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# taz.de -- Alter und Gender im Film: Fickbar bis 40
> Frauen haben mit zunehmendem Alter in Hollywood immer weniger
> Sprechanteil. Im deutschen Film sieht es nicht anders aus.
Bild: Julia Louis-Dreyfus ist 55. Und?
BERLIN taz | Frauen haben in Hollywood nicht viel zu sagen. Eine kürzlich
erschienene Studie der Visual-Storytelling-Plattform [1][„Polygraph“
liefert dazu jetzt anschauliche Zahlen]. Sie bestätigen den Eindruck, den
viele schon lange haben: Ob vor oder [2][hinter der Kamera], Frauen sind in
der Filmindustrie stark unterrepräsentiert. Von der [3][unterschiedlichen
Bezahlung] der Geschlechter mal ganz zu schweigen.
Die „Polygraph“-MacherInnen wollen mit ihrer Erhebung Fakten in die
Diskussion über Geschlecht im Film bringen. Über 2.000 online verfügbare
Drehbücher hat das Team dafür ausgewertet. Damit knüpfen sie an ihre Studie
zum sogenannten [4][Bechdel-Test] an. Mit diesem Test kann man auf die
Schnelle selbst ermitteln, wie viel Raum Frauen im eigenen Lieblingsfilm
gegeben wird. Dafür müssen nur drei Fragen beantwortet werden: Spielen
mindestens zwei Frauen mit Namen mit? Sprechen sie miteinander? Und wenn
ja, sprechen sie über etwas anderes als Männer? Erstaunlich viele Filme wie
„Harry Potter“ oder „Avatar“ schaffen das nicht.
Die wenig überraschende Erkenntnis der „Polygraph“-Studie: Frauen haben in
Hollywood nicht viel zu sagen. In 78 Prozent der untersuchten Filme haben
Männer den größten Sprechanteil. Im deutschen Film sieht es nicht anders
aus. Julia Beerhold ist Schauspielerin, engagiert sich seit gut zehn Jahren
im Bundesverband Schauspiel (BFFS) und sieht das als „weltweites Problem.“
Zwar fehle es noch an offiziellen Zahlen für den deutschen Film, eine
vorläufige private Erhebung ihrerseits kommt aber zu einem ganz ähnlichen
Ergebnis wie „Polygraph“. Für den BFFS warf sie einen genaueren Blick auf
Erstausstrahlungen der öffentlich-rechtlichen Sender im Jahr 2016 – Frauen
kommen auch hier nur zu 27 Prozent der Sendezeit vor.
Interessanter wird es, wenn man die Kategorie Alter dazu nimmt. Kommen
Schauspielerinnen zwischen 21 und 30 Jahren noch relativ häufig zu Wort,
wenn auch nicht so oft wie ihre männlichen Kollegen, nimmt ihr Sprechanteil
mit steigendem Alter immer mehr ab. Für Männer verhält sich der Trend ganz
anders. Sie kommen im Alter zwischen 42 und 65 Jahren erst so richtig in
Fahrt.
## Mit zweierlei Maß
Dieses Phänomen nennt sich „Age Gap“ und bezeichnet einerseits das
Verschwinden von älteren Frauen von der Leinwand, andererseits den oft
großen Altersunterschied zwischen weiblichen und männlichen
ProtagonistInnen. Die amerikanische Komikerin Amy Schumer nimmt zusammen
mit den Schauspielerinnen Tina Fey, Patricia Arquette und Julia
Louis-Dreyfus diese Diskrepanz [5][in einem Video auf die Schippe].
„We are celebrating Julia's last fuckable day“, erklären sie und toasten
sich zu. Die Medien würden für jede Schauspielerin früher oder später
diesen Tag festlegen. Und Männer? „Men don't have that day. They are
fuckable forever“, scherzen sie, meinen es aber bitterernst. Der Sketch
zeigt, wie die Geschlechter mit zweierlei Maß gemessen werden: Frauen
altern nicht natürlich wie ihre männlichen Schauspiel-Kollegen. Sie werden
von den Medien und der Öffentlichkeit alt „gemacht“.
Für Frauen endet die Schauspielkarriere deshalb früher als für Männer, weiß
auch Julia Beerhold. „Für uns alle ist das ein Problem, auch mittlerweile
für mich. Wenn ich mir die Drehbücher so anschaue, dann gibt es da
vielleicht, wenn es gut geht, eine Rolle für eine Frau über 45, der Rest
sind Männer oder junge Frauen.“ Für ältere Schauspielerinnen gibt es
schlicht keine Rollen mehr.
Die Filmindustrie ist dabei symptomatisch für die Gesellschaft. Frauen
berichten oft, sie würden sich mit fortschreitendem Alter immer
unsichtbarer fühlen. Die Zahlen der Studie scheinen das zu bestätigen. Sie
zeigen auch, wer in der Gesellschaft bis heute noch die Welt erklären darf:
Weiße Männern gehobenen Alters. Wie viele ergraute Moderatoren gibt es und
wie viele weibliche Pendants?
## Wir brauchen andere Geschichten
„Sexismus ist unterbewusst und ein komplexer Vorgang“, sagt Beerhold. „Es
ist einiges passiert in den letzten 30 Jahren, aber es hat sich weniger
geändert, als wir es wahrnehmen.“ Offenbar blieb dabei ein Bereich von
Gleichberechtigung weitgehend unangetastet: Das Älterwerden.
Auf Anfrage bei der Studio Hamburg Production Group, einem der führenden
deutschen Produktionsunternehmen, die auch im Auftrag von
öffentlich-rechtlichen Sendern drehen, kam Beschwichtigung. „In unseren
Produktionen sind Schauspielerinnen über 40 durchaus stark vertreten“, so
Produktionschef Michael Lehmann. Er räumt jedoch ein, dass das Frauenbild
im Film oft nicht gerade vielschichtig ist. „Die Diskussion sollte sich
vielmehr um die Qualität drehen, facettenreiche Frauenfiguren zu entwerfen,
wie es sie zum Beispiel im französischen Film und Fernsehen gibt.“
Immerhin würde demnächst ein neuer Film mit Senta Berger im ZDF laufen.
Wann immer man auf das Problem zu sprechen kommt, dass es zu wenige
Protagonistinnen über 40 gibt, wird auf sie verwiesen. Ihre große Präsenz
scheint als Entschuldigung zu gelten.
Wie schafft man es aber, eine größere Bandbreite an Protagonistinnen in
Filme zu bekommen? Mehr weibliche Regisseurinnen könnten daran etwas
ändern. Eine Studie des [6][Vereins Bundesverband Regie] (BVR) zeigt, dass
das ZDF im Jahr 2014 gerade mal 8,4 Prozent seiner Regieaufträge an Frauen
vergeben hat. Da ist noch Luft nach oben.
30 May 2016
## LINKS
[1] http://polygraph.cool/films/
[2] /Quotendebatte-auf-der-Berlinale/!5279412
[3] http://www.lennyletter.com/work/a147/jennifer-lawrence-why-do-i-make-less-t…
[4] http://polygraph.cool/bechdel/
[5] https://www.youtube.com/watch?v=XPpsI8mWKmg
[6] /Quotendebatte-auf-der-Berlinale/!5279412
## AUTOREN
Jana Lapper
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