# taz.de -- Performance von Andrea Fraser: Heute bin ich keine Person | |
> Die US-amerikanische Künstlerin Andrea Fraser hinterfragt spielerisch | |
> klassische Institutionen. Das Museum der Moderne zeigt ihre | |
> Retrospektive. | |
Bild: Die Künstlerin Andrea Fraser vor ihrer Installation „Art must hang“ … | |
Ihre erste große Retrospektive hatte die 1965 in Montana geborene, in New | |
York und heute in Los Angeles lebende Künstlerin Andrea Fraser 2013 in | |
Köln. Derzeit läuft nun eine großangelegte [1][Werkschau] in Museum der | |
Moderne in Salzburg. Sieht ganz so aus, als wäre sie im deutschsprachigen | |
Kunstbetrieb weit zuverlässiger verankert als in ihrem Heimatland. | |
Nun, das wäre zu kurz gedacht, sie lehrt und lehrte in den USA, sie ist in | |
den großen Museumssammlungen vertreten, die Kritik beachtet sie sorgsam. | |
Und doch hatte sie ihren frühesten wichtigen Auftritt auf der Biennale 1993 | |
in Venedig im österreichischen Pavillon. | |
Ihre Medien sind Performance und Video, sie arbeitet projektbasiert und | |
kontextuell, analysiert in fundierten Texten mögliche Zusammenhänge von | |
„Class, Taste and Collecting“. Begriffe wie Habitus, sozialer Raum, Kapital | |
und Klasse sind, basierend auf Pierre Bourdieus kritischen Untersuchungen, | |
ihr Leitmotiv. | |
Klingt jetzt schon wieder so kopfig und strategisch, meint aber lediglich, | |
dass Andrea Fraser nachdenkt – ganz speziell über den zeitgenössischen | |
Kunstbetrieb und seine Gesetze (samt Verrenkungen, Auswüchsen und Irrwegen) | |
im Zusammenspiel von Institutionen, Galerien, Sammlern und Künstlern. Die | |
daraus resultierenden Ideen, Erkenntnisse und Ansätze setzt sie dann mit | |
den geeigneten zeitgemäßen Instrumenten und Methoden künstlerisch um. | |
Das ist nicht ganz neu. Doch so leichtfüßig, dabei stringent und | |
überzeugend hat es wohl vor ihr selten jemand auf den Punkt gebracht. Mal | |
hinterfragt sie die dem Museum zugeschriebene Rolle, vielmehr aber noch die | |
von dieser öffentlichen Institution sorgsam gepflegte Selbstinszenierung, | |
die sich im schlimmsten Fall von der Kunst, den Künstlern vollkommen | |
abgespalten hat und sich – publikumswirksam – selbst feiert. | |
Da gibt es den Gang durch Frank Gehrys Guggenheim-Museum Bilbao, ein | |
selbstverliebtes Gesamtkunstwerk, auf dem Fraser per Audioguide, nein, | |
nicht an die Kunst herangeführt wird, sondern an die aufregenden (in diesem | |
Fall auch erregenden) Einzelheiten der Architektur („Little Frank and his | |
Carp“, 2001). | |
Im selben Jahr provoziert sie mit „Official Welcome“, schlüpft hinter ihrem | |
Rednerpult anlässlich der Übergabe einer musealen Neuerwerbung nacheinander | |
in die Rolle eines der generösen Trustees, des Kurators, eines | |
Kunstkritikers etc., spult mit fein dosiert ironischem Einsatz ihres | |
schauspielerischen Talents die der jeweiligen Position entsprechenden | |
Gemeinplätze und Stereotypen ab, zieht sich nach und nach aus und erklärt | |
schließlich „I am not a person today. I am an object within an artwork“. | |
## Die Funktionen der Kunst | |
Für die Sammlung der Generali Foundation, die vor nicht allzu langer Zeit, | |
von kontroversen Debatten begleitet, in die Bestände des Museums der | |
Moderne in Salzburg übergegangen ist, hat Fraser 1994 ihr „Project in two | |
Phases“ entwickelt, mit dem sie die unterschiedlichen Funktionen von Kunst | |
für ein Wirtschaftsunternehmen, eine öffentliche Institution und eine | |
private Sammlung in Form eines Arbeits- und Vertragsprogramms vorstellt. | |
Damals ein Projekt, heute angesichts der Verschiebung der Sammlung vom | |
ambitionierten Firmenvermögen unter die Fittiche staatlicher | |
Museumsbehörden ein Work in Progress. Die Frage, inwieweit Kritik an | |
öffentlichen Institutionen von Belang ist, wenn sie anschaulich im Museum | |
platziert, damit sanktioniert und höflich konsumiert wird, stellt sich | |
natürlich. | |
Ganz sicher lässt sie sich als intellektuelle Anregung, als Quell der | |
Reflexion begreifen. Ohnehin gehört es zu Frasers Strategien, Grenzen zu | |
verwischen. Die Grenze überschritten hat sie nach Meinung der | |
amerikanischen Öffentlichkeit und Kritik 2003 mit ihrer Video-Performance | |
„Untitled“: Sechzig Minuten Sex mit einem Sammler, gefilmt ohne Ton von | |
einer an der Decke des Hotelzimmers befestigten Kamera. | |
Vertraglich vereinbart zahlte der performende Sammler 20.000 Euro für das | |
Exemplar Nummer eins der in einer 3er-Edition aufgelegten DVD. Die Empörung | |
über die pornografischen Ambitionen einer attraktiven Künstlerin vernebelte | |
die Rezeption. | |
Sonst wäre die anschaulich radikale Schilderung des facettenreichen | |
Verhältnisses zwischen Künstler und Sammler als das, was es ist, ein | |
pointiertes Argument, aufgenommen worden. In Salzburg wird diese übrigens | |
alles andere als explizite Arbeit in einem großen Saal ohne Sitzgelegenheit | |
gezeigt. | |
## Neuer, alter Themenkreis | |
Gleich danach sieht man ihre beiden neuesten Arbeiten: „Not just a few of | |
us“, die Wiedergabe einer Debatte des Stadtrats von New Orleans zum Thema | |
Segregation, in der Fraser wieder alle – sehr disparat angelegten – Rollen | |
übernimmt. „Men on the Line“ ist die visuell umgesetzte Transkription einer | |
Radiosendung mit vier Männern, die artig über Feminismus diskutieren und in | |
der Person Andrea Frasers („an object within an artwork“) ziemlich | |
bescheuert rüberkommen. | |
Wie es scheint, hat sie sich vorerst am Kunstbetrieb abgearbeitet und | |
beschäftigt sich, die reflexive Soziologie Bourdieus weiterhin im Gepäck, | |
mit den Strukturen geschlechtlicher und ethnischer Identität und entfernt | |
sich dafür nur kaum von ihrem Kernthema, um gesellschaftliche und | |
ökonomische Interessen geht es hier genauso wie um intime, psychologische, | |
sexuelle und emotionale Belange. | |
6 Apr 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.museumdermoderne.at/de/ausstellungen/aktuell/details/mdm/andrea-… | |
## AUTOREN | |
Annegret Erhard | |
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