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# taz.de -- Joan Mitchell, Meisterin der Abstraktion: The Great Ladypainter
> Kampf um Könnerschaft: Das Kunsthaus Bregenz zeigt eine Retrospektive der
> amerikanischen Malerin Joan Mitchell.
Bild: Die vierteiligen Arbeiten entstanden in den 70er Jahren. Blick in die Joa…
Saufen und vögeln wie ein Kerl, rüde Umgangsformen und eine obszöne
Ausdrucksweise: Was Joan Mitchell anfangs noch als strategische Maßnahme
pflegte, um zum männerdominierten Inner Circle der New York School zu
gehören und Beachtung der Heroen des Abstract Expressionism zu gewinnen,
das machte sie bald zur notorisch ungemütlichen Person. Man wich ihr wohl
besser aus, wollte man nicht zu hart und oft auch ungerecht verletzt
werden.
Nichts von alledem ist in ihren Bildern zu sehen, die gestisch und dabei
sehr präzise im Umgang mit Rhythmus und Farbe die schönsten, glühendsten,
dicht und transparent zugleich strukturierten abstrakten Landschaften
entstehen lassen. Emotional aufgeladene Orte der Erinnerung, mal dynamisch
und kalligrafisch inspiriert in einem Geflecht frei geschwungener Linien,
mal kraftvoll in ein düster geschichtetes Farbknäuel gepresst. Daneben
stehen breite Pinselschraffuren in Gelb und immer wieder blaue,
Lake-Michigan-blaue Farbfelder.
Manche sagen, es sind Bilder der Wut, des unstillbaren Zorns. Tatsächlich
zeugen sie von einem Kampf, dem mit Könnerschaft und unglaublicher
Disziplin geführten Kampf der Künstlerin, die mit aller ihr zur Verfügung
stehenden Kraft (nicht Wut) um ein Höchstmaß ringt.
## Komplizenschaft Architektur und Malerei
Die mit Leihgaben der Joan Mitchell Foundation, des MoMa, des Centre
Pompidou und von privaten Sammlern hochkarätig bestückte Werkschau im
Kunsthaus Bregenz präsentiert die oft monumentalen Formate an den polierten
grauen Betonwänden in einem diffus schimmernden, im Verlauf des Tages sich
stets verändernden Licht, das durch die Glasdecken fällt.
Eine derart reizvolle Komplizenschaft der musealen Präsentation dürfte sich
an der nächsten Ausstellungsstation im Museum Ludwig in Köln (14. 11. 2015
– 22. 2. 2016), wo auch die Briefe und Ausstellungsdokumentationen aus dem
Archiv der Foundation nochmals gezeigt werden, nur schwerlich einstellen.
Die 1925 in Chicago geborene Joan Mitchell, ein armes reiches Kind, dessen
Eltern mit sich beschäftigt waren und ihr eine von hohen Erwartungen
geprägte Erziehung angedeihen ließen, studierte am Art Institute of
Chicago. Danach ging sie auf Reisen und ließ schließlich in New York
nieder.
Talent, unermesslicher Ehrgeiz und die Einsicht, dass in Zeiten, die für
Künstlerinnen „tough“ waren, die Frauen eben „tough“ sein müssten (ne…
sie war keine Feministin, es lag ihr fern, sich mit anderen Künstlerinnen
zusammenzutun, begegnete ihnen vielmehr als unerbittliche Rivalin), führte
über die enge Freundschaft mit dem Dichter Frank O’Hara in die Entourage um
Willem de Kooning, Franz Kline und Jackson Pollock.
## Hinwendung Spontaneität
Der auf Ausdauer und Disziplin getrimmten Tochter aus bestem Haus gefiel
die Absage an Perfektion, Vernunft, Reglementierung, sie feierte mit ihnen
die künstlerische Hinwendung an Emotion und Spontaneität. Und war dann doch
zeitlebens bestrebt, diese beiden Pole zusammenzuführen, Auslöser für die
tiefgründige, fesselnde Spannung in ihren Werken.
Sie studierte kurz bei Hans Hofmann, „the German who scared me“, wie sie in
einem Interview grinsend bemerkte, und den sie – wohl in jeder Hinsicht –
nicht verstand. In New York wurde sie bald der zweiten Generation der
abstrakten Expressionisten zugerechnet. Ab 1955 arbeitete und lebte sie in
Paris, begegnete ihrer großen Liebe, dem franko-kanadischen Maler Jean-Paul
Riopelle, mit dem sie über zwei Dekaden in einer desaströsen, von
Alkoholexzessen und einer heillos zerstörerischen Abhängigkeit geprägten
Beziehung lebte.
## Verdüsterung der Palette
1967 erwarb sie in Vétheuil bei Paris ein großes Anwesen über der Seine.
Ihre Palette verdüstert sich in jenen Jahren, die Zeichnung wird dichter,
manchmal ordnen rechteckige, eng gereihte Farbfelder den Bildraum.
Ab den späten 70er Jahren entstehen hier die großen, aus bis zu vier Teilen
bestehenden Arbeiten, die Mitchell aus einzelnen, nacheinander, durchaus
nicht immer in der panoramischen Reihenfolge gemalten Leinwänden
zusammensetzt. Das Blau des Lake Michigan (mit ihm beginnt sie, wie sie
einmal sagt, jedes Bild) dominiert, gefolgt von Gelb, der Farbe, die für
sie Hoffnung symbolisiert, und Grün, ihr Farbklang für Einsamkeit; den
teils großzügig eingesetzten Weißraum begreift Mitchell als den blanken
Horror, die schiere Depression.
Man liest das ungern so, denn das Weiß lässt die Formen und Linien tanzen
und atmen. „Merci“, ihr letztes Diptychon, malte die schwerkranke
Künstlerin 1992 kurz vor ihrem Tod. Von Schwäche keine Spur, es ist
vielmehr das Resümee einer Kämpfernatur am Ende eines sich selbst und
anderen gegenüber rücksichtslosen Lebens. Alle Merkmale, alle wichtigen
Farben, alle Gesten und Zeichen sind vereint.
The Ladypainter, wie sie sich selbst einmal spöttisch mit einem Seitenhieb
gegen die allgegenwärtigen Testosteron-Chefs im Kunstbetrieb bezeichnet
hat, war sich bis zuletzt treu geblieben – störrisch, diszipliniert, stets
angespannt und, wie sich nun in Bregenz zeigt, mit zeitloser Wirkmacht.
4 Aug 2015
## AUTOREN
Annegret Erhard
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Performance
Flüchtlingshilfe
Feminismus
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