| # taz.de -- Theaster Gates im Kunsthaus Bregenz: Die Handtasche und der Teer | |
| > In der Ausstellung „Black Archive“ zeigt Theaster Gates Gegenstände | |
| > seines schwarzen Umfelds. Vor Kitsch und Klischees schreckt er nicht | |
| > zurück. | |
| Bild: Das gigantische „Tar Baby“ ist nur eine der Monstrositäten der Ausst… | |
| BREGENZ taz | Theaster Gates nimmt meine Handtasche und beginnt zu | |
| dozieren. Für mich sei das möglicherweise nur eine Handtasche, in der ich | |
| persönliche Dinge umhertrage, tatsächlich aber sei es ein Objekt, das von | |
| Material, von Handwerk, von Farbe, von Weiblichkeit, von kulturellem | |
| Wandel, von Mode und Gesellschaft erzähle, von Bewegung und von Reise. Er | |
| unterbricht sich dann (vielleicht war ihm das dann doch zu banal) und kommt | |
| auf [1][seine Ausstellung im Kunsthaus Bregenz (KUB) zu sprechen]. | |
| Ursprünglich habe er vorgehabt, Objekte aus seinen Archiven zu | |
| präsentieren, Archiven, in denen die noch so abseitigsten Artefakte, | |
| Bücher, Platten, Bilder versammelt sind, die zur Kultur des schwarzen | |
| Amerika gehören. Doch nun habe er sich entschlossen, Bilder und Skulpturen | |
| zu zeigen, in denen sich für das weiße Publikum die schwarze Kultur | |
| spiegelt. Dabei gehe es um Geschichte, Politik, Gesellschaft, um | |
| Formalismus (die Metaebene meiner Handtasche?), um logische | |
| Betrachtungsweise, sagt er und vergisst nicht, bevor er flink um die Ecke | |
| verschwindet, zu erwähnen, welche großartigen Gestaltungsmöglichkeiten sich | |
| ihm hier eröffnet hätten. Tatsächlich sind fast alle skulpturalen Werke | |
| (Gates ist gelernter Bildhauer, zudem Urbanist und begnadeter Performer) | |
| dieser ersten großen Einzelausstellung in Europa in Vorarlberg entstanden. | |
| In der Eingangshalle verströmt eine Art Mauer aus zusammengerollten | |
| Dachpappen, wie man sie im Baustoffhandel bekommt, Teergeruch. Dahinter | |
| läuft ein Video mit Ausschnitten aus dem Film „The Littlest Rebel“, in dem | |
| Mr. Bojangle und der Kinderstar Shirley Temple 1935 munter die | |
| zeittypischen Klischees bedienen; sie, mal mit schwarzbemaltem Gesicht als | |
| Kumpel, mal stramm eine schwarze Kinderkapelle anführend, er immer | |
| frohgemut und meistens tanzend. | |
| Damit skizziert Theaster Gates wie in einem Präludium Ansatz und Basis | |
| seiner Kunst. Der schwarze Teer verweist auf seine Herkunft und auf die | |
| Schwerstarbeit, mit der sein Vater die Familie ernährte, der Film auf das | |
| grausam rassistische Urteil einer Gesellschaft, die Schwarze als meist | |
| gutmütige Deppen, als Uncle Tom, auf jeden Fall als Menschen zweiter Klasse | |
| herabwürdigte. Das ist noch nicht lange her und längst noch nicht vorbei. | |
| ## Ein schwarz geteerter Babykopf | |
| Gates hat in seinem Archiv eine Sammlung mit Objekten, die Schwarze, | |
| vergröbert reduziert auf Merkmale wie wulstige Lippen, komische Klamotten | |
| etc., in putziger oder spaßiger Form darstellen. „Negrobilia“ nennt er | |
| diese Monstrositäten. Für die Ausstellung hat er eine kleine Figur, die auf | |
| einer Wippe steht und durch Antippen lustig mit den Gliedmaßen schlenkernd | |
| in die Höhe hüpft, ins Riesenhafte vergrößert. Die Besucher dürfen nun auf | |
| das Brett springen und werden mir nichts, dir nichts ein sehr | |
| unvorteilhafter Teil dieser burlesken Marionettenspielerei („The Dancing | |
| Minstrel“). Daneben, ebenfalls um ein Zigfaches vergrößert, liegt auf einem | |
| Teppich das „Tar Baby“, das Blow-up eines hübschen, spitzenverzierten | |
| Nadelkissens, gekrönt von einem glänzend schwarz geteerten Babykopf. | |
| In einem der vier Säle des Kunsthauses hängen skulpturale Wandarbeiten. Es | |
| sind aneinandergefügte, mit Dachpappe bespannte und mit dünner Teerschicht | |
| bestrichene Planken, aus den Zwischenräumen quillt die zur Verleimung | |
| verwendete Teerpaste. Duster sieht das aus, ein bisschen fromm auch. Ein | |
| reichlich pathetisch geratener Verweis auf die Realität der schwarzen | |
| Lebenswelten im Süden Chicagos, wo Gates aufgewachsen ist und heute noch | |
| lebt. | |
| Interessanter ist die Metamorphose von Jet, dem 1951 gegründeten Weekly | |
| Negro News Magazine, das heute natürlich nicht mehr so heißt und inzwischen | |
| nur noch digital erscheint. Ein Bregenzer Buchbinder-Duo hat die einzelnen | |
| Jahrgänge in jeweils einheitlichen Farben gebunden und Gates hat sie dann | |
| in farblicher Abstimmung in quadratischen Rahmen so arrangiert, dass sie an | |
| Josef Albers’ berühmte Farbstudien Homage to the Square erinnern. | |
| Ein recht grobes Zitat, denn Albers untersuchte und beschrieb mit diesen | |
| subtilen Arbeiten die Wechselwirkung nuancierter Farbfelder im immer | |
| gleichen Quadraten. Davon kann bei den zum Farbrelief angeordneten | |
| Buchrücken nicht die Rede sein, aber die Würdigung des nach Amerika | |
| emigrierten Bauhausmeisters, der Lehrer von Rauschenberg, Twombly und | |
| vielen anderen Berühmtheiten war, ist evident und der Arbeit eines | |
| gewissenhaften Archivars angemessen. | |
| Und ebenso aller Ehren wert ist die Präzision und die Leidenschaft des | |
| Künstlers Theaster Gates, der vor der Komplexität, auch der Trivialität | |
| seiner Themen, der Banalität des Bösen, nicht in die Knie geht, sondern | |
| nüchtern nach eingängigen Bildern sucht. | |
| 12 May 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.kunsthaus-bregenz.at/html/welcome00.htm?ausstellungen.htm | |
| ## AUTOREN | |
| Annegret Erhard | |
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