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# taz.de -- Neue Unterkunft für queere Geflüchtete: Coming out of the Heim
> In Flüchtlingsheimen werden Homo- und Transsexuelle oft attackiert. Die
> Berliner Schwulenberatung eröffnet nun eine eigene Unterkunft.
Bild: Regenbogenfahne: Symbol für Freiheit – auch in Flüchtlingsheimen
Die Sozialarbeiterin Jouanna Hassoun redet nicht lange um das Problem
herum: „In den vergangenen sechs Monaten kamen mehrere Flüchtlinge mit
gebrochenen Nasen in unsere Beratungsstelle. Einer hatte auch einen
angebrochenen Unterarm.“ Hassoun, gebürtige Libanesin, kam selbst mit sechs
Jahren als Flüchtling nach Deutschland. Heute ist sie Mitarbeiterin des
Lesben und Schwulenverbands Berlin (LSVD).
Dort melden sich jetzt immer mehr Flüchtlinge, die in den
Gemeinschaftsunterkünften von ihren Mitbewohnern attackiert werden. Neben
körperlicher Gewalt müssen sie auch Drohungen und Mobbing über sich ergehen
lassen. „Die anderen Flüchtlinge nehmen ihnen das Essen weg oder zwingen
sie, auf dem Fußboden zu schlafen“, sagt Hassoun.
Um die Betroffenen aus den engen Gemeinschaftsunterkünften herauszuholen,
hat die Berliner Schwulenberatung nun eine eigene Lösung entwickelt:
Kommenden Samstag eröffnet sie in Treptow Berlins erstes Wohnheim für Homo-
und Transsexuelle – aus Sicherheitsgründen soll die genaue Adresse der
Einrichtung noch nicht genannt werden. Das Projekt entsteht in
Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso).
Außerdem beteiligen sich der LSVD, Quarteera, die russischsprachige
LGBT-Gruppe, und Les Migras, eine Organisation für lesbische und bisexuelle
Migrantinnen.
Berlin ist somit die zweite Stadt Deutschlands, in der ein queeres
Flüchtlingsheim entsteht. In Nürnberg gibt es ein ähnliches Projekt seit
Anfang des Monats. In dem Projekt werden die Betroffenen von ihren
Peinigern getrennt. Geplant sind 25 Wohnungen, in denen 124 queere
Flüchtlinge leben werden. Neben Gemeinschaftsunterkünften entsteht auch
eine Notunterkunft, in der Opfer homophober Übergriffe kurzfristig Schutz
finden können.
In der Schwulenszene wird schon seit Längerem über Homophobie in den
Flüchtlingsheimen diskutiert. Den Grund für die Gewalt sieht Hassoun vor
allem in der mangelnden Aufklärung vieler Bewohner. „Die Täter haben eine
sehr traditionelle Vorstellung davon, wie ein Mann oder eine Frau zu sein
haben“, erklärt sie. Wer nicht in ihr Geschlechterrollenmodell passe,
gerate in den überfüllten Unterkünften schnell in die Schusslinie. „Gerade
in arabischen und türkischen Familien wachsen viele Jugendliche mit Homo-
und Transphobie auf“, erklärt Hassoun. Diese konservative Weltsicht gebe es
aber auch hierzulande, betont sie weiter.
## Angriffe auch außerhalb
Das Problem ist jedoch nicht ausschließlich auf die Heime beschränkt.
Hassoun erzählt, dass Flüchtlinge auch außerhalb ihrer Wohnstätte
attackiert wurden. Dabei habe es in einigen Fällen Mittäter aus Berlin
gegeben, die gar nicht mit ihnen zusammenlebten.
Die Kosten des queeren Flüchtlingsheims sollen größtenteils durch das
Lageso übernommen werden. Einen festen Vertrag gibt es allerdings noch
nicht. Daneben plant die Schwulenberatung einen Teil der Kosten durch
Spenden zu decken. Allein für den Aufbau hat sie nach eigenen Angaben etwa
45.000 Euro vorgestreckt.
Seit einem halben Jahr organisiert die Schwulenberatung zudem einen
Gesprächskreis für die betroffenen Flüchtlinge. Der Geschäftsführer der
Schwulenberatung, Marcel de Groot, schätzt, dass hier bislang 100 Personen
Hilfe gesucht haben. Zusätzlich kämen jeden Tag zwei bis drei
E-Mail-Anfragen, einige davon auch aus anderen Städten. „Wir hören
schreckliche Geschichten. Die Vorfälle reichen von Diskriminierung und
Beschimpfung bis hin zu Gewalt und sogar Vergewaltigung“, erklärt er.
Für ganz Berlin rechnet de Groot mit 3.500 bis 7.000 queeren Flüchtlingen.
Offizielle Zahlen zu homophoben Übergriffen gibt es nicht. Die
Beratungsstellen kennen nur die Fälle, bei denen sich die Opfer direkt an
sie gewandt haben. Auch der LSVD registriert ähnlich viele Übergriffe wie
die Schwulenberatung. Da nicht alle Vorfälle gemeldet werden, rechnet der
Verband mit einer hohen Dunkelziffer.
Im Ernstfall wissen queere Flüchtlinge oft nicht, an wen sie sich wenden
sollen. „Die Heime sind mit den homophoben Attacken überfordert“, erklärt
de Groot „Ihnen fehlt das Personal und die Erfahrung, um effektiv dagegen
vorzugehen.“ Er rechnet damit, dass ein überdurchschnittlich großer Anteil
der queeren Flüchtlinge wegen ihrer Erfahrungen traumatisiert sind.
Die Unterbringung in dem queeren Wohnheim soll deshalb auch dazu dienen,
sie zu stabilisieren. Um speziell auf ihre individuellen Bedürfnisse
eingehen zu können, soll das Personal dort nach Möglichkeit ebenfalls queer
sein. „Wir möchten unseren Bewohnern kompetente Hilfe anbieten“, erklärt …
Groot. „Wer selbst nicht schwul ist, kann bestimmte Probleme nicht richtig
nachvollziehen.“
17 Feb 2016
## AUTOREN
Francis Laugstien
## TAGS
Homophobie
Schwerpunkt Flucht
Demonstrationen
Queer
Flüchtlinge
Vergewaltigung
Asylrecht
Unterbringung von Geflüchteten
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
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