Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Reform des Sexualstrafrechts: „Nein heißt nein“
> Frauengruppen wenden sich in einem offenen Brief an Angela Merkel: Ihnen
> reicht der Vorstoß des Justizministers nicht aus.
Bild: Was nutzt die Beweissicherung, wenn eine Lücke im Gesetz den Vergewaltig…
Berlin taz | Es ist ein ganz normaler Abend, irgendwann 2012. Eine Frau,
schwanger mit dem ersten Kind, wird von ihrem Freund bedrängt: Er will mit
ihr schlafen. Sie will das aber nicht und sagt ihm das. Auch dass sie
Schmerzen hat, wenn er in sie eindringt. Das interessiert den Mann nicht.
Er hat Druck, und der muss weg. Er zieht seine Freundin vom Sofa, schiebt
sie ins Schlafzimmer und fordert sie auf, sich auszuziehen.
Widerstandslos folgt die Frau seinen Anweisungen. Sie hat Angst – um ihr
ungeborenes Baby, um sich selbst. Schon öfter ist ihr Freund gewalttätig
geworden. Er hat die Schwangere geschubst, mit Gegenständen geschmissen,
die Katze gequält. Während er sich jetzt an der Frau zu schaffen macht,
wiederholt sie, immer und immer wieder, dass sie keinen Sex will. Doch er
lässt nicht von ihr ab – und sie lässt es widerwillig geschehen.
Was ist das? Ganz klar: eine Vergewaltigung. So empfindet das wohl jeder.
Vergewaltigung ist in Deutschland strafbar. Allerdings nicht in jedem Fall.
Das Erlebnis der jungen Frau ist so einer. Es gehört zu einer Sammlung von
107 exemplarischen Fällen schwerer sexueller Übergriffe, die der
Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) gesammelt hat
und bei denen das Verfahren eingestellt oder der Täter freigesprochen wurde
– aufgrund der aktuellen Rechtslage.
Nach derzeitigem Recht gilt ungewollter Geschlechtsverkehr nur in drei
Konstellationen als Vergewaltigung: Wenn der Mann ihn mit Gewalt oder mit
bestimmten Drohungen erzwingt. Oder wenn der Täter eine schutzlose Lage
seines Opfers ausnutzt. Es genügt also nicht, dass eine Frau eindeutig Nein
sagt.
## Die Zeit ist reif
Das muss sich ändern, sagen Frauenrechtlerinnen. Ein schlichtes verbales
Nein zu ignorieren muss für eine Strafverfolgung ausreichen, fordern sie
seit Jahrzehnten. Jetzt wendet sich ein Bündnis zahlreicher Frauengruppen
und -verbände mit einem offenem Brief an Kanzlerin Angela Merkel: Die Zeit
ist reif für eine große Reform des Sexualstrafrechts.
„In einer Reihe von aktuellen Analysen und Gutachten sind Fallgruppen
aufgezeigt, in denen Frauen klar ‚Nein‘ sagen, der Täter das übergeht und
seine sexuellen Übergriffe dennoch straflos bleiben“, heißt es in dem
Brief, der am Dienstag veröffentlicht werden soll und der taz vorab
vorliegt.
Das Schreiben zielt direkt auf einen Vorstoß von Justizminister Heiko Maas
(SPD), das Sexualstrafrecht zu reformieren. Ein entsprechender
Gesetzentwurf für eine Neufassung der Paragrafen 177 und 179 im
Strafgesetzbuch soll am Donnerstag im Bundestag zum ersten Mal besprochen
werden.
## Härte Bestrafungen
So soll künftig „Grapschen“, wie es in der Silvesternacht in Köln rund
400-mal passiert ist, härter bestraft werden. Bislang galt das unerlaubte
Greifen an Brust, Hintern und Genitalien nur als Beleidigung oder sexuelle
Nötigung. Auch soll es künftig als Vergewaltigung angesehen werden, wenn
der Täter das Opfer überrascht und sich deshalb gar nicht mehr wehren kann.
Oder wenn es beispielsweise mit K.-o.-Tropfen widerstandsunfähig gemacht
wird.
Das reicht dem Bündnis, das der Deutsche Frauenrat initiiert hat und dem
unter anderen der bff, der Juristinnenbund, die Menschenrechtsorganisation
Terre des Femmes und verschiedene Frauenhauskoordinierungen angehören,
nicht aus. Im offenen Brief fordern die Aktivistinnen, „sexuelle Straftaten
juristisch allumfassend anzuerkennen“, wie Anja Nordmann, Geschäftsführerin
des Frauenrats, es formuliert. Das heißt: Jeder sexuelle Übergriff, den
eine Frau nicht will, soll verboten und strafrechtlich verfolgt werden. Im
Sexualstrafrecht müssten die „Schutzlücken“, die es jetzt gibt, geschloss…
werden.
Jedes Jahr zeigen rund 8.000 Frauen eine Vergewaltigung an, listet das
Bundesamt für Justiz (BfJ) auf. Der bff geht davon aus, dass das nur etwa 5
bis 15 Prozent aller gewaltsamen sexuellen Übergriffe sind. Die wenigsten
würden strafrechtlich verfolgt, die meisten Verfahren eingestellt. Laut BfJ
werden nur rund 8 Prozent der angezeigten Täter verurteilt.
Das frustriert die Opfer. Sie fühlten sich nicht ausreichend ernst
genommen, weiß Heike Herold, Geschäftsführerin des Vereins
Frauenkoordinierung in Berlin: Nicht das Verhalten des Opfers sollte für
die Strafbarkeit einer sexuellen Handlung entscheidend sein, sondern allein
das Verhalten des Täters. Damit meint Herold das, was der bff in seiner
Analyse kritisiert: „Täter müssen nur dann mit Strafe rechnen, wenn sich
Opfer ihnen wehrhaft widersetzen.“
## Rechtsempfinden getrübt
Die geringe Zahl von Verurteilungen entrüstet auch junge Polizistinnen und
Polizisten, in deren Ausbildung Themen wie Vergewaltigung und häusliche
Gewalt, die vielfach mit sexueller Gewalt einhergeht, mittlerweile
selbstverständlich vorkommen. Die Beamten sichern Spuren, protokollieren,
nehmen Beweise auf – und erfahren später, dass das alles nicht ausgereicht
hat für eine Verurteilung des Täters.
„Das widerspricht dem Rechtsempfinden der jungen Kolleginnen und Kollegen“,
sagt Heike Lütgert, Kriminalhauptkommissarin a. D. Lütgert hat an der
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Bielefeld PolizeianwärterInnen
im Bereich körperlicher und sexueller Gewalt ausgebildet.
Wenn Maas’ Gesetzentwurf am Donnerstag im Bundestag besprochen wird,
erwarten die Autorinnen des offenen Briefs eine „echte Reform des
Sexualstrafrechts“, wie Anja Nordmann vom Frauenrat sagt. Sollte es im
Entwurf kein „Nein heißt Nein“ geben, sollte es „besser kein neues Gesetz
geben als ein mangelhaftes“.
25 Apr 2016
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Vergewaltigung
Sexualstrafrecht
Heiko Maas
Kopftuch
Köln
Strafrecht
Sex
Sexuelle Gewalt
Sexualstrafrecht
Sexuelle Gewalt
Köln
UN-Resolution
Sexuelle Übergriffe
Homophobie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Essay über das Kopftuch: Verschleierte Unterordnung
Alle Islamisten lieben das Kopftuch. Grund genug, über den Unsinn dieser
Uniform zu streiten. Für das Recht darauf, es zu tragen – oder auch nicht.
Prozess wegen Kölner Silvesternacht: Sexuelle Nötigung nicht bewiesen
Zum ersten Mal war nun ein Verdächtiger aus der Kölner Silvesternach wegen
versuchter sexueller Nötigung angeklagt. Doch der Vorwurf ließ sich nicht
belegen.
Reform des Sexualstrafrechts: Ist das nun der Durchbruch?
Jetzt sind auch die Koalitionsspitzen für das Prinzip „Nein heißt Nein“.
Versprochen wurde es schon oft – und war doch nicht ernstgemeint.
Kolumne Liebeserklärung: Jaaaaa!
Zuletzt ging es viel um Gewalt und „Nein heißt nein“. Zeit, sich mit Sex
und dem viel schöneren Wort „Ja“ zu beschäftigen.
Sexualstrafrecht im Bundestag: Halt auf halber Strecke
Nein: Parteiübergreifend fordern PolitikerInnen eine Verschärfung des
Gesetzentwurfs von Justizminister Heiko Maas.
Reform des Sexualstrafrechts: Bundestag ringt um „Nein heißt Nein“
Alle bekennen sich zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Die Koalition
hat allerdings Probleme mit der Konsequenz.
Vertrauliche Spurensicherung: Opfer sexueller Gewalt gewinnen Zeit
Wer vergewaltigt wurde, kann die Spuren der Tat bald sichern lassen, ohne
sofort auch Anzeige erstatten zu müssen.
Umgang mit Übergriffen in Köln: Verharmlosung angeordnet?
Die Landespolizeibehörde soll darauf gedrungen haben, die Übergriffe der
Silvesternacht abzuschwächen. Das Innenministerium bestreitet das.
Blauhelmsoldaten der UNO: Resolution gegen Missbrauch
Der Sicherheitsrat hat Maßnahmen gegen Friedenstruppen in Fällen von
sexuellem Missbrauch verabschiedet. Ganze Kontingente können künftig
abgezogen werden.
Sexuelle Übergriffe: Bestohlen und begrabscht
Silvesternacht: Polizei fasst zwei weitere mutmaßliche Täter. Hamburger
Bundesratsinitiative will Hürden für Strafverfolgung senken.
Neue Unterkunft für queere Geflüchtete: Coming out of the Heim
In Flüchtlingsheimen werden Homo- und Transsexuelle oft attackiert. Die
Berliner Schwulenberatung eröffnet nun eine eigene Unterkunft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.