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# taz.de -- Postkolonialismusforscherin über Wissen: „Weißsein wird als Nor…
> Die afroportugiesische Forscherin Grada Kilomba über Marginalisierte in
> dominanten Räumen, Wissen im Postkolonialismus und weiße Professoren als
> Norm.
Bild: „Wissen Dekolonisieren“: Grada Kilomba bei der gleichnamigen Performa…
taz: Grada Kilomba, Sie touren momentan mit Ihrer Perfomance „Decolonizing
Knowledge“ um die Welt. Um was genau geht es Ihnen damit?
Grada Kilomba: Ich zeige eine Collage meiner literarischen und visuellen
Arbeiten und hinterfrage die andauernde Kolonialität, in der wir leben. Ich
erkunde Fragen wie: Was wird als Wissen anerkannt? Wessen Wissen ist das?
Und wer darf überhaupt dieses Wissen produzieren? Ich möchte einen hybriden
Raum eröffnen, in dem Grenzen zwischen akademischer und künstlerischer
Sprache verschwimmen, um die Strukturen von Wissen und Macht zu
dekolonisieren.
Das klingt erst einmal etwas abstrakt. Was soll das denn sein, Wissen zu
dekolonisieren?
Damit sollen die Strukturen von Unterdrückung aufgebrochen werden.
Marginalisierte Gruppen haben immer Wissen geliefert, aber dominante Räume
haben keinen Platz gemacht, zuzuhören. Man muss anfangen, Wissen
subjektiver zu produzieren. Zu sagen, wer man ist, von welchem Standpunkt
aus man schreibt. Das ist ein Teil des postkolonialen Diskurses.
Erreichen Sie mit Ihrer Lecture-Performance überhaupt andere Menschen als
die aus der Community, die postkoloniale Ideen bereits kennt?
Es gibt ein großes Interesse und Bedürfnis, das zu machen. Und Menschen
kommen auch, weil sie sich für Film interessieren, Theater oder
Genderthemen. Sie sind manchmal erfolgreicher in Gemeinschaften als in
diesen traditionellen klassischen Räumen. Dann sind die KuratorInnen
überrascht. Auf einmal kommt ein Publikum, das sie vorher in ihrem Haus nie
gesehen haben.
Also kommen die Leute doch, weil sie Sie sehen wollen. Sie sind in einigen
Communitys sehr bekannt.
Aber es ist gut, diese Komfortzone zu verlassen und in all diesen
europäischen, südamerikanischen und afrikanischen Städten meine Performance
zu halten. Ich kam gerade aus São Paulo zurück, vorher war ich in Brüssel,
nächste Woche fliege ich nach Accra in Ghana. Wenn ich meine Arbeiten in
Häusern vorstelle, die sich normalerweise nicht mit diesen Themen
beschäftigen, übertrete ich dabei Grenzen, die zuvor geschlossen waren.
Welche Grenzen meinen Sie damit?
Dinosaurier, wie ich diese großen Museen, Theater und Kunstakademien nenne,
haben normalerweise eine Liste von Gästen, die sie stets interviewen und
einladen. Sie sind sehr an konservativere und klassische Arbeiten oder
Formate gewöhnt. Dann entdecken sie auf einmal, dass sie eine andere Welt
haben können mit einem anderen Publikum und anderer Kunst. Und dann sieht
man, dass man eine Grenze übertritt.
Was lernen die „Dinosaurier“ dabei?
Diese Institutionen lernen mit einem neuen Publikum auch ein neues Wissen
kennen. Sie werden mit Perspektiven konfrontiert, die sie vorher nicht
hatten. Und so verändert man Gesellschaft. Man besetzt und transformiert
Räume, die sich nie damit auseinandersetzen mussten. Durch die Performance,
weil sie mich im Programm haben.
Was geschieht mit einem Publikum, das zum ersten Mal Begriffe wie
„dekolonisieren“ und „Wissensproduktion“ hört?
Es schaut zu Hause vielleicht etwas nach und denkt weiter. Und informiert
sich vielleicht über Musik, Filme oder Bücher, die erwähnt wurden. Das geht
zurück zur Übung, das Zuhören zu lernen. Einfach einer neuen Perspektive
zuzuhören. Einem neuen Wissen. Und zu schauen, was dies mit einem macht.
Dafür, dass Ihre Themen recht hart sind, wirkt Ihre Performance freundlich
und ruhig. Sie lesen Texte vor, zeigen Videos und interagieren mit dem
Publikum.
Ich bin eine sanfte Person. Ich arbeite gerne mit diesem Widerspruch. Meine
Arbeit ist kein Kampf, sondern mehr eine Würdigung. Ich bemühe mich nicht,
gehört oder verstanden zu werden. Und die, die zuhören wollen, können das
gerne tun. Ich kämpfe nicht mit dem Publikum. Oder schreie, um gehört und
verstanden zu werden.
Sind Sie nicht trotzdem manchmal ungeduldig, wenn sich Ihre Ideen oder
Meinungen nicht durchzusetzen scheinen?
Wir sollten sanft sein, denn wir haben diese 500-jährige
Kolonialgeschichte. Kaum jemand in Deutschland weiß darüber Bescheid. Die
meisten hören zum ersten Mal davon, wenn sie Mitte 20 sind. Wenn man also
erst dann damit konfrontiert wurde, muss man sanft bleiben. Ich bin da
nicht besorgt. Es ist ein Prozess, dem man Platz einräumen muss, damit er
sich entwickeln kann.
Sie haben als Professorin an der Berliner Humboldt-Universität am Zentrum
für transdisziplinäre Geschlechterstudien gelehrt. Dort wird diskutiert,
eine schwarze Professur einzuführen. Wofür braucht man denn unbedingt eine
schwarze Professur?
Das liegt doch auf der Hand. An Institutionen wie der Universität müssen
wir die äußere Gesellschaft abbilden. In ihr leben viele unterschiedliche
Menschen und Gemeinschaften. Wir haben verschiedene Biografien und
Perspektiven, die darin repräsentiert werden. Wenn alle ProfessorInnen weiß
sind, braucht man definitiv mehr Diversität. Wir können nicht
Gender-Studies unterrichten in einem Institut, an dem ausschließlich
Professoren arbeiten und sagen: „Aber wir haben die Bücher gelesen und wir
unterrichten Geschlechterstudien.“ So einfach geht es nicht.
Aber dann geht es doch sehr um die eigene Identität. Man muss sich doch
nicht immer nur darauf konzentrieren.
Es ist aber unmöglich, es nicht zu tun. Weil Identität und der Weg, wie
Identitäten in der Gesellschaft platziert sind, definiert, wer Zugang zu
etwas hat. Und wer welche Fördergelder und Finanzierung bekommt. Weißsein,
wie Männlichkeit, wird als Norm und Normalität gesehen. Und das definiert
alles, beschreibt alle. Wenn wir mit Identitäten arbeiten, kann man dies
ändern. Weil man sich selbst in seiner Arbeit positionieren muss.
Glauben Sie, dass das überhaupt zu erreichen ist? Manche Dinge brauchen
mindestens eine oder zwei Generationen.
Ich weiß es nicht. Aber ich arbeite oft in London und es wird immer
normaler, dass People of Color und schwarze KünstlerInnen Teil von
Strukturen sind. Das ist in London schon relativ selbstverständlich. Und
man besetzt Räume schon auf eine andere Art.
12 Apr 2016
## AUTOREN
Marion Bergermann
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Postkolonialismus
Forschung
Mittelmeerroute
Literatur
Frauen im Film
Schwerpunkt Rassismus
Gender Studies
Critical Whiteness
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