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# taz.de -- Gesine Schwan über Sozialdemokratie: „Der SPD fehlt die Inspirat…
> Früher galt Gesine Schwan in der SPD als Rechte, heute kritisiert sie
> fehlende Abgrenzung zum Neoliberalismus. Wer hat sich bewegt, sie oder
> ihre Partei?
Bild: Uninspiriert: Die Partei der deutschen Sozialdemokratie
taz: Die Sozialdemokratie ist von Athen bis Amsterdam, von Wien bis Paris,
in der Krise. Jenseits der deutschen Grenzen ist die Lage eher noch übler.
Warum?
Gesine Schwan: Die Sozialdemokratie hat Ende der 90er Jahren keine
Alternativen zum Neoliberalismus gefunden. Sie hat vielmehr sogar einige
besonders harte neoliberale Reformen durchgesetzt. Die Akteure hielten das
damals für nötig. Sie sind dem ökonomischen Mainstream gefolgt. Die
Sozialdemokratie hat zwar inzwischen einige Korrekturen vorgenommen. Aber
es fällt ihr schwer, die damals verlorene Glaubwürdigkeit wieder zu
gewinnen.
Weil Wähler nachtragend sind?
Nicht nur. Der Mainstream ist noch immer neoliberal. Und es fällt der
Sozialdemokratie noch immer schwer, eine eigenständige Strategie zu
formulieren. Die SPD hat aus wahltaktischen Motiven nie Distanz zu Angela
Merkels Europapolitik markiert. Es ist auch nicht klar erkennbar, wo sich
die Sozialdemokratie in der Praxis wirtschaftspolitisch von den
Konservativen unterscheidet.
Also braucht die SPD einen harten Bruch? Und jemanden, der diesen klaren
Schwenk markiert, so wie Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in
der Labour Partei?
Bruch klingt mir zu hart. Die SPD braucht keine Revolution, sondern neue
effektive, machbare Antworten.
Nämlich?
Ich glaube wichtiger als eine neue neokeynesiansische Theorie ist praktisch
erfahrbare, solidarische Politik, die drei Felder verknüpft: das Kommunale,
Europa, Flüchtlinge. Matteo Renzi hat, ähnlich wie George Soros und die
portugiesische Sozialistin Maria João Rodrigues, Flüchtlingsanleihen
vorgeschlagen…
…also schuldenfinanzierte Wachstumsinitiativen…
Merkel hat sofort Nein dazu gesagt. Renzi probiert dieses Modell national
mit EU-Geld in Italien. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Projekt auf
EU-Ebene und übernational angehen müssen.
Warum nicht national?
Die Gemeinsamkeit der Nationalstaaten in der EU ist an ein Ende gekommen.
Aber die Gesellschaften verfügen über Solidaritätspotentiale. Deshalb ist
ein EU-Fonds nötig, der Gelder direkt an die Kommunen gibt, um die
Integration von Flüchtlingen zu finanzieren. Das ist eine viel
versprechende Alternative – und genau das wollen Merkel und Schäuble nicht.
Die beiden haben in den letzten Jahren eine einseitig an kurzfristigen
deutschen Interessen orientierte Politik in der EU praktiziert. Offenkundig
war dies in der Griechenland-Krise. Aber Merkel und Schäuble haben in
Europa nur eine Veto-Macht, keine Gestaltungsmacht. Sie können verhindern,
aber nicht Europa voranbringen. Ihre Politik führt nicht zu Wachstum und
sie zerstört die Solidarität in Europa. Und zwar innerhalb der EU, und nach
außen gegenüber den Flüchtlingen. Denn faktisch gibt es, nach der
Öffnungspolitik im Herbst, inzwischen eine Schließungspolitik. Es existiert
praktisch keine Möglichkeit für Flüchtlinge legal nach Europa zu kommen.
Die europäische Sozialdemokratie muss sich gegen diesen Kurs wenden. Und
verstehen, dass beides zusammenhängt. Der Mangel an Solidarität innerhalb
der EU ist die andere Seite des Mangels an Solidarität gegenüber den
Flüchtlingen.
Ist das realistische, umsetzbare Politik?
Die SPD und Gabriel können diese andere Wachstums- und Flüchtlingspolitik
derzeit vielleicht nicht durchsetzen. Aber sie sollten sie profilieren und
fordern.
Die Frage ist doch: Will Gabriel das?
Wir sollten mit ihm im Gespräch bleiben. Das ist ein sozialdemokratischer
Ansatz. Er ist transnational und zielt auf die Stärkung der
Bürgergesellschaft vor Ort. Diese Trias – Solidarität mit Flüchtlingen,
konkreter Nutzen für die Kommunen und für Bürgerengagement plus
Wachstumsimpulse – wäre auch kein Bruch, sondern für die Sozialdemokratie
ein Wechsel, der in ihrer Tradition liegt und neue Handlungsräume öffnet.
Offenbar ist die SPD-Elite als Aufsteigerpartei gar nicht mehr in der Lage
sich für solidarische, egalitäre Ideen zu erwärmen?
Moment. Der Gedanke des Aufstiegs ist tief verwurzelt in der
Sozialdemokratie. Ich verstehe vollständig, welche Rolle dieser Begriff für
Kurt Beck oder Hannelore Kraft spielt, die sozial aufgestiegen sind.
Aufstieg setzt Hierarchien voraus: Der Begriff hat nur Sinn, wenn es in der
Gesellschaft oben und unten gibt. Ich halte Aufstieg deshalb nicht für ein
Vision einer idealen Gesellschaft. Aber die SPD ist trotzdem offen für die
Idee der Solidarität. Das ist einer ihrer Grundwerte.
Warum ist die SPD dann, gelinde gesagt, zögerlich gegenüber Anleihen für
Flüchtlingsintegration?
Mein Eindruck ist, dass viele führende Sozialdemokraten so eingespannt im
Tagesgeschäft sind, dass ihnen die Ruhe fehlt, sich damit wirklich zu
befassen. Außerdem ist der Etatismus nach wie vor enorm stark in der
Partei. Der Staat ist noch immer das zentrale Instrument der SPD. Mein
Vorschlag zielt auf die EU und die Bürgergesellschaft – und umgeht den
Nationalstaat, aber er schadet ihm nicht. Ein SPD-Politiker hat mir gesagt:
Du willst mit diesem Vorschlag den Nationalstaat auflösen.
Sie sind einer der wenigen Intellektuellen, die der SPD nahestehen…
Ich bin seit 1972 in der SPD, mit ihr verbunden, aber nicht von ihr
abhängig. Der Partei den Spiegel vorhalten kann man nur, wenn man
unabhängig von ihr ist.
Warum ist die SPD, anders als früher, für Intellektuelle so unattraktiv?
Für viele Intellektuelle ist die Partei nicht fassbar. Die SPD ist
demobilisiert, ihr fehlt die Inspiration, das Ziel. Ich reise viel herum
und halte Vorträge. Mein Eindruck ist, dass eigentlich viele auf eine
Sozialdemokratie warten, die mutig ist und sich Solidarität in Europa auf
die Fahne schreibt. Die Verbindung von Gerechtigkeit, Offenheit für das
global Neue, Freiheit und Solidarität ist ein Ziel der Sozialdemokratie,
das viel Resonanz findet. Ich habe kürzlich bei einem Treffen von 500
sozialdemokratischen Kommunalpolitikern diese Ideen vorgetragen – und viel
Zuspruch bekommen. Viele fanden das verblüffend einfach und einleuchtend.
Sie gelten als SPD-Linke. Vor 30 Jahren war das anders. Da gehörten Sie zu
dem rechten Seeheimer Kreis. Wer hat sich verändert – Sie oder die Partei?
Vielleicht beide. Ich galt in den 80er Jahren als rechts, weil ich
antikommunistisch war. Ich wollte eine Entspannungspolitik auf zwei
Gleisen: mit Kooperation und Kritik. Und ich fand die Frage: Diktatur oder
Demokratie damals wichtiger als die nach Kapitalismus oder Sozialismus.
Aber sozialpolitisch war ich immer links.
***
Am Montag beginnt die SPD ihre Arbeit am Bundestagswahlprogramm für 2017
[1][mit einer „Wertekonferenz Gerechtigkeit“]. Neben SPD-PolitikerInnen wie
Sigmar Gabriel, Hannelore Kraft und Manuela Schwesig nehmen auch der der
Soziologe Heinz Bude und der Politikwissenschaftler Claus Leggewie teil.
7 May 2016
## LINKS
[1] http://www.spd.de/aktuelles/detail/news/neue-und-alte-fragen-an-die-soziald…
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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