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# taz.de -- „La Boum“ aus feministischer Sicht: Liebeschaos und Engtanz-Fan…
> Sophie Marceau wird 50 Jahre alt. Mit dem Film, der 1980 in die Kinos
> kam, wurde sie berühmt – als Role Model und Objekt der Begierde.
Bild: Träumt sie von der Freiheit oder schaut sie nur nach dem nächsten Typen?
Also, beim Bechdel-Test fällt „La Boum“ schon mal glatt durch. Der Test,
1985 erfunden von der gleichnamigen amerikanischen Comicautorin, fragt
Folgendes ab: Gibt es in dem Film, um den es geht, zwei Frauen, die
miteinander sprechen – und zwar nicht über einen Mann?
Muss man die Frage verneinen, dann ist die Chance, dass der Film uralte und
sexistische Geschlechterstereotype vermittelt, groß. Vic und ihre
Freundinnen sprechen sehr viel miteinander – und ausschließlich über Jungs.
Durchgefallen.
Heute wird die französische Schauspielerin Sophie Marceau, eine fille de la
nation, ein französisches Nationalheiligtum, 50 Jahre alt. Die Rolle der
Vic in „La Boum“ war ihr Durchbruch, mit 14 Jahren. Der zweite Teil, „La
Boum 2 – die Fete geht weiter“, lief zwei Jahre später in den Kinos an.
Seitdem ist Marceau eine öffentliche Person und ein lebender Traum: Die
Mädchen wollten wie Vic sein, die Jungen wollten sie haben. „Dreams are my
reality“ war der Schmusesong, der die nächste Engtanzszene einleitete. Ein
Kassenschlager, der zum Klassiker wurde. Wie ist es, den Film heute noch
mal zu sehen?
Also: Bechdel-Test schon mal gerissen. Allerdings: Ist „La Boum“ – ein
Film, in dem nicht viel mehr passiert, als dass sich ein paar
Teenie-Parties aneinanderreihen und einige Liebesverwirrungen einer
Heranwachsenden und ihrer Eltern geschildert werden – tatsächlich ein Werk,
das man mit dem Bechdel-Test behelligen sollte?
## Pubertätsfilm
Schließlich geht es hier um Pubertät. Und der Pubertätsfilm ist dadurch
gekennzeichnet, dass pausenlos Geschlechterrollen und Arrangements erprobt,
debattiert und geprüft werden. Dazu kommt, dass die Komödie die Rollen gern
überzeichnet. Und: Würde man im Bechdel-Test nicht nach den Frauen-,
sondern nach den Männerrollen fragen, dann wäre der Film ebenso
durchgefallen: Auch die Jungs reden über nichts anderes als über Mädchen.
1980 gab es noch keinen Bechdel-Test. Aber über Rollenstereotype wurde
schon nachgedacht. Und Feminismus gab es auch, vermischt mit den Resten
antiautoritärer Erziehung und sexueller Revolution. Das sieht man auch. Die
Eltern von Vic sind selbstverständlich beide berufstätig, die Urgroßmutter
ist Musikerin, die immer noch in der ganzen Welt unterwegs ist – und Vic
wird vergleichsweise wenig erzogen. „Ist das hier ein Käfig?“, fragt sie.
Die Antwort ihrer Mutter: „Ja, aber die Tür steht offen.“ Die Eltern gehen
fremd, die Mutter verwüstet lustvoll den Parfümladen der Geliebten ihres
Mannes. Am Ende des zweiten Teils beschließen die Eltern gar, sich räumlich
zu trennen, weil der Vater anderswo eine Stelle findet und die Mutter nicht
mitziehen will. Die Urgroßmutter ist geradezu frivol, und sexuelle
Erfahrungen muss man doch mit 13 einfach machen dürfen „Es gibt doch die
Pille!“, wie Vic altklug bemerkt.
Dass wirkte damals womöglich lustig und zeitgemäß. Man sieht nur von heute
aus die bürgerliche Moral mit all ihren Konsequenzen dann doch überall
durchscheinen. Dass der Vater eine Geliebte hat, die von der Mutter dafür
bestraft wird, dass sie ihr den Mann „geklaut“ hat, ist sowohl unter
Slapstick abzuheften als auch ein merkwürdiger Blick auf den Mann. Der
rechtfertigt und entschuldigt sich nicht, sondern macht so lange
Hundeaugen, bis er wieder aufgenommen wird. Das ist schon sehr klassisch.
Das Ganze wiederholt sich auf der Ebene der Kinder. Der angehimmelte
Mathieu hat die Ferien nicht ungenutzt gelassen und sich mit Lydia
vergnügt. Einzige Erklärung: „Das war doch nur mal so.“ Mit anderen Worte…
Promiskuität ist bei Männern zwar nicht gern gesehen, kommt aber eben vor.
Geht die Mutter aus Rache mit dem Englischlehrer ins Bett? Unklar. Klar
dagegen ist, dass Teenie Vic keinen Sex hat.
## Eine Protagonistin ohne Eigenschaften
Das wird so deutlich, weil Vic eigentlich auch keine anderen Eigenschaften
oder Vorlieben hat. Kein Hobby, keine Interessen, ein unbeschriebenes
Blatt, ein leeres Zeichen, das nur mit einem Thema aufgeladen ist: dem
anderen Geschlecht. Wahrscheinlich nennt die Bild-Zeitung Vic deshalb eine
„Lolita“. Bild denkt sich den Rest einfach dazu. Aber er findet nicht
statt. Das kommt erst später, im inoffiziellen dritten Teil der „La
Boum“-Reihe, dem Film „Die Studentin“ von 1988. Im ersten und zweiten Teil
aber hält das bürgerliche Mädchen seine knackenge Jeans immer schön
geschlossen.
Dann die Ratschläge der so freizügigen Urgroßmutter: „Mach ihn
eifersüchtig!“– „Wenn du ihn zuerst anrufst, dann ruft er bald nicht mehr
an“ – „Eine Frau die sich hingibt, muss ein Geschenk sein – und keine
zusätzliche Belastung“. Und dann eben der Klassiker: die große Angst vor
der Schwangerschaft: „Überstürz es nicht!“ Alle haben sie Angst, dass das
Mädchen seine Jungfräulichkeit zu früh verliert. Die Pille wird zwar
erwähnt, aber nicht verschrieben. Kondome oder andere Verhütungsmittel gibt
es in der Welt von „La Boum“ nicht. Das heißt, die Frau muss ihre
Jungfräulichkeit hüten – wie eh und je.
Vic zieht es deshalb in den raren Situationen, in denen es zum Sex kommen
könnte, vor, zu verschwinden. Zugleich deutet sie die Durchtriebene an: Mit
dem einen tanzen, den Nächsten schon anschmachten, mit ihrem
unnachahmlichen Sophie-Marceau-Blick. Süß. Dreams are my reality. Träume
sind meine Wirklichkeit. Die Realität ist nicht meine Wirklichkeit.
Ein Mainstream-Mädchenträumefilm, der das weibliche bürgerliche Subjekt als
fuckable und zugleich als keusch präsentiert. Sei verführerisch, aber sei
auf keinen Fall eine „Schlampe“. Der Film drückt sehr explizit aus, was
heute verwaschener ist: Die Frau soll begehrenswert sein, aber selbst ihr
eigenes Begehren nur sehr sorgsam ausleben. Promiskuität: kommt nicht gut.
Schlampenalarm.
## Kontrolle über die Frauen
Eigentlich soll sie nur nach dem einen schmachten. Die britische Feministin
Laurie Penny hat dieses Phänomen in ihren Büchern immer wieder
thematisiert: Über die Sexualität werden Frauen kontrolliert. Besser
gesagt, über den Ruf ihrer Sexualität.
Penny drückt es soziologisch aus: Sie haben ein sexuelles Kapital, das sie
sorgsam einsetzen müssen, weil es leicht durch Inflation entwertbar ist.
Die Schlampe rückt in die Nähe der Hure, die trotz aller
Prostitutionsgesetze in unserer Gesellschaft immer noch in weiten Teilen
total entwertet ist.
Das ganze findet nicht explizit statt. Explizit gibt’s Sexualkontrolle eher
bei Einwanderern aus offenen patriarchalen Kulturen. „Jungfrauenwahn“ nennt
Güner Balcı das zum Beispiel in Bezug auf manche muslimische Community in
ihrem gleichnamigen Film. Bei den westeuropäischen Eingeborenen dagegen
wird der weibliche Körper durch das Schönheitsideal und den
Schlampenverdacht kontrolliert.
Sophie Marceau übrigens, später Bond Girl, Model für die französische
Marianne und „Film-Göttin“ (Bild), hat , es war 2009, noch einmal einen
ähnlichen Coming-of-Age-Film gedreht: „LOL“ hieß er und verfolgt die
Irrungen und Wirrungen von Lola, genannt Lol, die bei ihrer
alleinerziehenden Mutter aufwächst. Sophie Marceau spielt die Mutter. Was
hat sich in den Jahren verändert?
Es gibt mittlerweile Kondome und man hat Sex, mal guten und mal schlechten.
Freundinnen von Lola surfen auf Pornoseiten und bessern ihr Taschengeld mit
Cybersex auf. Alle kiffen. Und es ist eher die Mutter, die nicht mehr
mitkommt. „Sag mal, hast du dich da unten rasiert?“, fragt sie im Bad, voll
Entsetzen.
## Jungfrauenwahn
Aber natürlich klappern auch hier die Stereotype: die Jungs haben eine
Band, die Mädchen bejubeln sie. Die Figur der Schlampe ist keineswegs
ausgestorben, sondern an eine Platinblonde vergeben. Und die
Alleinerziehende braucht dringend einen neuen Mann. Findet zum Beispiel die
Großmutter. „Als wären wir ohne Mann verloren“, beschwert sich Sophie
Marceau. „Aber das sind wir!“, ruft die Großmutter.
Will man die beiden Filme als Gradmesser feministischen Fortschritts
betrachten, dann ist zumindest der Jungfrauenwahn weiter abgeklungen. Die
weiße Hetero- und Cisgender-Norm wird nicht infrage gestellt – und unsere
Gesellschaft signalisiert den Frauen weiterhin, dass es ohne den Einen
nicht geht.
Simpler Nachweis: Beim Bechdel-Test fällt auch der Film aus dem neuen
Jahrtausend glatt durch.
17 Nov 2016
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Teenager
Schwerpunkt Frankreich
Feminismus
Bechdel-Test
Film
Gleichstellung
Science-Fiction
Frauen im Film
Kuss
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