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# taz.de -- Kunstprojekt Der Mann: Am Winter stört die Kälte
> Die Türen heißen jetzt „Der Mann“: Das Berliner Trio verhandelt auf dem
> Album „Wir sind der Mann“ Identitäten und spielt sich ins Zitatdelirium.
Bild: Gemorphte Gesichter verschmelzen zu „Der Mann“.
Es war eines der überraschendsten Alben eines mäßigen Popjahrs, bekam aber
bei seiner Veröffentlichung Ende Dezember 2014 leider nur halb so viel
Aufmerksamkeit, wie es verdient gewesen wäre. Maurice Summen, Ramin Bijan
und Gunther Osburg, die drei Gründungsmitglieder der Berliner Band Die
Türen, hatten sich für ein neues Konzept neu erfunden: Der Mann.
Auf ihrem Debütalbum „Wir sind der Mann“ verhandeln sie nicht nur
Männlichkeit, sondern auch Identität und loten aus, welche Möglichkeiten
der Popmusik bleiben, Kreativität und Innovation darzustellen. Nun tragen
sie ihr Konzept als „Die Türen spielen Der Mann“ auf die Bühnen.
Popmusik wiederholt sich. Faktisch ist die Anzahl von Noten zwar endlich,
die Möglichkeiten, sie zu kombinieren und zu variieren – und das macht ja
ihre Schönheit gerade aus – allerdings nicht. Einerseits drehen sich viele
Diskussionen in der Musikindustrie um die Frage nach den Traditionen, also
wer von wem inspiriert wurde. Auch wenn Technik seit Jahrzehnten immer neue
Möglichkeiten der Zitation an die Hand gibt, heißt das nicht, dass die
ProduzentInnen diese kreativ umsetzen.
Zumindest liegt der Schluss nahe, wenn man sich Charts anschaut. Denn –
andererseits – braucht es Standards und Wiedererkennungswert, um
erfolgreich zu sein. HörerInnen artikulieren den Wunsch nach Neuem und
reagieren mit Wertschätzung, konsumieren mit Vorliebe aber Musik, die sie
schon kennen.
## Crossmediales Gesamtkunstwerk
Nachdem Summen, Bijan und Osburg 2002 Die Türen gestartet haben, gründeten
sie aus Unzufriedenheit über die fehlende Wertschätzung durch Plattenfirmen
einfach ihr eigenes Label Staatsakt. Bis heute ist Staatsakt ein Hort für
Künstler und Künstlerinnen, die Pop so kritisch wie ironisch distanziert
gegenüberstehen. Als sich dieselben drei Musiker nun zu Der Mann
zusammentaten, holten sie außerdem den Berliner Maler Helmut Kraus und eine
3-D-Animationsfirma mit ins Boot – und machten ihr Projekt zu einem
crossmedialen Gesamtkunstwerk.
Aufwändig gestaltete Cover und animierte Musikvideos lassen die drei
tatsächlich zu einer Kunstfigur verschmelzen, indem auch die Gesichter der
Bandmitglieder so gepuzzelt oder in Öl gemalt werden, dass aus ehemals
dreien eins wird. So ist auch der Plural im Titel des Albums konsequent:
„Wir sind der Mann“. Dies formuliert bewusst keine Frage, sondern
suggeriert eine Antwort und unterstreicht, dass es ums Austesten der
eigenen Identität und damit auch um Verortung im Popdiskurs geht.
Das bedeutet auch, herauszufinden, was man als Band geben kann. 2012, auf
dem bisher letzten Türen-Werk „ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“, war Gunther
Osburg wegen beruflicher Verpflichtungen verhindert. Auch die anderen
beiden Mitglieder erfüllen „nebenher“ andere Aufgaben, die das Konzept
Musikmachen als Gesellschaftskommentar erschweren.
## Mangel an Freizeit
Seinerzeit kulminierte dieses Grundproblem in den Songs „Rentner und
Studenten“ und „Dieses Lied“, das eine Universalopposition formuliert und
dafür einen Katalysator sucht – politischer Aktivismus, der sich den
Schwierigkeiten künstlerischer Lebensentwürfe bewusst ist. Das Problem
heißt Mangel an freier Zeit.
In einer differenzierten, individualisierten Gesellschaft, in der
Generationen heranwachsen, denen mehr Möglichkeiten als je zuvor offen
stehen, greift Der Mann auf Vereinfachung zurück. Gerade in der gelungenen
Selbstvorstellung „Ich bin ein Mann“ ergeht sich das Bandprojekt in Parolen
der Austauschbarkeit: „Was mich am Winter stört, ist die Kälte / Was mich
an Gipfeln stört, ist die Höhe“. Im Refrain fehlt der für eine sinnvolle
Definition erwartete Relativsatz, es bleibt bei der Feststellung: „Ich bin
ein Mann“.
## Besoffen vor Allgemeinplätzen
Lässt man den Finger weiter durch die Titelliste gleiten, strotzt diese nur
so vor Allgemeinplätzen. Der Mann suhlt sich geradezu in geflügelten Worten
wie „Die Sache spricht für sich“ und „Jeder Mensch will was Besonderes
sein“, ohne zu klären, was eigentlich „Sache“ ist oder was „besonders�…
Indefinitpronomen wie „jeder“ und „man“ scheinen symbolisch: Sie dienen…
Verweis auf Dinge oder Individuen, deren Identität unbestimmt ist.
„Es ist egal, ob du dabei bist oder nicht“ – die Identität von Der Mann
könnte schließlich auf dieser Suche nach Identität nicht weniger bestimmt
sein, genau wie die drei Künstler in ihren Rock-’n’-Roll-Avataren nicht
auseinanderzuhalten sind: In den Figuren Ray Mann, George Mann und Berthold
Mann werden sie zu einem Mann, einem Prototyp. Musikalisch ist dieses
Konzept so schlau gelöst, wie selten ein Album aus dem Zitatdelirium, der
Popmusik, daherkommt: durch noch mehr Zitate. „Der Mann“ kann als Katalog
des gängigen Poprepertoires gelesen werden, intelligent ironisiert: nicht
nur das Selbstfindungsstück, das gar keines ist, weil es sich in Vagem
ergeht.
Auch die Ballade über das Verlassenwerden referiert die Emotionslosigkeit
der Internetwelt und ersetzt Gefühle durch ein „OMG“. Die popsoziologische
Studie über das Reformhaus zielt auf Verdauungsmechanismen, das Ganze
erzählt anhand eines Spielens mit einem Klassiker der Animals (“The Rise of
the Reforming House“). So klingt auch die Musik nach einer Wiedergabe von
Dagewesenem: Maßgeblich von anregenden Gitarrenriffs und Keyboardstabs und
einem fordernden Schlagzeug geprägt und nicht zuletzt den Sound der Neuen
Deutsche Welle und den Gesangstil eines Rio Reiser anrufend, rockt die Band
auch mal schwelgerisch, ruhig mit existenzialistischen
E-Piano-plus-Gitarre-Hooklines.
## Seltsam und intelligent
Spricht man hier von Typen, ist das natürlich doppeldeutig zu verstehen.
Das angesprochene Selbstvorstellungsstück endet in kitschigen
Synthesizermelodien und romantischem Klavier. Die vormals als die eines
Mannes identifizierte Stimme wird ins Kindliche und Unschuldige verzerrt,
der Text bleibt gleich: „Ich bin ein Mann“. Spätestens jetzt ist zu ahnen,
hier wird tatsächlich auch Männlichkeit verhandelt, vielmehr die Frage
gestellt, was es überhaupt bringt, sich als Mann zu definieren. Das
Selbstverständnis als Mann, das bei dieser Band so zentral zu sein scheint,
ist nicht mehr individuell identitätsstiftend, sondern bloß eine Folie, und
spricht damit genau das an, was schon 2012 von den Türen gesucht wurde:
„Dieses Lied braucht dich.“
Bei den nun anstehenden Konzerten erweitert sich Der Mann folgerichtig um
weitere Akteure. Für „Die Türen spielen Der Mann“ sind außerdem Chris Im…
und Andreas Spechtl, die auch zur aktuellen Türen-Besetzung gehören, sowie
Carsten „Erobique“ Meyer verpflichtet. Diese Erweiterung lässt mehr
erwarten, als nur eine Türen-Allstar-Veranstaltung, nämlich
vielversprechende Soloperformances. Genau das, was seltsame und
intelligente Popmusik heute sein kann.
19 Feb 2015
## AUTOREN
Diviam Hoffmann
## TAGS
Berlin
Musik
Feminismus
Elektro
Postpunk
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