nach Verfahren, | |
| die bereits überstandene Infektionen mit Hilfe von Antikörpern erkennen, | |
| die gegen das Virus gebildet wurden. | |
| ## Ernüchterung hat eingesetzt | |
| Anderswo sind die Schotten dicht, etwa in Österreich. „Die Coronakrise hat | |
| massive Auswirkungen, weil wir nicht ins Labor können“, berichtet die | |
| Krebsforscherin Anna Obenauf, Gruppenleiterin am [3][Institut für | |
| molekulare Pathologie (IMP)] in Wien. „Es gibt einen Notfallplan, der | |
| umgesetzt wird: Zelllinien, Labortiere werden weiterhin betreut, aber es | |
| dürfen keine Experimente durchgeführt werden.“ Man versuche jetzt, die Zeit | |
| mit Literaturrecherchen zu überbrücken. | |
| „Am Anfang dachte ich mir: Endlich viel mehr Zeit!“ Da konnte Nuno Maulide, | |
| Professor für Organische Synthese an der Universität Wien, dem Shutdown | |
| noch eine positive Seite abgewinnen. „Inzwischen hat eine gewisse | |
| Ernüchterung eingesetzt.“ Die Interaktion in der Gruppe habe sich sehr | |
| verändert. „Wenn ich dieser Tage Seminare mit meinen Mitarbeitern und | |
| Kollegen abhalte, hat das ein ganz anderes Flair“, schildert Maulide in | |
| einer Sammelbeschreibung der Wiener Zeitung Der Standard. „Statt die | |
| Menschen persönlich zu treffen, sehe ich jetzt 25 kleine Videokästchen | |
| dichtgedrängt auf meinem Bildschirm.“ | |
| Auch die übergeordnete Ebene der Forschungspolitik ist von der neuen Lage | |
| betroffen, so etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die bislang | |
| aus ihrer Bonner Zentrale mit 800 Beschäftigten jährlich über 2 Milliarden | |
| Euro an Forschungsgeldern in der deutschen Wissenschaftslandschaft | |
| verteilte. Nun läuft alles ganz anders, berichtet [4][DFG-Präsidentin Katja | |
| Becker.] Die DFG-Geschäftsstelle führt nun größtenteils vom Homeoffice aus | |
| die Antragsbearbeitung fort und lenkt die Finanzströme. | |
| „Remote“ arbeiten auch die Gutachter, Fachkollegen sowie „die Mitglieder | |
| unserer Entscheidungsgremien, die Sitzungen nun per Telefon- und | |
| Videokonferenz absolvieren und Förderentscheidungen im schriftlichen | |
| Verfahren treffen“, so die neue DFG-Chefin, die sich für dieses Jahr | |
| eigentlich auf viele Jubiläumsfeierlichkeiten ihrer Organisation | |
| eingestellt hatte. | |
| Damit Forschungsprojekte unter den widrigen Umständen nicht abbrechen und | |
| aufgegeben werden, hat die DFG Maßnahmen ergriffen, „um die finanziellen | |
| und zeitlichen Auswirkungen der Pandemie auf die Projekte möglichst | |
| abzufedern“. Dazu zählt die „kostenneutrale Verlängerung | |
| haushaltsjahrgebundener Projekte“ wie auch „Ausgleichs-, Überbrückungs- | |
| und Auslauffinanzierungen“ oder die Verlängerung von Stipendien und | |
| Doktorandenverträgen. Weitere kostenwirksame Maßnahmen seien in | |
| Vorbereitung, stellt Becker in Aussicht – und spornt zum Durchhalten an. | |
| Denn. So die DFG-Präsidentin: „Auch nach dem Gipfel der Coronaviruspandemie | |
| wird es einige Zeit dauern, bis die Forschungsprozesse wieder in normalen | |
| Bahnen verlaufen“. | |
| 26 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Der-Landkreis-wo-alles-begann/!5673363 | |
| [2] https://blogs.fz-juelich.de/youinyourbrain/2020/04/17/home-office-in-times-… | |
| [3] https://www.imp.ac.at/ | |
| [4] /Erstmals-eine-Chefin-bei-der-DFG/!5656318 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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