| # taz.de -- Science-Fiction-Film „Arrival“: Das Wort als Waffe | |
| > Regisseur Denis Villeneuve zeigt aufgeräumte Bildwelten fast ohne | |
| > Gekloppe. Stattdessen lässt er eine Linguistin den Weltfrieden sichern. | |
| Bild: Gleich treffen die Wissenschaftler auf Aliens: Filmstill aus „Arrival“ | |
| Häuser sind auch nur Raumschiffe. Meistens stationär, hängt es ganz von | |
| ihren Bewohnern ab, wie mobil man in ihnen sein kann. Die Linguistin Louise | |
| Banks zumindest kann an ihrem Schreibtisch sitzen und im selben Moment ganz | |
| woanders weilen. Warum das so ist, wird erst im Verlauf von „Arrival“ | |
| richtig klar und sollte der Pointenwahrung halber besser nicht zu | |
| detailliert wiedergegeben werden. Bis zur Auflösung gibt es für Banks | |
| jedenfalls die eine oder andere Verwirrung zu sortieren. Und eine handfeste | |
| planetare Krise zu lösen. | |
| Die Parallelen zwischen Haus und Raumschiff macht der kanadische Regisseur | |
| Denis Villeneuve in seiner Science-Fiction-Exkursion weniger am Geschehen | |
| als an den Bildern fest: Schon ganz zu Beginn lässt er die Kamera von | |
| Bradford Young langsam an der dunklen Decke von Louise Banks’ Wohnzimmer | |
| entlanggleiten, bis sie den Blick auf die breite Glasfront und die | |
| dahinterliegende Aussicht – einen See – freigibt. | |
| Ähnlich horizontal ausgerichtet wie ihr Wohnhaus erscheint auch das | |
| Raumschiff, in dem Banks wenig später im Auftrag des Militärs arbeiten | |
| wird. Am Ende eines langen dunklen Korridors, der genauso in Szene gesetzt | |
| wird wie die heimische Decke, ist da wieder eine Glasfront – jedenfalls | |
| etwas Scheibenartiges – mit einer wasserartigen Flüssigkeit dahinter. Und | |
| in der leben fremdartige Wesen. | |
| Denn darum geht es in „Arrival“: Angekommen sind Raumschiffe, zwölf an der | |
| Zahl, fast 500 Meter hoch. Wie riesenhafte finstere Eier stehen sie über | |
| die Erde verteilt in der Landschaft, genauer gesagt, schweben sie | |
| bewegungslos einige Meter über dem Boden oder Meer. Ihre Insassen geben | |
| sonderbare Laute von sich, mit denen sie sich anscheinend untereinander | |
| verständigen. Wenn es denn eine Sprache ist, was sie von sich geben. | |
| An diesem Punkt kommt Louise Banks, gespielt von Amy Adams, auf den Plan. | |
| Die Professorin erhält kurz nach der Landung der Aliens unangemeldeten | |
| Besuch vom Militär. Colonel Weber (Forest Whitaker), der bei ihr vorstellig | |
| wird, will im Grunde bloß, dass Banks die von ihm mitgebrachte Aufnahme der | |
| schnaubenden und brummenden Alien-Laute entschlüsselt, ein Dokument eines | |
| der Kontakte mit den wenig menschenähnlichen Besuchern – ihrer äußeren | |
| Gestalt wegen werden sie Heptapoden, „Siebenfüßer“, genannt. Mit dem | |
| Material soll Banks die Absichten der extraterrestrischen Gäste | |
| aufschlüsseln. | |
| Banks, die einiges von ihrem Fach versteht, jedoch nichts von dem | |
| Aliengeschnaube, insistiert darauf, zum in den USA gelandeten Raumschiff in | |
| Montana mitzukommen, um wenigstens sehen zu können, wie diese mutmaßliche | |
| Sprache artikuliert wird. Was man ihr erst verweigert. Nächstes Problem: | |
| Der schließlich hergestellte direkte Kontakt mit den Heptapoden erweist | |
| sich zunächst als unergiebig. | |
| ## Gespür fürs Unheimliche | |
| Villeneuve inszeniert diese Begegnung mit sehr feinem Gespür für das | |
| Unheimliche. Obwohl die Aliens in ihrem Vorgehen keinerlei Aggression zu | |
| erkennen geben, sehen sie allemal bedrohlich aus, auch ihre wie aus | |
| schwarzem Stein gearbeiteten, monolithischen Raumschiffe haben in ihrer | |
| fremdartig abweisenden Gegenwart etwas Lauerndes, Unberechenbares. | |
| Besonders für die Militärs. Die sehen eine globale Attacke im Aufzug und | |
| warten nur darauf, ihr Kriegsgerät endlich zu Verteidigungszwecken zum | |
| Einsatz bringen zu dürfen. Forest Whitaker hat dabei die dankbare Rolle des | |
| verständnisvollen Vermittlers zwischen Wissenschaft und Weltpolitik. Andere | |
| seiner Kollegen sind weniger geduldig. Wenn man nur endlich wüsste, was die | |
| Eindringlinge wollen! | |
| „Arrival“ bedient sich bei dem allmählichen Kommunikationsaufbau einer | |
| Theorie der Linguistik, der Sapir-Whorf-Hypothese, nach der die Struktur | |
| einer Sprache direkten Einfluss auf das Denken hat. Villeneuve nimmt diese | |
| Idee zum Anlass für eine kluge Meditation über die Grenzen der | |
| Verständigung und die Erweiterungsmöglichkeiten des Denkens durch Sprache. | |
| Die Aliens, so viel sei verraten, haben eine Schriftkultur, deren | |
| wunderschöne, kreisförmige Kalligrafie wie eine Variation auf buddhistische | |
| Ensō-Kreise wirkt. Vor allem aber können sie mit ihrem Denken einige Dinge | |
| anstellen, die Menschen vorenthalten sind. Dank ihrer nichtlinearen | |
| Sprache. Was passiert, wenn man als Mensch ihre Sprache erwirbt? | |
| Anhängern der Universalgrammatik dürften sich bei dieser Frage die | |
| Zehennägel hochstellen, oder sie würden lapidar antworten: Da passiert gar | |
| nichts, außer dass man eine weitere Sprache beherrscht. Für | |
| Universalgrammatiker steht völlig außer Frage, dass die Denkfunktionen bei | |
| allen Menschen so ähnlich sind, dass Sprachunterschiede keinen Einfluss auf | |
| die Art der Erkenntnis haben. Genau diese verbreitete Ansicht stellt Banks | |
| in „Arrival“ mit ihrem linguistischen Experiment zur Debatte. | |
| Bis ihre Hypothese im Film praktisch erprobt wird, hat Banks einige | |
| Rückschläge hinzunehmen. Amy Adams gestaltet diesen Weg der Erkenntnis, den | |
| ihre Figur zurücklegt, als staunend-schmerzhaften Prozess. Zugleich ist | |
| ihre Louise Banks von einem gewaltlos entschlossenen Streben nach Wahrheit | |
| erfüllt. Das sich weniger am Einhalten des militärischen Protokolls als am | |
| Witz des Wissens interessiert zeigt. | |
| Nur scheinbar wird ihr Wissenschaftsbegriff durch ihren kollegialen | |
| Gegenspieler Ian Donnelly (Jeremy Renner) in Frage gestellt. Donnelly, als | |
| Physiker an ihrer Seite, polemisiert anfangs, meint, die Naturwissenschaft | |
| habe Priorität vor der Sprache. Allerdings muss er bald feststellen, dass | |
| Banks mit ihrem Ansatz größere Fortschritte erzielt. Und wenn er ihr | |
| irgendwann attestiert, dass sie „wie eine Mathematikerin“ an Sprache | |
| herangehe, kann man das wohl als ein dialektisches Kompliment bezeichnen. | |
| Ohne Sprache geht es jedenfalls nicht. Merken auch die Militärs, als sich | |
| die Lage zuspitzt und der anfangs kooperative internationale Spirit – wir | |
| gegen die Aliens – in eine Abschottungshaltung umkippt. Erneut werden sich | |
| die unorthodoxen Interventionen von Banks als hilfreich erweisen. | |
| Verständigung als Mittel zur Konfliktlösung? Das wäre etwas zu einfach. Die | |
| Utopie, die „Arrival“ vorstellt, hat mehr mit dem Überwinden von geistigen | |
| Beschränkungen zu tun. Mit dem Erwerben von Perspektiven, die | |
| menschenunmöglich scheinen. Mehr darüber zu sagen, wäre Spielverderberei. | |
| Doch in ihrem Haus ist Banks den Aliens in ihrem Raumschiff am Ende | |
| tatsächlich näher, als der Speziesunterschied vermuten ließe. | |
| Versöhnlich-kumpelhaft geriert sich „Arrival“ dabei nie. Der Film blickt | |
| vielmehr mit Banks’ keinesfalls angstfreien, zugleich unbeirrbaren Augen | |
| auf die Dinge. Lediglich ein paar gefühlige Momente gönnt sich Villeneuve, | |
| wenn er die Geschichte von Banks und ihrer Tochter Hannah erzählt. | |
| Überwiegen tut hingegen die poetische Unruhe, die klischeearme Dramatik, | |
| mit der die Handlung auf ihre unerwartete Auflösung zusteuert. Der | |
| isländische Komponist Jóhann Jóhannsson unterstreicht diese Stimmung der | |
| irritierenden Ungewissheit mit wunderbar präzise gesetzten Streicherdrones | |
| und Ensemble-Klängen, die unheilvoll anschwellen, doch nie katastrophisch | |
| eskalieren. Es muss eben nicht immer Armageddon sein. | |
| 23 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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