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# taz.de -- Zuflucht für LGBTI-Flüchtlinge: Auch eine Ritterin braucht Schutz
> In Nürnberg öffnet ein Haus für schwule und lesbische Flüchtlinge. Das
> beendet nicht die Diskriminierung in den Heimen, hilft aber weiter.
Bild: Nach einem Brandanschlag aus Odessa nach Nürnberg geflohen: Tania (links…
Nürnberg taz | Es gab einen lauten Knall, dann ging ihr Auto in Flammen
auf. Über den brennenden Resten beschlossen Kristi und Tania, die Ukraine
zu verlassen. In Deutschland, so hofften sie, ergeht es lesbischen Paaren
besser. Das war vor einem Jahr. Jetzt sitzen die beiden Frauen mit ihrer
Tochter in einem Hotelzimmer in Nürnberg. In Plastiktassen gibt es
schwarzen, stark aromatisierten Tee, Schnittchen stehen auf dem kleinen
Tisch – Angst haben sie immer noch.
„Wenn wir den Raum verlassen, fühle ich mich wie eine Ritterin“, sagt Tania
und zeichnet mit ihren Händen eine Rüstung nach. Die 41-Jährige ist eine
schlanke Frau mit dunklen, lockigen Haaren. Sie spricht eine Mischung aus
Deutsch und Englisch, ihre Hände versuchen die Sprachbarriere zu
überbrücken. „Falls Männer aus der ehemaligen Sowjetunion erfahren, dass
wir ein Paar sind“, sagt sie, „dann bringen die uns um.“ Mit ihren Fingern
formt sie eine Pistole, lässt sie zum Kopf wandern und drückt ab.
In Nürnberg leben derzeit 8.000 Geflüchtete aus aller Welt, und etwa 600
von ihnen, schätzt der örtliche Schwulenverband, sind vor Homo- oder
Transphobie aus ihren Heimatländern geflohen. Doch auch in deutschen
Einrichtungen kommt es zu Übergriffen und Gewalt gegen LGBTI-Menschen.
Anders als Frauen, Kindern oder Menschen mit Behinderung räumt ihnen das
Asylrecht trotzdem keinen besonderen Schutzgrund ein. Eine Nürnberger
Initiative hat deshalb jetzt ein Haus für LGTBI-Geflüchtete eröffnet – und
auch in anderen Städten ziehen Schwulenverbände nach.
## Nürnberg ist Vorreiter
Michael Glas, ein kleiner 55-Jähriger mit schwarzem Irokesenschnitt, öffnet
die Eingangstür zu einem roten Backsteingebäude in einem Nürnberger
Hinterhof. Im Oktober kamen zwei kurdische Männer in sein Büro und baten um
Schutz. In ihrer Unterkunft, erzählen sie, würden sie wegen ihrer
Homosexualität von anderen Männern bedroht. „Das war der Moment, in dem wir
beschlossen haben, etwas zu tun“, sagt Michael Glas. Ende Januar gab der
schwul-lesbische Verein Fliederlich e. V. bekannt, dass er eine Unterkunft
für LGBTI-Geflüchtete eröffnen will, und seitdem kommt Michael Glas nicht
mehr zu Ruhe. Eigentlich, sagt er und lächelt müde, leite er bloß die
Seniorengruppe, dafür fehlt seit Wochen die Zeit.
Er knipst das Licht in der zweiten Etage an, eine kahle Glühbirne wirft
Licht auf das Parkett eines weitläufigen Wohnraums. In diesen Tagen sollen
bereits die ersten Gäste hier einziehen. Fliederlich ist mit diesem Konzept
ein Vorreiter. Acht bis zehn LGBTI-Geflüchtete plant der Verein zunächst
auf den zwei Etagen einer ehemaligen Galerie unterzubringen. In den zwei
großen Wohnungen ist schon alles vorbereitet: Es gibt frische Bettwäsche,
auf Holzdielen stehen ein paar Sofas, in der Gemeinschaftsküche stapeln
sich weiße Porzellanteller. „Lange wurde das Problem ignoriert“, sagt Glas,
„aber jetzt bewegt sich etwas.“
Als Tania und Kristi ihren ersten Nachmittag in den Büroräumen von
Fliederlich verbringen, fällt die Anspannung von ihnen ab.
Regenbogenflaggen dominieren den Raum, hinter einer kleinen Bar tropft
Filterkaffee in eine Kanne, auf einem Tisch liegen Flyer und Magazine.
Obwohl sie es genießen, einen Schutzraum zu haben, können sich die beiden
Frauen nicht vorstellen, in eine spezielle Unterkunft zu ziehen. „Solange
wir nicht direkt bedroht werden, wollen wir uns nicht absondern“, sagt
Kristi – und fügt hinzu: „Auch wenn es schwierig ist, sich immer zu
verstecken.“
Wenn sie das Zimmer verlassen, schlüpfen sie in die Rolle „heterosexuelle
Frau“. Noch immer trauen sie sich nicht, ihre Beziehung öffentlich zu
zeigen.
## Keine Rückzugsmöglichkeit
Nach ihrer Ankunft in Deutschland landete die kleine Familie in der
Erstaufnahmestelle in Zirndorf. Die ehemalige Polizeikaserne liegt nur
zwanzig Minuten von Nürnberg entfernt, doch hinter den hohen Mauern fühlt
sich die Stadt sehr weit weg an. In Zirndorf traten Kristi und Tania als
Schwestern auf, und aus Furcht vor Anfeindungen durfte ihre 4-jährige
Tochter Tina nur eine der beiden „Mama“ rufen. Nach einer Woche wurden sie
in eine Notunterkunft verlegt, lediglich eine Stellwand trennte sie in der
großen Halle von den Nachbarn. Sie lebten mit der ständigen Angst vor
Entdeckung. „Wir waren nur einen Monat da, aber es fühlte sich an wie ein
halbes Leben“, sagt Kristi und setzt neues Teewasser auf. Im Regal stapeln
sich viele Teesorten.
Im letzten Sommer wurden sie schließlich in dieses Hotel verlegt, wo sie in
einem Einzelzimmer mit Teppichboden, Doppelstockbett und einem kleinen
Tisch zu dritt wohnen. Auf dem Flur draußen spielen syrische Kinder, an der
Wand hängen Tinas Bilder: Strichfiguren mit lachenden Gesichtern halten
sich an den Händen, auf einem Hausdach flattert eine Deutschlandflagge.
Obwohl sie nun endlich Privatsphäre haben, fühlen sich Kristi und Tanja
noch immer nicht sicher. In ihren Sprachkursen sitzen auch Männer aus
Russland und der Ukraine.
In der Ukraine haben die beiden ihre Beziehung lange versteckt. Irgendwann
waren sie die Heimlichtuerei leid. „Wir wollten wie normale Menschen
leben“, sagt Tania. Sie hat ein ernstes Gesicht hinter einer schwarzen
Brille. Als sie beginnen, ihre Beziehung öffentlich zu leben, wenden sich
Familie und FreundInnen von ihnen ab. Kristi ist Künstlerin, Tania hat ein
kleines Café im Zentrum von Odessa. Irgendwann beginnen die Anfeindungen:
„Gays go to Gayeurope“ steht eines Morgens am Caféfenster. Vor ihrer
Haustür wird Kristi nachts von einem unbekannten Mann bedroht. Im Frühling
2015 explodiert dann ihr Auto, ein Brandanschlag. „Wir haben gedacht, wir
könnten alles aushalten, aber wir hatten Angst um Tina und wollten nur noch
weg“, erzählt Kristi. Ihre Tochter schaute damals vom Küchenfenster aus zu,
nur eine Glasscheibe trennte sie von der Bombe. Jetzt sitzt sie im
Prinzessinnenkostüm auf dem Boden und guckt sich Cartoons an. Tina besucht
in Nürnberg einen Kindergarten – auch hier soll sie niemandem erzählen,
dass sie zwei Mütter hat.
## Sie haben Asyl beantragt
Gesetzliche Bestimmungen zum Schutz von geflüchteten LGBTI-Menschen fehlen
in Deutschland bis heute. Als Reaktion auf das Fliederlich-Projekt erklärte
das bayrische Sozialministerium Anfang Februar, es sehe keinen
Handlungsbedarf. Die Nürnberger Initiative lebt von privatem Engagement.
Zusätzlich stellt sich für sie immer wieder das Problem: Wie erreicht man
Menschen, die es gewohnt sind, sich zu verstecken?
Kristi und Tania haben nicht Anschluss an die schwul-lesbische Szene
gesucht, als sie im April 2014 nach Deutschland kamen, um Asyl zu
beantragen. „In Odessa“, sagt Kristi, „gibt es so etwas nicht.“ In Nür…
schickt sie eine Sozialarbeiterin zum Stammtisch von Fliederlich, ein
glücklicher Zufall. Die meisten Menschen stoßen im Internet auf
Fliederliche. V., erklärt der Schwulenaktivist Michael Glas. Auf Flyer in
den Unterkünften verzichtet der Verein bewusst. „Wer mit so einem Flyer
gesehen wird, ist sofort gebrandmarkt“, glaubt Glas. Auch aus diesem Grund
möchte er den Ort des LGBTI-Hauses geheim halten.
Tania und Kristi haben Asyl beantragt. In der Anhörung werden sie ihre
Verfolgung glaubhaft vortragen und beweisen müssen, dass ihr Leben in ihrer
Heimat akut gefährdet ist. Außerdem müssen sie offen über ihr Privatleben
sprechen – für viele Betroffene ein großer Schritt. In der Einrichtung in
Zirndorf wurde erst vor drei Monaten eine Transsexuelle von Männern über
den Hof gejagt, ein schwuler Iraner hielt den Druck nicht mehr aus und
beantragte seine Heimreise.
## Wie kommt man an sie heran?
„Die meisten LGBTI-Menschen hier outen sich oft nicht im ersten
Asylgespräch“, sagt der Sozialarbeiter Christian Heller. Der 38-Jährige
arbeitet seit acht Jahren in Zirndorf. Er glaubt, die Angst, vor den
eigenen Landsleuten enttarnt zu werden, sei einfach zu groß. Vor dem
Verwaltungsgebäude zündet Heller sich eine Zigarette an und grüßt einen
jungen Mann, der sich vor dem Regen in die Cafeteria flüchtet. Es ist der
einzige Gemeinschaftsraum auf dem Gelände. An einer weißen Tafel im Eingang
hängen lose ein paar alte Informationsblätter, Angebote für LGBTI-Menschen
finden sich dort nicht. „Wir haben immer wieder Probleme mit homophoben
Dolmetschern“, sagt Heller „und auch das Wachpersonal ist oft wenig
geeignet für solche sensible Themen.“
Nördlich des Nürnberger Bahnhofs trifft sich die schwul-lesbische Szene in
Kneipen und Clubs. Das Cartoon ist eine Mischung aus Café und Bar,
männliche Paare sitzen an kleinen Tischen, es riecht süßlich nach
E-Zigaretten. An der Wand hängen große Aufnahmen von Marlene Dietrich.
Hüssein trägt Tunnelohrringe zum dunklen Bart. „In den letzten Wochen kamen
immer wieder mal Geflüchtete zu uns“, erzählt er, während er ein Helles
zapft, „die meisten sind am Anfang ganz schön verschüchtert.“ Die
Möglichkeit am Nachmittag auf einen Kaffee vorbeizuschauen, glaubt Hüssein,
senke bei vielen die Hemmschwelle. Doch auch Orte wie das Cartoon findet
nur, wer danach sucht.
Die Unterkunft von Fliederlich soll für die Geflüchteten eine
Übergangslösung sein. „Erst einmal brauchen die Menschen Sicherheit“, mei…
Glas, „danach können sie auch offensiver in die Gesellschaft gehen.“ Der
Verein bietet der Stadt die Unterkunft zum normalen Herbergstarif an: 20
Euro pro Nacht und Zimmer. Den Mehraufwand leisten freiwillige HelferInnen.
„Die Community öffnet sich langsam“, glaubt Glas. Aus dem Umkreis von
Fliederlich gab es Sachspenden, DolmetscherInnen haben ihre Hilfe
angeboten.
In Nürnberg sind alle Plätze bereits vergeben. Auch in Berlin-Treptow wird
diese Woche eine LGBTI-Unterkunft für 120 Menschen eröffnen. Solche
Projekte sind Neuland für alle Beteiligten, Erfahrungswerte gibt es nicht.
Michael Glas lacht und sagt: „Die wollten auch ein Konzept von uns – dabei
haben wir doch selber keinen richtigen Plan.“
26 Feb 2016
## AUTOREN
Paul Hildebrandt
## TAGS
Asylrecht
Schwerpunkt Flucht
Homophobie
Unterbringung von Geflüchteten
Lesestück Recherche und Reportage
Oldenburg
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schwerpunkt Flucht
Homophobie
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
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