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# taz.de -- Die Zukunft der SPD: Drei gegen Zickzack
> Ist die SPD noch zu retten und wenn ja, von wem? Zu Besuch bei Genossen
> und Genossinnen, die für Hoffnung stehen.
Bild: Ist es Zeit für einen Umbruch in der Partei? Zumindest die SPD-Wahlwerbe…
Berlin/Hannover taz | Yannick Haan muss sich wirklich Mühe geben, die SPD
heute ausnahmsweise mal zu hassen. „Ich wähle euch nicht“, zischt er der
Frau entgegen, die ihm gegenüber hinter einem weißen Resopaltisch steht.
„Wegen Hartz IV. Politik bringt sowieso nichts.“ Haan, 30 Jahre, ein
schmaler Typ mit Dreitagebart und farbloser Brille, blinzelt die junge Frau
mürrisch an.
Sie lächelt. Die SPD habe aber doch einiges korrigiert. Den Mindestlohn
eingefühlt. Haan tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Du bist
sogar als Pöbler nett“, sagt ihm seine Parteigenossin später in der
Feedbackrunde.
Yannick Haan ist der Chef eines SPD-Ortsvereins in Berlin-Mitte. Im
September wählen die Berliner das Abgeordnetenhaus neu. Dafür übt der
Ortsverein heute in Rollenspielen Wahlkampf. Wie man uferlose Gespräche am
Infostand beendet. Was man tut, wenn man von einem Thema keine Ahnung hat.
Es ist ein Dienstagabend im April, in dem Raum in einer Volkshochschule
sitzen neun Männer und drei Frauen im Neonlicht. Ein ehemaliger
Abgeordneter aus der Schweiz ist dabei und ein pensionierter Stadtdirektor
aus Westdeutschland. Aber in der Mehrheit sind Leute in Jeans um die
dreißig. Ein Bild, das in der Altmännerpartei SPD selten geworden ist.
Der Sozialdemokratie geht es dreckig, und dieser Satz langweilt ja schon,
wenn man ihn nur hinschreibt. Die SPD müht sich in der Großen Koalition ab
– Mindestlohn, Mietpreisbremse, Frauenquote –, aber die Bundestagswahl 2017
scheint schon verloren. 21 Prozent in den Umfragen, brutale Verluste in
Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt, und ganz vorne sitzt Zickzack-Siggi.
Man kann sich in diesen Tagen die Frage stellen, wer die SPD eigentlich
noch braucht.
Gesine Schwan, 72 Jahre, gehört zu einer aussterbenden Spezies. Sie ist
eine Intellektuelle, deren Biografie mit der SPD verwoben ist. [1][Sie ist
ihrer Partei treu, aber mit kritischer Distanz.] Die
Politikwissenschaftlerin kandidierte zweimal für das Amt der
Bundespräsidentin, heute arbeitet sie für eine NGO, reist herum, hält
Vorträge.
## Der SPD fehle das Ziel, sagt Gesine Schwan
„Für viele Intellektuelle ist die Partei nicht fassbar. Die SPD ist
demobilisiert, ihr fehlt die Inspiration, das Ziel.“ Bei ihren Reisen
bekommt Schwan von vielen Menschen dasselbe Bedürfnis gespiegelt. „Mein
Eindruck ist, dass eigentlich viele auf eine Sozialdemokratie warten, die
mutig ist.“
Vielleicht ist es wirklich interessanter, mal nach dem [2][Funken Hoffnung
in all dem Elend zu suchen]. Ist die SPD noch zu retten, und wenn ja, von
wem? Wie könnte eine moderne Sozialdemokratie aussehen? Um Antworten zu
bekommen, muss man sich in die Niederungen der Partei begeben.
Zu einem Basisgenossen in Hannover, der von der SPD zur Linkspartei
wechselte – und wieder zurückkam. Zu einer türkischstämmigen
Quereinsteigerin, die Integrationsministerin in Baden-Württemberg war. Und
zu Yannick Haan, dem 30-jährigen Ortsvereinschef aus Berlin, der im
Rollenspiel so sympathisch scheitert.
Haan hat ein Buch über Digitalisierung geschrieben. In seinem Job managt er
das Projekt „Hack Your City“, das mit virtueller urbaner Kommunikation
experimentiert. Haan kennt sich mit zwei Sachen gut aus, die nicht
unbedingt zusammenpassen: mit dem Internet und mit der SPD.
Als er 2009 eintrat, gründete er die AG Netzpolitik. Zum ersten spontanen
Treffen kamen gleich 50 Leute. Er war 23 Jahre alt und glaubte, dass die
Parteispitze begeistert sein würde. Die Berliner SPD leidet ja nicht gerade
unter einem Ansturm junger Engagierter. Doch der Landesvorstand setzte von
oben eine Chefin der AG ein. „Die hatte keine Ahnung von Netzpolitik und
kam auch nur einmal zu uns.“
## Viel großartiges Gestern
Das wäre ein erster Tipp von Haan für seine Partei. Die SPD müsse ja nicht
gleich wie ein Start-up-Unternehmen auftreten, sagt er. Aber etwas weniger
Kontrolle wäre schon gut.
Nur 7 Prozent der gut 440.000 SPD-Mitglieder sind unter dreißig. Es treten
zwar jeden Monat ein paar Hundert Jüngere in die SPD ein. Aber viele
scheitern an den Abstoßungskräften des Apparats. Im Ortsverein treffen sie
oft auf Rentner, die beraten, wie viele Bratwürste man für das Sommerfest
braucht.
Haan postet auf seinem Blog Modefotografie und Bilder aus dem
Bernie-Sanders-Wahlkampf. Er sagt: „Die Welt hat sich seit den 70er Jahren
verändert. Die SPD-Parteiorganisation ist noch fast die gleiche.“ Der
Ortsverein ist ein Mythos der SPD-Geschichte. Zu Willy Brandts Zeiten gab
es eine Million Genossen, jetzt ist es knapp die Hälfte. Eine Umfrage
zeigte 2010, dass jeder zweite Ortsverein politisch faktisch inaktiv war.
Es gibt in der SPD viel heroische Vergangenheit, viel großartiges Gestern.
Davor erscheint das Heute, erscheinen SPD-Chef Sigmar Gabriel, aber auch
Yannick Haan und seine Genossen irgendwie immer klein.
Seit ein paar Wochen ist Haan Vorsitzender der Abteilung SPD Alexanderplatz
mit 156 Mitgliedern. Er will den Job anders machen. „Wir brauchen Formate
für Leute, die keine Lust auf drei Abendsitzungen in der Woche haben“, sagt
Haan. Dafür würde er auch gern das Internet effektiver nutzen. Doch die
Mails an seinen Genossen kann er nicht selbst abschicken, sondern muss sie
über den Landesverband senden. Bei Fundraising eine
Paypal-Bezahlmöglichkeit per Mail zu verschicken überfordert die SPD
ebenfalls. Für einen Digital Native, der Vorträge bei Bloggerkonferenzen
hält, ist das ziemlich rätselhaft.
## Warum ist ein Internetnerd in der SPD?
Was will so einer überhaupt in der SPD? Warum ging er nicht zu den Piraten?
„Da sind sich doch alle einig, wenn es um das Urheberrecht geht“, sagt er.
In der SPD müsse er sich mit Künstlern darüber streiten. Das Schöne an der
SPD sei die Reibung, die entsteht, wenn sich verschiedene Gruppen einigen
müssen. Volkspartei halt.
Und in der SPD hat er mehr politischen Einfluss als bei Amnesty oder
Greenpeace, auch wenn die vielleicht als hipper gelten. Haans Ideal ist ein
Ortsverein der österreichischen SPÖ, den ein paar junge Genossen kaperten.
„Die entwickeln dort erfolgreiche Kampagnen – wie eine NGO.“
Yannik Haan will beides: Hacker-Convention und Volkspartei. Dinge einfach
anpacken und die Macht, sie durchzusetzen.
Haan hat ein Jahr bei einem SPD-Bundestagsabgeordneten gearbeitet. Dann ist
er ausgestiegen. Bei der üblichen SPD-Karriere läuft das anders.
Sie beginnt mit einem Politik- oder Jurastudium. Man wird Referent bei
einem Abgeordneten, mit Glück darf man irgendwann per Landesliste in den
Bundestag einziehen. Am Ende ist man dann Hubertus Heil.
Die SPD wirkt auch deshalb so farblos, weil ihre Funktionäre ähnliche Wege
gegangen sind. Die Erkenntnis, dass eine vitale Organisation Vielfalt
braucht, ist in der SPD noch recht frisch; dass eine Partei von weißen
mittelalten Männern in mehr oder weniger gut sitzenden Anzügen keine Partei
von morgen sein kann.
Gesine Schwan würde gern sehen, wie die SPD den Internationalismus
wiederentdeckt. Europa ist für sie zentral, wenn sie über die SPD
nachdenkt. Schwan hält es für einen Fehler, dass die SPD nie Distanz zu
Angela Merkels Europapolitik entwickelte. Und dass sie nichts gegen die
Schließungspolitik der EU gegen Flüchtlinge unternimmt. „Der Mangel an
Solidarität innerhalb der EU ist die andere Seite des Mangels an
Solidarität gegenüber den Flüchtlingen.“
Schwan schlägt zum Beispiel einen EU-Fonds vor, der Geld direkt an Kommunen
gibt, um die Integration von Flüchtlingen zu fördern. Das wäre ein
ursozialdemokratischer Ansatz. Er stärkt die Bürgergesellschaft vor Ort und
zeigt, dass die EU kein Bürokratiemonster ist. Angewandter Keynesianismus.
Aber die Frage ist doch: Will Sigmar Gabriel so etwas überhaupt? „Wir
sollten mit ihm im Gespräch bleiben“, sagt sie. Was für ein schöner Satz.
Nur Reden hilft, so aussichtslos es auch scheinen mag. Auch das ist sehr
sozialdemokratisch.
## Jung, türkischstämmig, schlagfertig
Bilkay Öney, 45 Jahre, legt in einem Café in Berlin-Kreuzberg 28 eng
bedruckte Seiten in einer Klarsichthülle auf den Tisch. So, bitte lesen.
Das ist ihre Bilanz als Integrationsministerin in Baden-Württemberg, vom
abgeschafften Gesprächsleitfaden in Einbürgerungsverfahren bis zum
Integrationsgesetz.
Öney ist das, was man im Politbetrieb eine Quereinsteigerin nennt. Sie
arbeitete als TV-Journalistin für einen staatlichen türkischen Sender in
Berlin, bis die Grünen sie 2006 ins Abgeordnetenhaus schickten – als
integrationspolitische Sprecherin.
Eine junge Frau, türkischstämmig, hübsch und schlagfertig, solche Attribute
sind interessant für Parteien. Öney wechselte dann noch im Abgeordnetenhaus
zur SPD. 2011 holte Baden-Württembergs Landeschef sie von Berlin nach
Stuttgart. Als erste Integrationsministerin der SPD in Deutschland.
Ein Ministeramt nach fünf Jahren professioneller Politik, das ist eine
steile Karriere. Wenn man so will, ist Bilkay Öney das sehr lebendige
Beispiel dafür, dass die SPD gelernt hat. Dass die Partei langsam, aber
sicher Diversity versteht.
Öney nippt am schwarzen Tee, gerade hat sie beim Bäcker nebenan Börek mit
Spinat und Hackfleisch organisiert. Wie wurde sie in Stuttgart empfangen?
„Die Widerstände waren riesig. Die CDU schoss sich schnell auf mich ein,
aber auch in meiner Partei gab es Bedenken. Ich musste von Anfang an
Leistung bringen.“
Das Prinzip, nach dem Ämter vergeben werden, ist in der SPD oft: Wer am
längst sitzt, gewinnt. Die SPD Baden-Württemberg hatte 2011 wenige Posten
zu verteilen, Öney war die türkischstämmige Neue aus Berlin, die an allen
vorbeizog. Kurz: die maximale Provokation.
Frau Öney, hat die SPD verschlafen, wie wichtig Migranten als Zielgruppe
sind?
„Die SPD war die Partei, die Migranten früh etwas anbot. Eine
Kümmererpartei, die an kleine Leute dachte und Aufstieg durch Bildung
versprach.“ In der SPD dachte man lange: Die Migranten wählen uns sowieso.
Selbst wenn es unter den 50 Spitzengenossen der Partei 2009 keinen einzigen
mit Migrationshintergrund gab.
Öney spricht in dem Kreuzberger Café schnell, unverstellt und ehrlich. So
ehrlich, dass man später einen Gedanken nicht mehr loswird: Diese
Politikerin redet sich um Kopf und Kragen, wenn das Aufnahmegerät nur lange
genug läuft.
Aber da steckt man schon wieder in der Denkschule der Berlin-Mitte-Politik.
Viele wichtige SPDler sprechen Funktionärsdeutsch, eine seltsam wolkige,
nichtssagende Floskelsprache, in der sich Keywords wie „soziale
Gerechtigkeit“ wiederholen.
Bei Öney ist es einfach so: Man hört ihr gerne zu. Ihre Stimme werde in der
Landespolitik fehlen, schrieb die Stuttgarter Zeitung gerade über sie. Weil
die SPD in Baden-Württemberg aus der Regierung flog, ist Öney bald nicht
mehr im Amt.
Sie sagt über die SPD: „Wenn du eine Wahl gewinnen willst, musst du die
hellsten Kerzen auf die Torte stecken. Damit tut sich meine Partei manchmal
schwer.“ Die Ziele der SPD seien richtig, aber das Wording sei veraltet.
„Wenn die SPD ein Lied ist, darf die Melodie nicht immer nur Polka sein.
Wir brauchen Punk, HipHop, Rock, Klassik – und von mir aus auch Polka.“
## Ein Arbeiter wählt heute CDU oder AfD
Wobei das Lied der SPD ja leider keine erkennbare Melodie mehr hat. Ihre
Wähler fürchten sich vor der Globalisierung, aber kein noch so starker
Nationalpolitiker könnte sie aufhalten. Wählermilieus und ihre Bindung an
Parteien lösen sich auf. Ein Arbeiter wählt heute CDU oder AfD. Und dann
natürlich noch das Agendadebakel.
Die Sozialdemokratie habe Ende der Neunziger keine Alternative zum
Neoliberalismus gefunden, sagt Gesine Schwan. Stattdessen setzte sie unter
Gerhard Schröder harte neoliberale Reformen durch, Steuersenkungen für
Reiche, Strafen für Arbeitslose. „Der Mainstream ist immer noch neoliberal.
Und es fällt der Sozialdemokratie noch immer schwer, eine eigenständige
Strategie zu formulieren.“
In Österreich schimmert auf, was einer entkernten, in Großen Koalitionen
gebunden SPD drohen könnte. Bei der Bundespräsidentenwahl düpierte Norbert
Hofer, der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ, die Bewerber der
Volksparteien. Für den SPÖ-Mann stimmten nur 11,3 Prozent der Menschen. 72
Prozent der Arbeiter votierten für die Rechten. Ein fernes, aber nicht
ausgeschlossenes Schreckensszenario.
Der Gedanke, was in Deutschland ohne SPD los wäre, ist übrigens ein
ziemlich bedrückender. Die Sozialdemokraten machen sie an Merkels Seite
vernünftige Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Der Mindestlohn war nichts
anderes als ein satter Lohnaufschlag für die Leute, die es am Nötigsten
haben. Eine schwarz-grüne Regierung würde anstehende Verteilungskämpfe
anders lösen. Aber das glaubt der SPD niemand mehr.
## Ausgetreten, aber zurückgekommen
Roland Schmitz-Justen bekommt von der SPD jeden Monat 202 Euro
Aufwandsentschädigung, 54 davon überweist er freiwillig zurück an die
Partei. Schmitz-Justen, 48 Jahre, schwarze, schulterlange Locken, schwarzes
Punk-Band-T-Shirt, ist der Chef der SPD-Bezirksratsfraktion in Hannovers
Stadtviertel Südstadt-Bult. Sechs bis sieben Stunden Arbeit die Woche
bedeutet das, neben seiner Stelle als Heilerzieher und Betriebsrat in einem
Betrieb für Behindertenhilfe.
Schmitz-Justen zieht vor seiner Haustür die Schuhe aus und geht noch
schnell in die Küche, Kaffee machen. Dann erzählt er, warum er aus der SPD
ausgetreten, aber zurückgekommen ist. Schmitz-Justen ist der verlorene Sohn
der Sozialdemokratie.
2004 war ein wichtiges Jahr für ihn. Sein Sohn Oskar kam zur Welt, und er
brach mit seiner Partei. „Der Austritt war für mich ein großer, auch
schmerzhafter Schritt.“ Mit 16 war er zu den Jusos gegangen, bisschen
saufen, bisschen Politik machen, bisschen Maul aufreißen – seitdem war er
Sozialdemokrat. Doch dann drückte Gerhard Schröder die Agenda 2010 und die
Hartz-IV-Gesetze durch.
Schmitz-Justen stützt in seinem Sessel die Unterarme auf die Oberschenkel.
„Am schlimmsten finde ich, dass diese Gesetze arbeitslose Menschen
bestrafen.“ Menschen, die nicht funktionierten, zu sanktionieren, das
widerspreche dem freiheitlichen Gedanken, für den die SPD stehe.
## Der „kleine Mann“
Also steckte Schmitz-Justen seinen Parteiausweis in einen Briefumschlag und
schickte ihn an den Stadtverband Hannover. Der Brief kam zurück. Zu wenig
Porto, vielleicht hofften die Genossen aber auch noch auf einen
Stimmungswechsel. Schmitz-Justen lacht laut, wenn er sich daran erinnert.
Wenn Spitzenfunktionäre über den „kleinen Mann“ sprechen, der SPD wählen
müsse, dann könnten sie damit jemanden wie Schmitz-Justen meinen. Er hat
zwei Söhne, verdient nicht viel, spielt Fußball, und an seine Mietwohnung
in dem Klinkerbau „Hochhaus Glückauf“ aus den Zwanzigern wurde neulich ein
Balkon angebaut. Nur die Tür fehlt noch, der Vermieter hat vergessen, sie
genehmigen zu lassen.
Bei der WASG – der linken Neugründung im Westen, die später in der
Linkspartei aufging – merkte Schmitz-Justen schnell, dass sie keine bessere
Sozialdemokratie werden würde, wie er erhofft hatte. Zu sektiererisch, wer
etwas werden wollte, musste sich mit dem linksdogmatischen Chef des
Landesverbandes gut stellen. Schmitz-Justen und andere Ex-SPDler galten als
Parteirechte, sie wurden beschimpft.
Schmitz-Justen sagt: „Als Rechter bei den Linken wurde ich von vielen wie
ein Verräter behandelt. Als Linker in der SPD bin ich für alle ein
Genosse.“
In seinem Ortsverein Südstadt-Bult sind die Erfolge konkret. Sie haben eine
Integrierte Gesamtschule in der Südstadt durchgesetzt. Gute und schlechte
Schüler lernen gemeinsam, sägen in der Holzwerkstatt oder spielen Rugby.
Schmitz-Justen hat seinen Sohn angemeldet. „Wer Kinder früh trennt, braucht
sich später über eine ungleiche Gesellschaft nicht zu wundern.“
## Als er an den Linken verzweifelte, kam er zurück
Wenn Schmitz-Justen so über sich und die SPD redet, in seinem gelb
gestrichenen Wohnzimmer mit Schrankwand und Aquarium, dann wird schnell
klar: Da glaubt jemand wirklich an das Gute im Menschen und an die
Richtigkeit von Politik, und zwar auf eine ganz und gar unzynische Art und
Weise.
Was hält er von Sigmar Gabriel? „Gabriel steht für nichts. Er ist der
Prototyp einer Funktionärsgeneration, die auf Lobbyisten hört, aber nicht
auf die Leute vor Ort. Doch mit diesem Politikstil werden wir bald Schluss
machen.“ Schmitz-Justen findet, die SPD muss wieder linker werden.
Die Sozialdemokratie werde den Wechsel nach Gabriel organisieren, sagt er.
„Meine SPD wird auch diese Generation von Politikfunktionären überleben.“
Als Schmitz-Justen damals klar wurde, dass er mit der Linken fertig war,
dachte er über seine Alternativen nach. Eine sympathische Spaßpartei ohne
politischen Einfluss wie die Satiretruppe „Die Partei“? Oder zu den Grünen?
Die seien vor Ort eine Partei für Besserverdiener, die auf
Hartz-IV-Empfänger herabschaun, die billige Milch bei Aldi kaufen, sagt er.
Dieser Blickwinkel machte für ihn den Unterschied zur SPD aus. Er füllte
einen Mitgliedsantrag aus, es gab ein paar Fragen im Ortsverein, dann war
er wieder dabei. Die Beziehungspause habe ihn enorm weitergebracht,
politisch und persönlich, sagt er.
Das ist doch mal eine kleine gute Nachricht für die SPD. Viele flüchten vor
ihr, keine Frage. Aber offenbar kann sie auch eine Partei zum Zurückkommen
sein.
8 May 2016
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
Ulrich Schulte
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Gesine Schwan
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