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# taz.de -- Berlins SPD wählt neuen Vorsitzenden: Müller macht jetzt alles
> Mit 81 Prozent wählt die Berliner SPD den Regierenden Bürgermeister zum
> Parteichef – und segnet damit dessen Putsch ab.
Bild: Michael Müller nach seiner Wahl zum Berliner SPD-Chef
Berlin taz | Am ersten Mai-Wochenende zeigte Berlins SPD einen Hauch von
revolutionärem Geist: Die 240 Delegierten segneten am Samstag Michael
Müllers spontanen Griff nach dem Parteivorsitz ab, den man auch Putsch
nennen könnte. Müller, der auch Regierungschef der Berliner rot-schwarzen
Koalition ist, erhielt bei der Wahl zum Parteichef 81,7 Prozent der
Stimmen. Er hatte keinen Gegenkandidaten – mehr.
Erst vor gut zwei Wochen hatte Berlins Regierender Bürgermeister erklärt,
auch den Landesvorsitz seiner Partei übernehmen zu wollen. Den hatte seit
vier Jahren Jan Stöß inne. Müllers Vorstoß war allen Dementis zum Trotz
eine Retourkutsche: Stöß wiederum hatte 2012 Müller, der zu jener Zeit
Stadtentwicklungsenator war, als Parteivorsitzenden in einer
Kampfkandidatur abgelöst.
Im September sind Abgeordnetenhauswahlen in Berlin. Deswegen kam Müllers
Vorstoß überraschend: Allgemein war davon ausgegangen worden, dass so kurz
vor dem Wahltag keine grundsätzlichen Personalveränderungen anstehen
würden, damit keine Unruhe in der Partei entsteht. Doch Müller hatte den
Zeitpunkt perfekt gewählt; genau um jene Unruhe zu verhindern, verzichtete
Stöß einen Tag nach Müllers Ankündigung auf eine erneute Kandidatur. Stöß'
Unterstützung in der Partei war allerdings auch nicht mehr so groß, wie er
das gerne darzustellen suchte.
Müller ist damit entgültig zum starken Mann in der Berliner SPD geworden.
Im Herbst 2014 hatte er den parteiinternen Mitgliederentscheid um die
Nachfolge von Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister klar gewonnen –
gegen Stöß und den Fraktionschef Raed Saleh. Im Dezember 2014 wurde er
Regierungschef in Berlin; einige Zeit später übernahm er den
Aufsichtsratsvorsitz bei der Flughafengesellschaft, die den Bau des
Pannenairports BER verantwortet. Längst hat er inzwischen wieder Frieden
geschlossen mit Fraktionschef Saleh. Mit Stöß schaltete Müller nun den
letzten relevanten Widersacher entgültig aus und nahm Platz auf den
Parteichefsessel. Zu guter Letzt kürte ihn der Parteitag am Samstag in
nicht geheimer Wahl auch noch zum Spitzenkandidaten für die
Abgeordnetenhauswahl. Mit zwei Gegenstimmen.
## Es wird eine rustikale Zeit
Diese Konzentration auf ihn sei nötig, so Müller in seiner Rede vor der
Wahl, um den zu erwartenden harten Wahlkampf durchzustehen: „Es wird eine
rustikale Zeit werden“, erklärte Müller. Deswegen müssten die Krafte
gebündelt und gezeigt werden, dass „Senat und SPD sich gemeinsam den
Herausforderungen der wachsenden Stadt“ stellen. Es werde vor allem darum
gehen, der AfD Paroli zu bieten: „Wir müssen kämpfen gegen diese Spalter in
unserer Gesellschaft.“ Von Berlin müsse am 18. September das Signal
ausgehen: „Rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien passen nicht zu
Berlin.“
Die mit viel Applaus bedachte Kampfansage ist auch nötig, um vielleicht
doch noch eine von Müller eigentlich abgelehnte Koalition aus drei Parteien
zu verhindern. Denn die politische Situation vor der Wahl ist den zwei
aktuellsten Umfragen zufolge sehr unübersichtlich. So sieht das Institut
Forsa die SPD bei 27 Prozent; eine tags zuvor veröffentlichte Umfrage von
infratext Dimap sie hingegen bei lediglich 23 Prozent. Ähnlich
unterschiedlich fallen die Zahlen für den aktuellen Koalitionspartner CDU
aus: 18 Prozent bei Forsa stehen 21 bei Infratest dimap gegenüber – wobei
hier weniger die unterschiedlichen Daten der Union, als deren Abstand zur
SPD erstaunt: Bei Forsa sind es neun Prozentpunkte, bei infratest dimap
lediglich zwei. Die AfD würde allen Umfragen zufolge ins Parlament
einziehen, mit sieben beziehungsweise 13 Prozent.
Müllers Wahlergebnis als neuer Parteichef wurde allgemein eher verhalten
aufgenommen. Der Regierende Bürgermeister selbst muss das erwartet haben:
„Ich habe euch einiges zugemutet in den letzten zwei Wochen“, sagte er zu
Beginn seiner Rede, und betonte, es gehe ihm nicht um „Personalspielchen“.
In Müllers Umfeld wertete man die 81 Prozent indes als besser als erwartet.
Stöß durfte zum Abschied noch einmal Bilanz seiner Arbeit ziehen – und
nutzte dies für einige kaum verhohlene Spitzen auf seinen Nachfolger: der
41-jährige Richter betonte mehrfach, wie er die Partei aus einen
Abnickverein für die Politik des Senats zu einem eigenständigen Akteur
gemacht und wesentliche politische Veränderungen angestoßen habe: von dem
laut Stöß gestärkten Einsatz für Mieter bis zur von der Basis angestoßene
Prozess der Rekommunalisierung von Wasserbetrieben. Stöß endete mit den
Worten: „Ich durfte dieser Partei vier Jahre als Vorsitzender vorstehen,
und das war mir eine Ehre.“ Dafür erhielt er tatsächlich noch mal Standing
Ovations.
30 Apr 2016
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Abgeordnetenhauswahlen 2016
Michael Müller
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SPD Berlin
Jan Stöß
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