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# taz.de -- Postkolonialismus in der Kunst: „Verlernen von Vorurteilen“
> Kampnagel blickt mit einem Festival auf postkoloniale Fragen. Die
> Intendantin Amelie Deuflhard und die Kuratorin Melanie Zimmermann im
> Gespräch
Bild: Whitefacing? Postkolonialismus in der Kunst.
taz: Amelie Deuflhard, Melanie Zimmermann, zum Auftakt der Spielzeit auf
Kampnagel beschäftigt sich das Festival „We don‘t contemporary“ mit
Postkolonialismus in der Kunst. Warum ist das wichtig?
Amelie Deuflhard: Seitdem Tausende Flüchtlinge aus ehemaligen Kolonien nach
Europa kommen, ist das Thema wichtiger denn je. Als die Kolonien aufgegeben
wurden, wurden sie politisch frei, aber es gibt weiterhin einen deutlichen
Einfluss der westlichen Welt. Es gibt eine enorme wirtschaftliche Dominanz,
aber auch eine in der Kunst, für die der Markt immer noch in Europa liegt.
Was bedeutet das für nicht-europäische Künstler?
Deuflhard: Bei ihnen gibt es einen starken Fokus auf die Frage: Wie muss
ich arbeiten und mich anpassen, damit ich fit werde für den europäischen
Markt? Das bezieht sich auch auf das Bewegungsrepertoire. In afrikanischen
Ländern zum Beispiel bewegen sich Tänzer eigentlich anders. In dem Moment,
wo es nach Europa geht, gibt es die Tendenz, sich anzugleichen und von
Europa zu lernen.
Wieso kritisieren Sie den Begriff des Zeitgenössischen in der Kunst und
damit ja auch die Idee von Entwicklung und einer eindeutigen Richtung des
Lernens?
Deuflhard: Auf europäischen Tanz- und Choreografieschulen lernen Künstler,
was wir Europäer unter Zeitgenossenschaft verstehen. Hier kommt der Begriff
her und sie passen sich an. Wir versuchen, diesen Prozess zu unterbrechen
und gucken: Wo sind interessante Künstler, die auf der Basis ihrer
Traditionen eine eigene Zeitgenossenschaft entwickelt haben? Das ist ein
ganz anderer Ansatz und wir wollen auch von ihnen lernen.
Kuratieren Sie das Festival deshalb nicht allein?
Deuflhard: Genau, wir haben mit Kokuratoren aus unterschiedlichen Ländern
zusammengearbeitet. Wir sind vor allem in Tunesien, Marokko und Westafrika
gewesen und haben uns ausgiebig mit der künstlerischen Szene dort, aber
auch mit den Produktionsstrukturen beschäftigt.
Melanie Zimmermann: Unsere Kokuratoren aus Tunesien, Burkina Faso oder
Ghana kennen sich in ihren Ländern natürlich viel besser aus und setzen
sich in ihrer Kunst ausdrücklich mit dem Begriff des Zeitgenössischen
auseinander. Denn sie erleben es als eine Art Gefängnis, immer zu fragen:
Was ist traditionell, was ist zeitgenössisch? Es sind Künstler, die eine
sehr persönliche Handschrift haben. Und sie haben ein Problem damit, als
Künstler auf ihre Herkunft reduziert zu werden.
Welche Strategien haben diese Künstler entwickelt, um mit diesem
Herkunfts-Labeling umzugehen?
Deuflhard: Sie schaffen sich eigene Netzwerke und werden so autonomer. Ein
solch informelles Netzwerk ermöglicht einen anderen Auftritt, sie können
Künstler untereinander empfehlen und fokussieren sich auf Arbeiten, die sie
selbst entwickelt haben. Sie wollen ihre Stücke nach Europa bringen, aber
nicht, indem sie sich an europäische Stile anpassen.
Zimmermann: Das Choreografenpaar Aïcha M’Barek und Hafiz Dhaou zum Beispiel
hat ein Netzwerk entwickelt, das von Marokko über Ägypten bis in den
Libanon reicht. Der Film- und Tanzkurator Alex Moussa Sawadogo wiederum
berät das Internationale Filmfestival von Locarno und hat in Berlin das
Festival „Afrikamera“ entwickelt. Er ist gut vernetzt und hat mit uns
gemeinsam ein Filmprogramm zusammengestellt, das auf das Festivalthema
reagiert und trotzdem eigene Handschriften reinbringt.
Welche Rolle spielt da der Kolonialismus?
Zimmermann: Aïcha M’Barek und Hafiz Dhaou haben gemeinsam mit uns auch eine
Konferenz entwickelt. Zusammen mit Mariem Guellouz, einer Kuratorin aus
Tunesien, haben wir das Programm gestaltet. Dort wird zum Beispiel die
portugiesische Theoretikerin und Künstlerin Grada Kilomba darüber sprechen,
inwiefern die Sprache immer ein Zeichen kolonialer Macht ist. Aber etwas
vermitteln zu wollen, widerspricht eigentlich dem Konzept. Die Frage ist
ja: Wer lernt etwas von wem? Es geht eher um ein Verlernen von Vorurteilen.
Dafür wollen wir erst mal grundsätzlich sensibilisieren.
Deuflhard: Das Thema ist kompliziert, aber wir haben Arbeiten im Programm,
die auf einer sinnlichen Ebene gut transportierbar sind. Es ist kein
Theorie-Kunst-Programm. Der südafrikanische Regisseur Brett Bailey etwa
verlegt Verdis Oper „Macbeth“ in den Bürgerkrieg im Kongo. „Macbeth“ i…
großes sinnliches Musiktheater, aber von Brett Bailey so inszeniert, dass
das Stück für europäische Sehgewohnheiten durchaus ungewöhnlich,
aufwühlend, aber gleichzeitig auch sehr berührend ist.
Zimmermann: Wir sehen eine andere Körperlichkeit, auch wenn die Tänzer
nicht versuchen, typisch kongolesisch oder typisch südafrikanisch zu sein.
Bouchra Ouizguen wiederum – eine der bekanntesten Choreografinnen Marokkos,
die die erste zeitgenössische Tanzcompagnie dort gegründet hat – wird in
einem Workshop zu ihren zehn marokkanischen Tänzerinnen noch Hamburgerinnen
dazuholen, die Lust haben, eine ebenso archaische wie zeitgenössische
Bewegungssprache zu lernen. Die Vorstellung „Corbeaux“ werden sie gemeinsam
im Kampnagel-Foyer vor dem wartenden Publikum aufführen.
In welchem Zusammenhang steht die aktuelle Flüchtlingskrise mit
postkolonialen Fragen?
Deuflhard: Es gibt kein Thema, bei dem lokale und globale Probleme so eng
miteinander verbunden sind wie beim Flüchtlingsthema. Wir bearbeiten es
seit mehreren Jahren intensiv, unter anderem mit der „Ecofavela“.
Der Nachbau der Roten Flora auf dem Kampnagel-Gelände, in dem fünf
Flüchtlinge den vergangenen Winter verbracht haben.
Genau und wir werden das Thema auch in dieser Spielzeit systematisch mit
unterschiedlichen Produktionen weiter begleiten. Dieses Thema wird uns auch
in den nächsten 20 Jahren noch beschäftigen und als Kunstort haben wir die
Möglichkeit, die Diskussion darüber immer wieder anzustoßen.
18 Sep 2015
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Theater
Kino
Schwerpunkt Rassismus
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