| # taz.de -- Abgeordneter über Pannenflughafen BER: „Wir waren oft geschockt�… | |
| > Am Freitag kommt der Abschlussbericht zum BER. Andreas Otto hat jahrelang | |
| > Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss geleistet. Hier zieht er | |
| > Bilanz. | |
| Bild: Inzwischen ein Synonym für Baustelle: der BER | |
| taz: Herr Otto, wir haben uns als Setting für unser Gespräch den | |
| Willy-Brandt-Platz vor dem BER ausgesucht. Ins Terminal selbst hat man uns | |
| leider nicht gelassen, dafür kann man hier völlig ungestört reden, es ist | |
| ja niemand da. Bevor wir über den Untersuchungsausschuss sprechen – wie | |
| finden Sie eigentlich die Architektur? | |
| Andreas Otto: Ach, das ist Geschmackssache. So schlecht sieht es gar nicht | |
| aus. Bis zur Eröffnung sind auch die Bäumchen noch ein gutes Stück | |
| gewachsen, und wenn hier irgendwann viele Menschen unterwegs sind, ist es | |
| auch nicht mehr so grau. | |
| Dreieinhalb Jahre Aufklärungsarbeit zum BER-Debakel liegen hinter Ihnen. | |
| Eigentlich ist das Ganze ja eine Tragödie, aber fanden Sie es an | |
| irgendeinem Punkt nur noch zum Lachen? | |
| Manchmal haben wir schon gelacht, aber eher aus Verzweiflung, wenn wieder | |
| ein neues Problem auftauchte. Dass man nicht wusste, ob gleich die Lüfter | |
| vom Dach fallen oder Ähnliches. | |
| Gab es Überraschungen? | |
| Wir waren oft geschockt, wie wenig die Beteiligten über den tatsächlichen | |
| Projektstand Bescheid wussten. Das zeigt sich im Rückblick immer | |
| deutlicher. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck verkündete im | |
| Mai 2012 auf der Pressekonferenz zur Absage der Eröffnung, man werde den | |
| Flughafen noch im August desselben Jahres in Betrieb nehmen! Immer wieder | |
| überraschend war, dass wirklich alle behauptet haben, sie selbst hätten | |
| alles richtig gemacht und das Ganze einfach nicht überblicken können. Dass | |
| der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit als Aufsichtsratschef | |
| keinen Überblick über den Projektstand hatte, mag man ihm noch nachsehen. | |
| Aber weder er noch die Geschäftsführung haben es geschafft, in der | |
| Leitungsebene alle Informationen zusammenzuführen. | |
| Wurden Sie mal positiv überrascht? Vielleicht weil ein Zeuge Einsicht in | |
| seine Unzulänglichkeit gezeigt hat? | |
| Persönliches Versagen hat niemand eingestanden, eine derartige Fehlerkultur | |
| gibt es hier nicht. Sowohl Herr Wowereit als auch Herr Platzeck haben zwar | |
| anfangs in den Landesparlamenten von einer Entschuldigung gesprochen, aber | |
| die haben sie nicht damit begründet, selbst Fehler gemacht zu haben. Es | |
| ging immer nur um die Umstände. Bei den Vertretern der beteiligten Firmen | |
| erklärt sich das natürlich zum Teil durch ihre Angst vor | |
| Haftungsansprüchen. | |
| Ist die Arbeit in einem Ausschuss nicht furchtbar frustrierend, wenn sich | |
| der Untersuchungsgegenstand ständig in die Gegenwart hineinverlängert? | |
| Eine Zeit lang haben wir gerätselt, wer zuerst fertig wird – wir mit der | |
| Untersuchung oder der Flughafen. Jetzt überholt uns die Eröffnung nicht | |
| mehr. Das ist natürlich frustrierend. Aber es kamen ja immer neue | |
| Ungeheuerlichkeiten hinzu. Zweimal haben wir den Untersuchungsauftrag | |
| deshalb erweitert, insbesondere wegen der Kostenfragen. Mittlerweile steht | |
| die Prognose der Gesamtkosten bei 6,5 Milliarden Euro. Die meisten Leute | |
| wissen gar nicht, wie viele Nullen eine Milliarde hat und was man damit in | |
| Berlin alles machen könnte. Unsere Stadt braucht dringend neue Schulen, wir | |
| müssen die Kita-Erzieherinnen besser bezahlen, die Brücken reparieren und | |
| den Radverkehr ausbauen, aber das dringend benötigte Geld wird durch | |
| Missmanagement vergeudet. Das ist unsere bitterste Erkenntnis. | |
| Zwischendurch haben wir sogar diskutiert, ob man nicht 2012 einen radikalen | |
| Schnitt hätte machen müssen. Überspitzt gesagt: das Terminal abreißen und | |
| ein neues bauen. | |
| Das wäre politisch wohl kaum vermittelbar gewesen. | |
| Aber es hätte theoretisch das Ergebnis einer ehrlichen Bestandsaufnahme | |
| sein können. Zu diesem Zweck ist ja damals Horst Amann als Baufachmann vom | |
| Frankfurter Flughafen geholt worden. Er und seine Leute fingen als Erste | |
| an, alle Mängel aufzunehmen. Auf der Baustelle wurden sie von vielen als | |
| Eindringlinge gesehen. Man macht sich ja nicht beliebt, wenn man Dinge | |
| findet, die schiefgelaufen sind. Aber es war der richtige Weg. Man hätte | |
| Herrn Amann das beenden lassen und Lösungsvorschläge entwickeln müssen. Die | |
| Entkernung des Terminals hätte eine Variante sein können. Aber Amann ist | |
| nicht fertig geworden und wurde abgesägt – den Herren Wowereit und Platzeck | |
| ging das alles nicht schnell genug. Also holten sie den früheren Bahn-Chef | |
| Hartmut Mehdorn, der die Bestandsaufnahme für Quatsch hielt und meinte, man | |
| müsse ein Sprint-Team ins Terminal setzen. Wir haben Herrn Mehdorn später | |
| gefragt, welche bautechnische Kompetenz dieses Team hatte. Es stellte sich | |
| heraus, dass das alles BWLer und Juristen waren. Die braucht man sicherlich | |
| auch, aber die programmieren nichts, die ziehen keine Leitungen und wissen | |
| nicht, wie eine Sprinkleranlage funktioniert. Dieses verfehlte | |
| Krisenmanagement der Flughafengesellschaft und ihrer Gesellschafter hat das | |
| Projekt zusätzlich zurückgeworfen. | |
| Was war denn nun die Hauptsünde der Verantwortlichen? Inkompetenz? | |
| Schlampigkeit? Arroganz? | |
| Zunächst einmal gab es organisatorische, strukturelle Probleme. Dann gab es | |
| einen Aufsichtsrat mit Leuten, die sich sicherlich auch Mühe gegeben haben, | |
| aber nicht in der Lage waren, ein solches Projekt zu verstehen und zu | |
| kontrollieren. Uns hat es umgehauen, dass die sich auch nicht mit einem | |
| Stab von kompetenten Leuten ordentlich vorbereitet haben. Herr Wowereit | |
| hatte als Aufsichtsratsvorsitzender ein Büro mit zwei Personen – ein Jurist | |
| und ein Verwaltungsmitarbeiter. Wir haben sie im Ausschuss gefragt, wie sie | |
| Wowereit helfen konnten, die technischen Prozesse zu verstehen. Das hätten | |
| sie natürlich nicht gekonnt, haben die uns gesagt. Sie hätten die Vorlagen | |
| darauf hin durchgelesen, ob ihnen da etwas komisch vorkomme, und Protokolle | |
| geschrieben und abgeheftet. Herr Wowereit selbst wurde im Ausschuss mit der | |
| Frage konfrontiert, ob er 2012 in der Krise mal bei seinem damaligen | |
| Stadtentwicklungssenator Michael Müller angerufen habe. Der hatte ja Leute | |
| in seiner Verwaltung, die zumindest schon mal eine Baustelle geleitet | |
| haben. Nö, hat Wowereit gesagt, das habe er nicht gebraucht. Zur mangelnden | |
| Kompetenz in den Gremien kam also eine gewisse Selbstherrlichkeit. Aber | |
| neben dem Aufsichtsrat haben wir ja noch ein viel wichtigeres Gremium, | |
| nämlich die Gesellschafterversammlung … | |
| … das sind Berlin, Brandenburg und der Bund. | |
| Die sollen eigentlich den Aufsichtsrat kontrollieren und könnten sogar | |
| Entscheidungen der Flughafen-Geschäftsführung revidieren. Aber in diesem | |
| Gremium sitzen für den Senat brave Verwaltungsmitarbeiter. Und die sollen | |
| nun einem Aufsichtsratsvorsitzenden Wowereit, der zugleich ihr | |
| Regierungschef ist, nahelegen, die Entlassung des Generalplaners könne | |
| möglicherweise ein Fehler sein? Dieses Machtgefälle ist absurd. | |
| Die Trennung von der Planungsgesellschaft PG BBI als Reaktion auf das | |
| Platzen der Eröffnung war aus Ihrer Sicht ein Kardinalfehler, oder? | |
| Knapp zwei Wochen nach dem Platzen der BER-Eröffnung tagte der Aufsichtsrat | |
| und beschloss die Entlassung des Generalplaners und des technischen | |
| Geschäftsführers. Im Ausschuss haben mehrere Zeugen ausgesagt, Herr | |
| Wowereit, habe sich durch intensives Nachfragen ein umfassendes Bild | |
| gemacht. Den Eindruck kann man nach sechs oder acht Stunden natürlich | |
| bekommen, die haben die halbe Nacht zusammengesessen. Aber durch die Dauer | |
| von Befragungen wächst nicht die fachliche Qualifizierung des | |
| Fragestellers. Die Aufsichtsräte haben niemanden außerhalb des Raums | |
| angerufen, keine unabhängigen Experten für Großprojekte gefragt, was man in | |
| so einer Situation tut, die haben nicht einmal über ihre Entscheidung | |
| geschlafen. | |
| Stattdessen hat man lieber Beteiligte entlassen, die entscheidendes | |
| Know-how mitgenommen haben. | |
| Richtig. Wir dürfen nicht vergessen, dass das BER-Terminal so etwas wie ein | |
| Experimentalbau ist, in dem vieles erstmals ausprobiert wurde. Vor Kurzem | |
| erst ist ja wieder die Problematik hochgekommen, dass der Bahnhof direkt | |
| unter dem Terminal liegt, was für besondere Schwierigkeiten beim | |
| Brandschutz sorgt. Den Kampf zwischen den Architekten und den | |
| Haustechnikern, der heute übrigens bei jedem Bauprojekt stattfindet, haben | |
| die Architekten hier leider gewonnen. Ich sehe das so: Ein Flughafen ist | |
| letztlich eine Art Industriegebäude, das bestimmte Funktionen möglichst | |
| effizient erfüllen muss. Wenn mir dann noch jemand eine schöne Hülle dazu | |
| baut, ist das in Ordnung. Hier war es leider genau andersherum: Man hat | |
| eine beeindruckende Hülle entworfen, und dann mussten die Haustechnikplaner | |
| ihre Sprinkleranlagen, Entrauchungskanäle und Elektroleitungen irgendwie | |
| dort unterbringen. Aber bitte nicht so viel aufs Dach, hat man ihnen noch | |
| gesagt. | |
| Man wollte nicht nur technische, sondern auch ästhetische Perfektion. | |
| Sehen Sie sich das Terminal am Flughafen Frankfurt an, das hat jede Menge | |
| Lüfter auf dem Dach. Der Flughafen dort geht auf Nummer sicher und | |
| entraucht dezentral. Ob die ursprüngliche, hochkomplexe Entrauchungsanlage | |
| des BER hätte funktionieren können, darüber gehen die Ansichten | |
| auseinander, wir werden es nie erfahren. Jedenfalls muss man dem Bauherrn | |
| den Vorwurf machen, ein extrem kompliziertes System gegenüber einer | |
| einfachen und bewährten Lösung bevorzugt zu haben. | |
| Sie haben schon öfter kritisiert, dass ständig umgeplant und erweitert | |
| wurde. | |
| Für mich ist eins völlig klar: Wenn man einfach das gebaut hätte, was 2005 | |
| entworfen, geplant und genehmigt war, dann herrschte hier heute | |
| Flugbetrieb. Vielleicht wäre der Flughafen ein bisschen klein, aber er wäre | |
| eröffnet. Das ist ungleich besser als ein babylonisches Projekt, das nie | |
| fertig wird. Die Änderungen kamen zum Teil direkt aus der | |
| Flughafengesellschaft. Immer wenn der kaufmännische Geschäftsführer, Rainer | |
| Schwarz, noch einen Schnapsladen gefunden hatte, der ins Terminal wollte, | |
| hat er umplanen lassen. Ein anderer Punkt war der Riesenflieger A380, den | |
| Klaus Wowereit unbedingt am BER landen lassen wollte. Diese ganzen | |
| Änderungen haben nicht nur den Architekten und Planern Haarausfall | |
| beschert, sondern das ganze Projekt immer wieder zurückgeworfen. | |
| Hat der Ausschuss den weiteren Projektverlauf irgendwie positiv | |
| beeinflusst? Oder beschränkt sich sein Nutzen auf Erkenntnisse für künftige | |
| Projekte? | |
| Natürlich wollten wir erst einmal aufklären, was am BER schiefgelaufen ist, | |
| wer dafür verantwortlich zeichnet, was das Debakel gekostet hat und was wir | |
| daraus für die Zukunft lernen können. Aber ich glaube schon, dass unsere | |
| Arbeit das Projekt zumindest atmosphärisch befördert hat, weil wir die | |
| öffentliche Wahrnehmung der Probleme erhöht haben. Unter anderem auch die | |
| Fragen des Lärmschutzes und der langjährigen Geheimhaltung der Flugrouten. | |
| Vieles wäre sonst vielleicht gar nicht aufgetaucht, es haben sich ja auch | |
| Whistleblower bei uns gemeldet. | |
| Können Sie sich vorstellen, dass es in der kommenden Legislaturperiode | |
| einen neuen Untersuchungsausschuss geben muss? Die aufzuklärenden | |
| Sachverhalte werden ja offenbar nicht weniger. | |
| Ausschließen kann man so etwas nie, ich sehe es aber erst mal nicht. Wir | |
| brauchen einen Flughafencheck, um sicher zu sein, wie weit das Projekt | |
| jetzt wirklich ist. Ich hoffe, dass am BER nicht neue Korruptionsfälle | |
| auftreten. Oder eine Geschichte wie jetzt mit Imtech, die noch einmal zu | |
| Mehrausgaben oder Verlusten führt. | |
| Wie haben Sie die KollegInnen von SPD und CDU in der Ausschussarbeit | |
| erlebt? Wie viel Aufklärungswillen gab es da? | |
| Der Wille zur Aufklärung ist unterschiedlich ausgeprägt. Wir schreiben | |
| gerade den Abschlussbericht, und was da tatsächlich fehlt, ist der Wille, | |
| die gewonnenen Erkenntnisse umfassend abzubilden. Nach meinem Eindruck ist | |
| die Koalition sehr bemüht, handelnde oder ehemalige Regierungsmitglieder | |
| gut aussehen zu lassen, die Zeugen Klaus Wowereit und Frank Henkel etwa. | |
| Dadurch wird ein solcher Bericht natürlich entwertet. | |
| Weshalb Sie ein Sondervotum vorlegen werden. | |
| Ja. Darin wird auch stehen, was die Schwierigkeiten in der Ausschussarbeit | |
| mit SPD und CDU waren. Etwa die, sich auf einen vernünftigen Terminplan zu | |
| einigen. Die Koalition wollte natürlich aus ihrer Sicht schwierige, weil | |
| belastete Zeugen möglichst weit weg von Wahlterminen haben. Das war bei der | |
| Bundestagswahl der Fall und ist jetzt wieder so. Das hat unsere Arbeit | |
| nicht gerade einfacher gemacht. | |
| Martin Delius, Ausschussvorsitzender von der Piratenfraktion, ist viel für | |
| seinen Job gelobt worden. Schließen Sie sich dem an? | |
| Für einen Newcomer im Parlament und einen jungen Menschen hat er das | |
| sicherlich ganz gut gemacht. Es gab ein paar Stellen, wo er Fehler gemacht | |
| hat: dass er etwa dem Ausschuss einen Brief mit Korruptionsvorwürfen ann | |
| Imtech vorenthalten hat, mit der Begründung, erst selbst ermitteln zu | |
| wollen. Sonst hat er sich aber schon Mühe gegeben, uns ordentlich arbeiten | |
| zu lassen. | |
| Zum Schluss eine Vision: In ein paar Jahren geht der BER doch noch in | |
| Betrieb, und wie es der Zufall will, sitzen Sie im Flieger neben Klaus | |
| Wowereit. Verwickeln Sie ihn in ein Gespräch über seine Verantwortung in | |
| diesem ganzen Desaster? | |
| Das würde ich natürlich tun. Und ich glaube, er wird in ein paar Jahren zu | |
| der Einsicht gekommen sein, dass man das alles als Aufsichtsratschef viel | |
| besser und qualifizierter hätte organisieren müssen. Herr Wowereit ist ja | |
| ein kluger Mensch. | |
| 2 Jun 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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