# taz.de -- Quanten im Forschungslabor: „Das nächste große Ding“ | |
> Computer auf Basis der Quantentechnologie werden die derzeitigen | |
> Rechnersysteme ablösen. Die Bundesregierung will den Anschluss nicht | |
> verlieren. | |
Bild: Funktioniert bereits: der Quantencomputer „Q System One“ von IBM in Y… | |
BERLIN taz | Nur wenig verlautete über das Spitzentreffen Ende Januar im | |
Kanzleramt. Wo sonst die großen Schicksalsfragen der Nation in Auto-, | |
Agrar- oder Lebensmittel-Gipfeln zwischen Bundesregierung und | |
Interessensvertretern verhandelt werden, ging es diesmal um ein | |
wissenschaftliches Spezialthema, das kein einziges Kamerateam in den | |
Tiergarten lockte. Die „Innovationspotenziale der Quantentechnologien der | |
zweiten Generation“ standen auf dem Programm des dritten Innovationsdialogs | |
von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft unter Leitung von Kanzlerin | |
Merkel. Die Runde war sich einig: Nach der Digitalisierung werden Quanten | |
das nächste „große Ding“ der technologischen Entwicklung sein – mit der… | |
noch aussichtsreichen Chancen für Deutschland. | |
Schon jetzt ist abzusehen, dass die digitale Computertechnik aus | |
physikalischen Gründen an ihre Grenzen stößt: die Halbleiter-Bausteine | |
werden nicht mehr die Menge an Elektronen transportieren können, die für | |
die immer komplexeren Rechenverfahren in immer kürzerer Zeit benötigt | |
werden. Die Lösung liegt in neuen Rechenverfahren auf Basis der | |
Quantenphysik: Nicht mehr Elektronen, sondern Lichtteilchen – Photonen – | |
sind dann die Träger der Information. | |
Die [1][Forschung an Quantencomputern] schreitet international schnell | |
voran. Ein neues, 300 Millionen Euro schweres Programm des | |
Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das Anfang Februar | |
vorgestellt wurde, soll dafür sorgen, dass Deutschland nicht den Anschluss | |
verliert. | |
Dabei ist das Quantencomputing nur eines von insgesamt vier Feldern, die | |
den Quantentechnologien zugerechnet werden. Mit dazu gehören auch die | |
quantenbasierte Sensorik, Bildgebung und Metrologie; die | |
[2][Quantenkommunikation und -kryptografie]; sowie Quantensimulatoren. Die | |
deutsche Forschungslandschaft nehme in den Quantentechnologien „in der | |
Breite und in der Spitze international eine führende Rolle ein“, erklärten | |
die Wissenschaftler, unter ihnen die Präsidenten von Max-Planck- und | |
Fraunhofer-Gesellschaft beim Innovationsdialog, der von der Technikakademie | |
Acatech organisiert worden war. Von Regierungsseite nahmen daran die | |
Kanzlerin, die Bundesminister für Finanzen, Wirtschaft und Forschung sowie | |
Kanzleramtsminister Braun teil. | |
Nötig sei, so das Ergebnis der Runde, „ein deutsches | |
Quantentechnologie-Ökosystem mit internationaler Strahlkraft zu schaffen“, | |
das die exzellenten Forscher noch stärker untereinander und mit der | |
Wirtschaft vernetze. Dies solle durch die „Schaffung von | |
Informationsangeboten, Plattformen für den gemeinsamen Austausch und | |
Infrastrukturen zur niederschwelligen Erprobung der neuen Technologien“ | |
gefördert werden. | |
## Die Konkurrenz schläft nicht | |
Auch Geld ist im Spiel. Schon 2018 wurde mit dem Regierungsprogramm | |
„Quantentechnologien – von den Grundlagen zum Markt“ ein Finanzrahmen von | |
650 Millionen Euro für die Quantenforschung der laufenden Legislaturperiode | |
in Aussicht gestellt. Die großen Konkurrenten in USA und China operieren | |
allerdings mit Milliardenbeträgen. | |
Mithilfe der Quantencomputer sollen Big Data und künstliche Intelligenz in | |
neue Dimensionen vorstoßen, erwartet Reimund Neugebauer, Präsident der | |
Fraunhofer-Gesellschaft, der größten deutschen Wissenschaftsorganisation | |
für angewandte Forschung. „Solche Fortschritte könnten die Tür zu neuen | |
wissenschaftlichen Erkenntnissen und enormen Verbesserungen in den | |
Lieferketten, der Logistik und der Modellierung von Finanzdaten und | |
Problemen aus den klassischen Ingenieurswissenschaften öffnen“, skizziert | |
Neugebauer den Nutzen. Aktuell sind 14 Fraunhofer-Institute auf dem Gebiet | |
der Quantentechnologie aktiv. | |
Neugebauers neuester Coup: Mit Unterstützung des BMBF holt er den ersten | |
funktionierenden [3][Quantencomputer, den „Q System One“ des | |
US-amerikanischen IT-Unternehmens IBM,] nach Deutschland. Derzeit befinden | |
sich die Vertragsverhandlungen, bei deren Einfädelung auch Bundeskanzlerin | |
Angela Merkel eingeschaltet war, in der heißen Phase. Wird die Abmachung | |
perfekt, kann der Quantenrechner Anfang 2021 starten. Standort ist die | |
deutsche IBM-Zentrale im baden-württembergischen Ehningen. „Die | |
Installation eines IBM Q Systems in Europa ist beispiellos und eröffnet | |
neue Möglichkeiten bei der Entwicklung von Quantencomputing-Strategien am | |
neu entstehenden Fraunhofer-Center unter vollständiger Datenhoheit nach | |
europäischem Recht“, versichert Reimund Neugebauer. In welchem Umfang die | |
Fraunhofer-Forscher Zugang zu der IBM-Maschine haben werden, ist Gegenstand | |
der Verhandlungen, die noch im Februar abgeschlossen werden sollen. | |
In einigen Fällen verlässt die Technik bereits das Experimentallabor. „In | |
der deutschen Industrie gibt es ein großes Interesse am Thema | |
Quantentechnologie und es gibt auch erste Schritte, die | |
Industrieunternehmen in der Anwendung oder in der Entwicklung von | |
Quantentechnologie gehen“, sagt Peter Leibinger, Chief Technology Officer | |
(CTO) der Trumpf GmbH, dem weltweit größten Hersteller von Lasersystemen. | |
Wenn die Technik die Nutzungsreife erreicht hat, womit Leibinger in zehn | |
Jahren rechnet, könnte zu den Anwendern etwa „der Heimwerker zählen, der | |
einen Quantensensor nutzt, um eine Wasserleitung in der Wand zu finden, | |
oder der Neurologe, der mittels Quantenmagnetfeldsensorik Hirnströme | |
messen“ könne. | |
## Quantensensoren für Mikroskope | |
Bei Trumpf ist bereits ein erstes Quanten-Start-up mit derzeit 15 | |
Beschäftigten entstanden. Die Firma „Q.ant“ produziert spezielle Laser für | |
Quantentechnologien, wie etwa Sensoren. „Wir lasern dazu aus einem Kristall | |
winzige Lichtkanäle heraus – das technologische Herzstück für | |
Quantensensoren“, erklärt Leibinger das Verfahren. „Diese könnten in | |
Zukunft neue Mikroskope ermöglichen, mit denen bisher unbekannte | |
Zellanalysen machbar sind, beispielsweise in der Medizin“, sagt Leibinger, | |
der mit seinem Praxiswissen als Sprecher des Programmausschusses | |
Quantensysteme des BMBF auch direkt auf die Forschungspolitik einwirkt. | |
Auch im Nordwesten der Republik, im Forschungszentrum Jülich der | |
Helmholtz-Forschungsgemeinschaft, herrscht Quanten-Fieber. Im vorigen Monat | |
wurde hier das Helmholtz Quantum Center (HQC) als zentrales | |
Technologielabor für das gesamte Forschungsspektrum für Quantencomputing | |
eröffnet – finanziert mit 50 Millionen Euro aus dem Helmholtz-Etat. | |
Die Übertragung von Quanten-Informationen ist dagegen das Spezialgebiet | |
einer Forschergruppe an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). | |
Der Gruppe um den Physiker Harald Weinfurter gelang es kürzlich, | |
Quanteneigenschaften über eine Distanz von zwanzig Kilometern per Glasfaser | |
zu übertragen. „Die Entfernung stellt einen Meilenstein hinsichtlich der | |
Verteilung von Quanteninformationen in großem Maßstab dar“, erklärt | |
Weinfurter. Für ihr Experiment verwendeten die Forscher Rubidium-Atome, die | |
nach gezielter Anregung Photonen mit einer Wellenlänge von 780 Nanometern | |
auf die Reise durch die Glasfaser schicken. Später sind Experimente im | |
Freiland geplant, um so das Kommunikationsnetzwerk mit neuen Knotenpunkten | |
weiter auszubauen. | |
16 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Nobelpreis-fuer-Physik/!5082071 | |
[2] /Superrechner-fuer-die-NSA/!5051506 | |
[3] https://www.ibm.com/de-de | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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