Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zukunft der SPD: Plötzlich lieben alle Sigmar
> Mehrere Spitzengenossen bringen Sigmar Gabriel als SPD-Kanzlerkandidat
> ins Spiel. Doch hinter dem Lob stecken auch nüchterne Erkenntnisse.
Bild: Da geht‘s lang: Gabriel weist der SPD den Weg – aber folgt sie auch?
BERLIN taz | Für Sigmar Gabriel muss das ein neues, beunruhigendes Gefühl
sein. Schließlich ist der SPD-Vorsitzende Häme gewohnt, auch aus seiner
eigenen Partei. Doch plötzlich überschütten ihn Spitzengenossen mit Lob.
Da wäre zum Beispiel der Hesse Thorsten Schäfer-Gümbel, der am Montag im
Berliner Willy-Brandt-Haus erzählt, was die SPD gerade bewegt. „Wir sind
hoch erfreut über den Erfolg unseres Parteivorsitzenden“, sagt
Schäfer-Gümbel also. Jener habe Finanzminister Wolfgang Schäuble mehrere
Milliarden Euro abgerungen und „wesentliche Eckpunkte“ für das Sozialpaket
der SPD erreicht.
So geht es im Moment ständig. Lob für Gabriel, wohin man schaut.
Schäfer-Gümbel hält ihn für den „richtigen Mann an der Spitze“. Olaf
Scholz, der mächtige Hamburger, hebt im Handelsblatt hervor, dass die SPD
die meisten Ministerpräsidenten stellt, was „keine schlechte Bilanz“ sei.
Auch Ralf Stegner, SPD-Bundesvize und Wortführer des linken SPD-Flügels,
stimmt ein. „Sigmar Gabriel wäre ein guter Kanzlerkandidat“, sagt Stegner
am Montag der taz. „Wenn er antreten will, hat er als Vorsitzender den
ersten Zugriff.“
Alle drei Sozialdemokraten sind Vizevorsitzende im Bund, ihr Wort gilt
viel. Findet die SPD ihren Chef, mit dem sie oft hadert, plötzlich gut? So
gut, dass er 2017 gegen Angela Merkel antreten soll? Nun, man darf da etwas
misstrauisch sein.
## „Weil er es ist“
Gabriels 74-Prozent-Ergebnis auf dem SPD-Parteitag im Dezember war eine
Klatsche, und sie wirkt nach. Darin drückte sich die Unzufriedenheit der
Partei überdeutlich aus. Auch die Wahlen liefen für die SPD – und damit
ihren Vorsitzenden – schlecht. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt
musste sie sich vom Anspruch verabschieden, Volkspartei zu sein. Der Erfolg
von Malu Dreyer kann ihre strukturelle Schwäche kaum übertünchen. Dann wäre
da Gabriels Unstetigkeit, die für viele Sozialdemokraten nach wie vor
schwer zu ertragen ist. Gerade Linke finden seinen Kurs problematisch.
Aber wahr ist auch: Gabriel ist für die SPD nicht leicht zu ersetzen.
Erstens ist er nicht so schlecht, wie viele behaupten. Zweitens fehlt die
Alternative. Wichtige Sozialdemokraten wie Scholz oder Andrea Nahles, die
Arbeitsministerin, sind im Moment in ihren Ämtern gebunden. Sie haben
offensichtlich wenig Lust, sich in einem aussichtslosen Wahlkampf 2017 zu
verbrennen. Gegen Merkel war ja bisher auch kein Kraut gewachsen.
„Sigmar Gabriel bleibt nach den Landtagswahlen Chef“, sagte ein Stratege
aus der Fraktion schon vor Wochen voraus. „Auch deshalb, weil er es ist.“
Gabriel, so die Lesart, hat die Partei auf seinen Kurs und die kommende
Wahl ausgerichtet – dann soll er sich auch die Niederlage gegen Merkel
abholen. Und, auch das denken viele Sozis: Wenn sich bis Ende 2016 noch
eine bessere Variante auftut als ein Kanzlerkandidat Gabriel, dann kann man
sie ja immer noch nutzen.
Doch hinter dem Lob steckt nicht nur Kalkül, sondern auch Respekt. Viele
der Komplimente sind durchaus ernst gemeint. Gabriel fordert seit Monaten,
der Staat müsse mehr Geld in die Hand nehmen, um die Integration der
Geflüchteten voranzutreiben. Sein neuestes Projekt, ein Sozialpakt für
Deutsche und Flüchtlinge, spricht die Seele vieler Genossen an. Am Montag
wird ein handfester Erfolg bekannt. Die Regierung plant im Haushalt 2017
mehrere Milliarden Euro zusätzlich ein, zum Beispiel für sozialen
Wohnungsbau. Dieser Plan trägt eine sozialdemokratische Handschrift, vor
allem Gabriel hatte darauf gedrängt.
## Zuspruch im linken Flügel
Solche Erfolge begeistern auch den linken SPD-Flügel. Die SPD müsse Fragen
der sozialen Gerechtigkeit wieder stärker in den Mittelpunkt rücken, sagt
Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken. „Mit der
Haushaltseinigung ist ein erster, wichtiger Schritt getan worden – an
diesem Punkt dürfen wir jetzt aber nicht stehen bleiben.“ Die SPD müsse die
politische Kraft sein, die Investitionen in den Zusammenhalt durchsetze.
Das ist in der Tat neu nach den verlorenen Wahlen. Gabriel akzentuiert
klassisch sozialdemokratische Themen stärker. Bisher ging es in
Thesenpapieren oft um die arbeitende Mitte der Gesellschaft, jetzt geht es
auch um arme Menschen. Schäfer-Gümbel sagt, dass das Flüchtlingsthema „wie
ein Brennglas“ andere Probleme hervorgehoben habe, die schon lange da
seien. Die SPD werde sich in der Koalition und im Wahlkampf 2017 dem
sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft widmen – „als zentrales Thema“.
Vor allem die Wählerverluste an die AfD treiben die Genossen um. Die Zahlen
der Umfrageinstitute beweisen, dass die SPD in den drei Landtagswahlen
deutlich an die Rechtspopulisten abgab. Johannes Kahrs, Sprecher des
Seeheimer Kreises, bekommt im Wahlkreis immer wieder Sätze zu hören, die in
etwa so klingen: Für Banken und Flüchtlinge tut ihr alles – für uns nichts.
Kahrs findet Gabriels Strategie richtig, dem Vorurteil mit konkreter
Politik vorzubeugen: „Viele Menschen fühlen sich sozial benachteiligt. Es
ist klug, sich Gedanken zu machen, wie man sie anspricht.“ Und wie man sie
zurückholt, natürlich.
„Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.“ Diesen Satz hatte
Gabriel schon Ende Februar in einer Talkshow zitiert. Dies sagten ihm
normale Menschen immer wieder, er fürchte, „dass uns die Gesellschaft
auseinanderfliegt“, sagte er damals. Er verband dies mit der Forderung nach
einem Solidarprojekt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warf Gabriel
kurz danach „erbarmungswürdige Politik“ vor, weil sie die Not von
Flüchtlingen mit Menschen, die nicht in Not seien, verknüpfe.
Erbarmungswürdig? Jetzt wird diese Politik Realität. SPD-Vize
Schäfer-Gümbel erinnert im Willy-Brandt-Haus genüsslich daran, dass Gabriel
sich gegen Schäuble durchgesetzt habe. Und was zeichnet eigentlich einen
guten SPD-Kanzlerkandidaten aus, Herr Schäfer-Gümbel? „Erstens: Er sammelt
den eigenen Laden hinter sich. Zweitens: Er hat Visionen fürs Land“, sagt
Schäfer-Gümbel. „Und drittens: Er setzt sie nach einer gewonnenen
Bundestagswahl auch um.“
Dann fügt der SPD-Bundesvize noch hinzu: „So machen wir das.“ Zumindest
diesen Satz kann man - Stand jetzt - anzweifeln.
22 Mar 2016
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Kanzlerkandidatur
Sigmar Gabriel
SPD
SPD
Gesine Schwan
SPD
Schwerpunkt Landtagswahlen
Jens Spahn
Das Milliardenloch
Schwerpunkt Landtagswahlen
FDP
Volkspartei
Schwerpunkt Landtagswahlen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Linkspartei will Willy-Brandt-Hilfskorps: „Ab heute gehört der uns!“
Die Linke will die Armee verkleinern – zugunsten eines
„Willy-Brandt-Korps“. Nun wird gestritten, wem der ehemalige SPD-Kanzler
„gehört“.
Die Zukunft der SPD: Drei gegen Zickzack
Ist die SPD noch zu retten und wenn ja, von wem? Zu Besuch bei Genossen und
Genossinnen, die für Hoffnung stehen.
Agentur-Ideen für die Zukunft der SPD: Abwärts ist das neue Vorwärts
Eine Agentur rät der SPD, auf Wählerdemobilisierung zu setzen. Prima Idee,
aber beileibe nicht radikal genug, um die Partei zu revitalisieren.
Werbeagentur über Zukunft der SPD: „Einfach gar nicht präsent sein“
Nach der Wahl in Baden-Württemberg sucht die SPD nach Wegen aus der Krise.
„Wählerdemobilisierung“, schlägt ihre Agentur vor.
Kolumne Dumme weiße Männer: Wo bleibt dein Aufschrei, Jens Spahn?
Nach Köln haben mächtige weiße Männer ziemlich viel Quatsch zu Gesetzen
gemacht. Mehr Sicherheit für Frauen war aber nicht dabei.
Bundeshaushalt 2017: Noch hält die Null
Trotz steigender Flüchtlings- und Sozialausgaben will Finanzminister
Schäuble keine Neuverschuldung bis 2020. Mehrausgaben plant er dennoch ein.
Nach der Wahl in Rheinland-Pfalz: Alles läuft auf die Ampel raus
Nach der Wahl vermelden Politiker erste Liebeszeichen. Klöckner scheint
außen vor. Eine Koalition von SPD, FDP und Grünen zeichnet sich ab.
Nach der Wahl in Baden-Württemberg: Grün-Schwarz in Sicht
Die FDP schließt in Baden-Württemberg ein Bündnis mit Grünen und SPD aus.
Eine „Schwampel“ mit einem CDU-Ministerpräsidenten lehnt die SPD ab.
Essay Ende der Volksparteien: Der misstrauische Souverän
Die Welt erklären, das Richtige entscheiden: Immer weniger Wähler trauen
den etablierten Parteien das zu. Wie konnte es dazu kommen?
Die kleine Schwester des Charisma: So gewinnt man Wahlen
Eine Haltung zu haben, ist prima. Sie sieht gut aus, bekennt sich zur
Schwere der Zeiten und erspart lästiges Argumentieren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.