# taz.de -- Erwartungen an Quantencomputer: Ein Quäntchen Zukunft | |
> Google feierte vor Kurzem einen Durchbruch bei der Entwicklung von | |
> Quantencomputern. Doch was sind das für Geräte und was bringen sie? | |
Bild: Ein Quantencomputer des Typs „Q System One“ wie der hier von IBM steh… | |
## Was sind Quanten und warum gibt es dafür extra Computer? | |
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründeten Wissenschaftler wie Max Planck | |
und Albert Einstein die Quantenphysik. Sie stellten fest, dass | |
physikalische Größen wie Materie, Licht oder Gravitation in kleinste | |
Elementarteilchen portioniert werden können. Diese Portionen sind immer | |
gleich groß. Sich die Welt der Quanten, der allerkleinsten physikalischen | |
Ebene, vorzustellen, übersteigt die Fähigkeiten des menschlichen Verstands. | |
In dieser kleinsten Welt ist die klassische Physik nicht anwendbar. Es | |
gelten eigene Gesetze, nämlich die der Quantenmechanik, die auf den ersten | |
Blick keinen Sinn ergeben. Zum Beispiel, dass ein Elektron in einem Atom an | |
mehreren Stellen gleichzeitig sein kann. Quanten sind nicht unbedingt | |
Teilchen, sie sind auch gleichzeitig energetische Wellen, zum Beispiel in | |
Form von Photonen. | |
Ein Computer, der sich Quanteneigenschaften zunutze machen kann, eröffnet | |
neue Anwendungsbereiche und Rechenwege. | |
## Was unterscheidet Quantencomputer vom normalen Computer? | |
Im Gegensatz zu einem klassischen Computer, der mit Bits arbeitet, nutzen | |
Quantencomputer Qubits als Grundrecheneinheit. Man kann sich das wie auf | |
einer Lichtskala vorstellen: auf der einen Seite weiß, auf der anderen | |
schwarz, erklärt die Physikerin Jeanette Lorenz. Sie leitet die Abteilung | |
Quantum-enhanced AI am Münchner Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme | |
(IKS) und entwickelt Algorithmen für Quantencomputer. | |
Normale Computer arbeiten mit Bits. Die sind immer entweder schwarz oder | |
weiß, 0 oder 1. Durch die Kombination des Zahlencodes entstehen | |
Informationen. Quantencomputer arbeiten dagegen im Graubereich. In Qubits | |
überlagern sich verschiedene Zustände. Sie sind gleichzeitig 0, 1 und alles | |
dazwischen. Vorstellbar wie eine Münze, die eben in die Luft geschnipst | |
wurde. Solange sie rotiert, ist sie Kopf und Zahl zugleich. Erst wenn die | |
Anwender*innen das Ergebnis messen, wird klar, ob die Qubits schwarz | |
oder weiß sind. Das Zwischenergebnis ist also abhängig von | |
Wahrscheinlichkeiten und erst durch Wiederholung des Rechenvorgangs, | |
Algorithmus genannt, entsteht ein finales Ergebnis. | |
## Warum ist das besser? | |
Während klassische Computer alles hintereinander rechnen, können | |
Quantencomputer mehrere Wege parallel gehen. Durch die Gleichzeitigkeit von | |
0 und 1 verdoppelt sich mit jedem zusätzlichen Qubit die Zahl der möglichen | |
Ergebnisse. Somit wächst die Rechenleistung exponentiell. | |
Anschub geben zudem zwei weitere quantenmechanische Effekte: Interferenz | |
und Verschränkung. Wie zwei Wellen können sie Quanten verstärken oder | |
auslöschen. Qubits können außerdem miteinander verknüpft werden, sodass | |
sich eine Änderung des einen Teilchens im gleichen Moment auf das andere | |
Teilchen auswirkt. | |
## Wer hat sich das ausgedacht? | |
[1][Den ersten Quantencomputer] haben der Physiker Richard Feynman und der | |
Mathematiker Yuri Manin in den 1980ern entworfen. Die Wissenschaftler | |
erhofften sich dadurch, die Natur, wie sie wirklich ist, simulieren zu | |
können. | |
Im Juni 2021 hat die US-Techfirma IBM in Ehningen bei Stuttgart ihren | |
ersten Quantencomputer in Europa eingeweiht. Sie betreiben ihn zusammen mit | |
dem Fraunhofer-Institut in München, aktuell vor allem für Forschungszwecke. | |
## Bringt uns das wirklich voran? | |
Quantencomputer könnten Systeme simulieren, die sich aktuell noch nicht | |
simulieren lassen, insbesondere solche Systeme, die selbst im | |
quantenmechanischen Bereich funktionieren. Zum Beispiel chemische | |
Reaktionen. Wenn sich Zustände auf dieser kleinsten Ebene simulieren | |
lassen, könnten schneller und gezielter neue Medikamente oder Materialien | |
mit bestimmten Eigenschaften entwickelt werden. | |
Solche Computer könnten aber nicht nur schnellere, sondern auch bessere | |
Lösungen für Probleme finden. [2][Einen Quantenalgorithmus, mit dem] | |
unsortierte Daten effizienter durchsucht werden können, gibt es bereits. | |
Ein effizientes Datenmanagement könnte zum Beispiel Firmen helfen, weniger | |
Ressourcen einzusetzen: indem industrielle Produktionen nur die exakt | |
nötige Materialmenge nutzt oder Lkws durch optimale Verkehrsrouten weniger | |
Kraftstoff verbrauchen. | |
Auch für maschinelles Lernen eignen sich Quantencomputer, und zwar | |
insbesondere dann, wenn wenig Daten vorhanden sind, erklärt Jeanette | |
Lorenz. Sie selbst forscht an der Anwendung von Quantencomputern in der | |
Medizin. Mit Ultraschall- oder Computertomografieaufnahmen wollen | |
Ärzt*innen Tumore und deren Gut- oder Bösartigkeit feststellen. | |
„Klassische Algorithmen brauchen eine große Menge an Trainingsdaten, damit | |
sie tatsächlich ein zuverlässiges Ergebnis geben können.“ Aber bei vielen | |
Erkrankungen sind die Daten begrenzt. Bestimmte Quantenalgorithmen kämen | |
mit weniger Daten aus, um ein ähnliches oder besseres Ergebnis zu erreichen | |
als herkömmliche Algorithmen. | |
## Bisher ist ja vieles nur Theorie. Wann sind die Supercomputer endlich | |
einsetzbar? | |
Es gibt bereits Quantencomputer, aber die sind für viele Anwendungen bisher | |
zu fehleranfällig. [3][Quantencomputer zu bauen] und zu betreiben, ist | |
aufwändig, weil man den quantenmechanischen Zustand der Qubits | |
aufrechterhalten muss. Je nach System, mit dem der Computer funktioniert, | |
gelten spezifische Ansprüche. Ein Problem kann zum Beispiel sein, dass | |
Teilchen sich bewegen, solange sie warm sind. Damit Qubits steuerbar | |
werden, dürfen sie also keine Wärmeenergie mehr enthalten. Sie müssen mit | |
enormem Energieaufwand auf die kälteste mögliche Temperatur heruntergekühlt | |
werden. Das sind –273 Grad Celsius. Der Computer muss außerdem gegen | |
sämtliche Erschütterungen und magnetischen Felder abgeschirmt sein. | |
Wissenschaftler*innen stelle das vor große Herausforderungen, sagt | |
Lorenz. Denn auf der einen Seite müssen Quantencomputer zwangsläufig mit | |
ihrer Umgebung in Verbindung stehen, da die Ergebnisse von einem | |
herkömmlichen Computer bedient und ausgelesen werden müssen. Andererseits | |
müssen sie perfekt vor Umwelteinflüssen geschützt sein, um die | |
quantenmechanischen Eigenschaften zu erhalten. | |
Damit Quantencomputer korrekte Ergebnisse liefern, dürfen Qubits keine | |
Fehler machen. Qubits funktionieren allerdings nie komplett störungsfrei. | |
Um Fehler zu entdecken, nutzt man die Tatsache, dass sich Qubits | |
gegenseitig beeinflussen. Man schaltet mehrere fehlerhafte Qubits zusammen, | |
um daraus ein fehlerfreies Qubit zu machen. Dass diese Methode zu besseren | |
Ergebnissen führt, wies zuletzt das Google AI Team i[4][n einer Studie] | |
nach. Als Daumenformel müsse man etwa 10.000 Qubits zusammenschalten, um | |
ein fehlerfreies zu erhalten, sagt Lorenz. Davon sind bisherige | |
Quantencomputer noch weit entfernt. Den bisher leistungsstärksten | |
Quantencomputer stellte IBM im November 2022 vor. Er hat 433 Qubits. | |
## Wer wird davon profitieren? | |
Es gibt schon erste Ansätze, Quantencomputer mit klassischen Computern zu | |
kombinieren. Bestimmte Rechenprozesse kann man übers Internet an | |
Quantencomputer auslagern. So könnten in bestimmten Problemklassen | |
Berechnungen beschleunigt werden, sagt Lorenz. An genau solchen | |
Anwendungsfällen arbeitet die Fraunhofer-Gesellschaft bereits mit | |
Industriepartnern zusammen, unter anderem der Halbleiterhersteller | |
Infineon. | |
Auch Einzelpersonen [5][können schon Quantencomputer nutzen]. IBM stellt | |
dafür eine Online-Plattform zur Verfügung, auf der Neugierige ihre | |
Quantenalgorithmen testen können. Deren Programmierung ist allerdings | |
komplex, unter anderem weil es noch keine einheitliche Programmiersprache | |
für Quantensysteme gibt. | |
Neben der Forschung könnten Quantencomputer zukünftig auch ganz konkret im | |
Alltag helfen. 2019 warb VW mit einem Pilotprojekt, bei dem ein Teil der | |
Navigation über einen Quantenalgorithmus berechnet wird. Die Idee ist es, | |
potenzielle Staus zu erkennen, bevor sie entstehen. | |
In den eigenen vier Wänden werden Quantencomputer in Zukunft eher nicht | |
stehen. Weil sie nur Wahrscheinlichkeiten berechnen, können sie klassische | |
Computer nicht ersetzen, sagt Lorenz. Quantencomputer haben großes | |
Potenzial, aber eben nur in bestimmten Anwendungsbereichen. | |
## Könnte ein Supercomputer nicht auch gefährlich werden? | |
Quantencomputer haben nicht nur das Potenzial, neue Probleme zu lösen. Sie | |
könnten auch die Sicherheit bestehender Systeme gefährden. Zum Beispiel | |
könnte es ihnen gelingen, die gängigsten Methoden zur Verschlüsselung zu | |
knacken, das sogenannte RSA-Verfahren. Es beruht auf der Annahme, dass die | |
Zerlegung von Primzahlen in ihre Multiplikatoren bei großen Zahlen | |
herkömmliche Computer überfordert. Bei der enormen Leistung, zu der | |
Quantencomputer eines Tages fähig sein könnten, sieht das schon anders aus. | |
6 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Quanten-im-Forschungslabor/!5660042 | |
[2] /Superrechner-fuer-die-NSA/!5051506 | |
[3] /Quantencomputer/!5107251 | |
[4] https://www.nature.com/articles/s41586-022-05434-1 | |
[5] /NSA-soll-an-Quantencomputer-arbeiten/!5051587 | |
## AUTOREN | |
Adefunmi Olanigan | |
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