Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Hamburger Forschungskolleg: Zwischen Akademie und Aktivismus
> In Hamburg entsteht ein neues Wissenschaftskolleg. „The New Institute“
> soll angesichts der Klimakrise eine Plattform auch für Aktivist*innen
> werden.
Bild: Guter Ort zum Denken: Der Garten des New Institute in der Warburgstraße
Hamburg taz | Die Handwerker*innen machen nur kurz Pause, sie haben noch
viel Arbeit vor sich: Der Boden der Gänge ist mit Vlies abgedeckt, in den
meisten Räumen sind erst die Tapeten abgerissen. Hier und da hängen
Steckdosen aus ihrer Halterung und kalte Glühbirnen einsam von der Decke.
In einem der Räume vor einem großen Fenster sitzt Maja Göpel auf einem
Klappstuhl, noch kurz auf ihrem Handy tippend. „Mal sehen, ob es in einem
Jahr fertig ist“, sagt Göpel. Mehr als eine Ansammlung kahler großer Räume
mit hohen Decken ist das bislang nicht.
Im sogenannten Warburg-Ensemble, einer langen, feinen Altbaureihe in
kürzester Distanz zur Außenalster, entsteht derzeit ein neuer Ort der
Wissenschaft, der nicht weniger als „Antworten auf die Fragen in Ökologie,
Ökonomie und Demokratie im Zeichen der Klimakrise“ liefern soll. Dass der
Anspruch nicht gerade niedrig ist, zeigt sich auch am Namen: THE NEW
INSTITUTE – natürlich groß geschrieben.
Göpel, die wissenschaftliche Direktorin dieses Instituts werden soll, ist
mittlerweile [1][auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebs ein bekanntes
Gesicht]. Die 44-jährige Politikökonomin berät die Bundesregierung in
Fragen von globalen Umweltveränderungen, ist eine der Gründerinnen von
Scientists for Future und muss sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
den Vorwurf gefallen lassen, Anhängerin einer Ökodiktatur zu sein.
## Wissenschaft ist nicht Aktivismus
Dass sie sich mit ihren Positionen streitbar in die Öffentlichkeit stellt,
legt natürlich den am Ende auch widersinnigen Vorwurf nahe, sie sei in
erster Linie eine Aktivistin. „[2][Normative Wissenschaft ist nicht
Aktivismus]“, sagt Göpel. Gänzlich davon fernhalten jedoch will das
Institut sich gerade nicht.
Um Wissenschaft allein, so der Anspruch, soll es hier nicht gehen. Vielmehr
soll sich das Institut auch zu einer Plattform für Wissenschaftler*innen
und Aktivist*innen entwickeln. „Neue Akteursallianzen sind wichtig, weil
die Wissenschaft sonst nicht ihren Beitrag für die Gesellschaft leistet“,
sagt Göpel.
Gründer und Finanzier ist Erck Rickmers, der zur bekannten Reederfamilie
gehört und auf den die Bezeichnung „Philanthrop“ passt. Sein
Reederei-Geschäft hat er verkauft und ein paar Jahre für ein Studium der
Religionswissenschaften in den USA gelebt. Mitunter pulvert er kräftig
gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem.
Von dessen Zwängen befreit werden sollen künftig rund 35
Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen, die im
Warburg-Ensemble nicht nur für ein oder mehrere Jahre ohne
Publikationspflicht forschen, sondern auch wohnen können. Platz für den
gemeinsamen Austausch gibt es zuhauf, denn auf der Rückseite der
Häuserreihe ist auch noch eine schicke große Gartenfläche.
## Es braucht Reibung
Neben Göpel finden sich auf der bislang bekannten Personalliste des
Instituts noch weitere Namen, die das Projekt mit einigem Renommee
versorgen könnten: Wilhelm Krull, ehemaliger Leiter der
Volkswagen-Stiftung, soll Gründungsdirektor werden, der Autor und frühere
Spiegel-Kolumnist Georg Diez mischt künftig auch am Institut mit.
[3][Und mit dem 40-jährigen Philosophen Markus Gabriel], der aktuell mit
seinem Buch „Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten“ einen großen Erfolg
feiert, ist ein weiterer junger Kopf dabei. Der erhielt bereits mit 28
Jahren eine Professur und ist wissenschaftlich weltweit unterwegs.
Auch er läuft über die Baustelle und wirkt ziemlich optimistisch. „Ich
hoffe, es entsteht hier ordentlich Reibung“, sagt Gabriel. Zwischen?
„Allen, denn aufgeklärt ist eine Gesellschaft, wenn sich möglichst viele
Teile progressiv verzahnen“, sagt Gabriel. Wie Göpel ist auch Gabriel
einer, der gern den Weg in die Öffentlichkeit sucht. „Ich will die
Philosophie nicht als eine korrigierende Randfigur bei gesellschaftlichen
Fehlentwicklungen sehen“, sagt Gabriel.
Wie sich konkret die Arbeit zwischen Wissenschaftler*innen und
Aktivist*innen entwickeln wird, klingt noch ziemlich offen. Ideen gibt es
viele, etwa die intensive Zusammenarbeit mit Fridays For Future. Oder die
Mitarbeit an einer „grünen, digitalen Transformation“ von Hamburg,
gemeinsam mit anderen europäischen Hafenstädten wie Kopenhagen oder
Helsinki.
Ob daraus mehr als ein paar wohlklingende Ankündigungen werden, muss sich
erst noch zeigen. An das Institut gibt es schon jetzt hohe Ansprüche – die
es sich selbst gegeben hat: Immerhin soll das keine weitere akademische
Insel werden. Worte wie Innovation, Vision oder Zukunftsfähigkeit gehören
bei allen Beteiligten zum festen Wortschatz, wenn es um das Vorhaben geht.
„Wenn das hier ein weiterer wissenschaftlicher Elfenbeinturm wird, wäre das
Ziel auf jeden Fall verfehlt“, sagt Georg Diez.
Aber bis zur Eröffnung des Instituts ist es auch noch einige Monate hin.
Und mit Leuten wie Göpel und Gabriel an Bord dürfte sichergestellt sein,
dass künftig viele Erkenntnisse des Instituts den Weg in die Öffentlichkeit
finden. Wie die politisch zu bewerten sind – darüber könnte noch Reibung
entstehen.
12 Sep 2020
## LINKS
[1] /Aus-taz-FUTURZWEI/!5512882
[2] /Kurswechsel-in-Forschungspolitik/!5690105
[3] /Philosophie-des-Neuen-Realismus/!5298540
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Hamburg
Schwerpunkt Klimawandel
Wissenschaft
Nachhaltigkeit
Hamburg
Akademie der Wissenschaften
Klima
Schwerpunkt Fridays For Future
Klimaschutzziele
Forschungspolitik
Philosophie
## ARTIKEL ZUM THEMA
The New Institute in Hamburg: Akademische Insel wird entwohnt
„The New Institute“ wollte Antworten auf die ganz großen Fragen liefern.
Nun kündigte Mäzen Erck Rickmers zerknirscht an, dass es die Arbeit
einstellt.
Akademie der Wissenschaften in Hamburg: Klimawissenschaftler an der Spitze
Er ist 67 aber forscht weiterhin mit Leidenschaft. Nun wird Mojib Latif der
neue Präsident der Akademie der Wissenschaft.
Keine Lenkungswirkung fürs Klima: Kfz-Steuerreform ohne Effekt
Am Donnerstag entscheidet der Bundestag über die Kfz-Steuerreform. Einer
Studie zufolge gibt es zu wenig Anreize für den Kauf emissionsarmer
Modelle.
FFF-Aktivistin über Zusammenarbeit: „Mehr Aussicht auf Erfolg“
Fridays for Future (FFF) Oldenburg hat zusammen mit der Stadt einen
Leitantrag erarbeitet, der Oldenburg klimaneutral machen soll. Klappt das?
FFF-AktivistInnen auf Parlamentskurs: Fridays for Future sucht Strategie
Einige der KlimaaktivistInnen wollen für den Bundestag kandidieren. Das
sorgt für Streit bei FFF – und offenbart, dass ein politisches Konzept
fehlt.
Kurswechsel in Forschungspolitik: Hightech oder Nachhaltigkeit
Über den richtigen Weg der deutschen Forschung ist ein Streit entbrannt.
Dabei ist klar, dass es nicht einfach so weitergehen kann.
Philosophie des Neuen Realismus: Die weiten Felder des Sinns
Markus Gabriel lehnt die Welt ab. Als Begriff zumindest. In „Sinn und
Existenz“ argumentiert er dafür, warum es auch ohne geht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.